Derzeit verhandeln SPD, Bündnis 90/die Grünen und FDP darüber, ob und wie sie die künftige Regierung gestalten wollen. Und es sieht so aus, als könnte sich in Sachen Altersvorsorge die FDP mit einer ihrer Ideen durchsetzen. Zwei Prozent des Rentenbeitrags sollen künftig in Aktien fließen und eine zusätzliche kapitalgedeckte Säule bilden. „Jetzt haben wir die Chance, das gesetzliche Rentensystem auf zwei Standbeine zu stellen, indem wir stärker auf Aktien setzen“, sagte FDP-Vize Johannes Vogel dem „Handelsblatt“.

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Kapitaldeckung entlastet Rentenversicherung erst in 20 Jahren spürbar

Doch wie „enkelfit“ sind die Rentenpläne der angehenden Koalitionäre tatsächlich? Dazu meldet sich nun die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) zu Wort. Grundsätzlich begrüßen die Versicherungs-Mathematiker die Pläne, stärker auf Kapitaldeckung zu setzen. „Die Einführung einer zusätzlichen kapitalgedeckten Komponente in der Gesetzlichen Rentenversicherung ist eine neue hybride, solidarisch-kollektive Finanzierungsform, die es so in Deutschland noch nicht gegeben hat“, sagt der DAV-Vorstandsvorsitzende Herbert Schneidemann.

“Die avisierte Anschubfinanzierung von zehn Milliarden Euro kann jedoch die strukturellen Probleme der ersten Säule nicht kurzfristig lösen, sondern frühestens in 20 Jahren zu einer gewissen Entlastung des Rentensystems beitragen“, ergänzt Friedemann Lucius. Er ist Vorstandschef vom Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e.V. (IVS). Beide Experten appelieren deshalb an die Politik, ein „langfristiges, generationengerechtes und sozial ausgewogenes Konzept für die Rente“ zu entwickeln, das auf anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik beruht. „Und diese sind im Kern ganz klar: Wenn das Rentenniveau ohne Erhöhung des Renteneintrittsalters gehalten werden soll, dann müssen in erheblichem Maß zusätzliche Mittel in die Rentenversicherung fließen“, so Schneidemann.

Es mangelt also auf der Einnahmeseite: und das ist schon heute deutlich spürbar. Auf die gesetzliche Rentenversicherung entfielen laut Sozialbericht der Bundesregierung bereit etwa ein Drittel aller Sozialausgaben 2020. Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt soll im laufenden Jahr bei 97,6 Milliarden Euro liegen. Und die Zahl der Rentnerinnen und Rentner steigt. Die Prognose des Sozialberichts: Im Jahr 2045 kommen 53 Renten-Empfänger auf 100 Erwerbsfähige.

Keine lebensstandardsichernde Funktion

Für zukünftige Rentner-Generationen haben die Aktuare dann auch eher eine pessimistische Einschätzung: Es sei sicher, dass die gesetzliche Rente auch mit einer zusätzlichen kapitalgedeckten Komponente keine lebensstandardsichernde Funktion haben werde. Deshalb fordern sie Reformen bei der betrieblichen und privaten Altersvorsorge. Diese Absicherung sei weiterhin für die Bürgerinnen und Bürger essentiell. „Die Säulen zwei und drei unseres Alterssicherungssystems brauchen aber deutlich mehr Gestaltungsspielraum, um in der andauernden Tiefzinssituation die erwartbaren Versorgungslücken der ersten Säule zu schließen“, erläutert Lucius. Das mache auch eine Neudefinition der Garantieanforderungen erforderlich. „Die bisherige 100-Prozent-Beitragsgarantie verengt unnötigerweise die Anlageoptionen in chancen- und damit renditereichere Investments“.

Sinnvolle Garantien lägen deutlich unterhalb des Beitragserhalts, damit die Versichertenbeiträge nicht vollständig zur Absicherung der Garantien eingesetzt werden müssten und unter Rendite-Risiko-Gesichtspunkten ein bestmöglicher Ertrag erreicht werde, argumentiert Lucius.

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Mit Blick auf die angekündigte Schaffung eines öffentlich verantworteten Fonds sind aus Sicht von DAV und IVS noch zahlreiche Fragen offen. So fokussierten sich alle bislang bekannten Konzepte nur auf die Ansparphase und ließen die hoch komplexe und jahrzehntewährende Auszahlungsphase vielfach außer Acht. „Zudem dürfen die systemischen Risiken eines einzigen billionenschweren Fonds nicht ausgeblendet werden“, warnt Schneidemann. Der Fonds brauche aufgrund seiner Bedeutung bereits von Beginn an Steuerungs- und Governancekonzepte, die gewährleisten, dass er unabhängig agiere. Die beiden Aktuarvereine messen einer Weiterentwicklung des Rentensystems eine ähnliche Bedeutung bei wie dem Kampf gegen den Klimawandel.

PM DAV