Gräfer-Kolumne: Eine Pflichtversicherung allein kann es nicht richten
Kürzlich war ich wieder in einem Gebiet an der Ahr, das sehr stark durch die Jahrhundertflut im Juli getroffen wurde. Die Kameras der Fernsehteams sind inzwischen aus, die öffentliche Wahrnehmung ist kaum mehr vorhanden. Es scheint, als ob die Schäden der Überschwemmungen der Vergangenheit angehören. Mitnichten! Dank der vielen engagierten Helferinnen und Helfer ist dort aufgeräumt. Aber ein Großteil der Schäden ist noch immer nicht behoben. Viele Menschen konnten bislang nicht in ihre Häuser zurückkehren, Gewerbetreibende nicht ihren Geschäften nachgehen. Eine Kolumne von Martin Gräfer, Vorstand der Versicherungsgruppe die Bayerische.
- Eine Pflichtversicherung allein kann es nicht richten
- Politik vergeudet kostbare Zeit
Die Katastrophe ist noch lange nicht überwunden
Aufgrund der stark zerstörten Infrastruktur wird der Wiederaufbau wohl noch Jahre dauern. Unmittelbar nach der Flut war es ohne befahrbare Straßen, ohne Strom oder Wasser und ohne Internetempfang vielerorts lange Zeit kaum möglich vorzudringen oder mit Reparaturmaßnahmen zu beginnen. Auch waren viele Handwerker selbst betroffen und durch die Pandemie Material nur schwer zu beschaffen, was den Wiederaufbau immer wieder verlangsamte. Auch wenn die Presse kaum noch berichtet, ist die Katastrophe nicht überwunden. Der Schaden bleibt wirtschaftlich enorm und die vielen menschlichen Tragödien dürfen nicht vergessen werden.
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Wir als Bayerische haben bisher mehr als 40 Prozent aller gemeldeten Schäden vollständig reguliert und damit sicher vielen Menschen eine Perspektive geben können. Und dennoch sind wir immer noch vollauf damit beschäftigt, alle Schäden zu bearbeiten und unseren Beitrag für die Betroffenen zu leisten. Um einmal konkrete Zahlen zu nennen: Es werden am Ende wohl insgesamt deutlich mehr als 20 Millionen Euro sein, die wir für dieses Ereignis unseren Kundinnen und Kunden zur Verfügung stellen werden. Das entspricht mehr als 10 Prozent der gesamten Beitragseinnahmen unseres Sachversicherers eines Jahres.
Erneut wird über eine Pflichtversicherung für Elementarschäden debattiert
Zahlen, nach denen ein Großteil der Schäden nicht versichert sind und nicht einmal die Hälfte aller Gebäude in Deutschland über eine zusätzliche Elementar-Absicherung verfügt, lassen aktuell erneut Forderungen nach einer Pflichtversicherung aufkommen. Die Justizminister der Länder haben bei ihrer Herbstkonferenz den Weg für eine Arbeitsgruppe freigemacht, die eine solche Pflicht für Hausbesitzer prüfen soll. Erste Ergebnisse sollen im kommenden Frühjahr vorgestellt werden. Verbraucherschützer begrüßen das Vorgehen und sprechen sich ebenfalls für eine Pflichtversicherung aus.
Aber ist eine Pflichtversicherung das Mittel unserer Zeit? Sind wir Bürger nicht selbst in der Lage, solche Entscheidungen zu treffen? Wie viele Monate wollen wir noch ungenutzt verstreichen lassen, ehe wir die Zahl der gegen Elementargefahren abgesicherten Gebäude aktiv erhöhen? Und sollten wir nicht lieber jetzt über alternative Maßnahmen zum Hochwasserschutz und innovative Versicherungslösungen nachdenken? Die nächste Naturkatastrophe wartet nicht bis unsere Regierung im Frühjahr 2022 über erste Ergebnisse diskutiert.
Die Elementarschadenversicherung muss greifbarer werden
Wir werden wohl nicht um eine Pflichtversicherung umhinkommen, die es im Übrigen bis 1994 in Baden-Württemberg ja schon gab. Aber warum man gerade die Eigentümer von Immobilien zwingen muss mit geringem Beitrag einen erheblichen Vermögenswert zu schützen, werde ich wohl nicht mehr wirklich nachvollziehen können. Für mich ist das eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dass gerade Verbraucherschützer fordern, dass man die Verbraucher zwingen soll sich zu schützen, klingt zumindest für mich befremdlich. Aber Fakt ist, dass mehr als die Hälfte der Hauseigentümer beispielsweise in NRW keine Elementarversicherung abgeschlossen haben. Allerdings darf eine Versicherungspflicht keinesfalls dazu führen, dass sich die politisch Verantwortlichen in den Regionen und im Bund aus ihrer Verantwortung ziehen und beispielsweise nicht deutlich mehr investieren, um in den Kommunen besseren Starkregen- oder Hochwasserschutz zu erreichen. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es in bestimmten Bereichen des Ahrtals geplant, Regenwasserrückhaltebecken zu bauen. Diese Pläne wurden damals zu Gunsten des Baus des Nürburgrings wieder verworfen. Sicher ist aber: Prävention in Form von Naturgefahrenschutz nützt der Gesellschaft am meisten.
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Gleiches gilt auch für den Einzelnen. Neben einem angemessenen Versicherungsschutz kommt es auch darauf an, dass Eigentümerinnen und Eigentümer selbst im Bereich Prävention aktiv werden. Das Eigentum kann mitunter mit einfachen Maßnahmen vor beispielsweise Starkregen oder Sturmereignissen geschützt werden. Hierzu hat die Bayerische einen Ratgeber entwickelt, der Hausbesitzern wertvolle Impulse liefert.
Politik vergeudet kostbare Zeit
Statt echte Lösungsansätze zu präsentieren, vergeudet die Politik bereits seit Jahren kostbare Zeit damit, über die Frage einer Pflichtversicherung zu philosophieren – ohne konkrete Beschlüsse. Ich sehe darin schon auch ein besonderes Problem. Gleichsam denke ich aber, dass unsere Branche noch deutlicher auf die Notwendigkeit eines angemessenen Versicherungsschutzes in der Beratung und auch im Rahmen jeder zum Versicherungsvertrag gehörenden Kommunikation hinweisen muss. Es braucht umfassende Aufklärungsarbeit, um gängige Vorurteile und Fehlinformationen aus dem Weg zu schaffen sowie einfache Lösungen, die den vorhandenen Versicherungsschutz des Kunden nicht grundlos verteuern. Denn: Gerade bei älteren Verträgen ist der Einschluss der Elementarschadenabsicherung oft mit einer Umstellung auf den aktuellen Tarif des jeweiligen Anbieters und damit einhergehend auch mit einer erheblichen Mehrprämie verbunden.
Es braucht kreative Angebote und eine gute Beratung
Wir als Bayerische sind aus Branchensicht stark daran interessiert, dass jeder Kunde eine einfache und kostengünstige Absicherung gegen die Folgen von Naturgefahren bekommen kann. Damit ist es uns sehr ernst und wir sprechen unsere Kunden regelmäßig darauf an. Aus diesem Grund haben wir eine reine Elementardeckung auf den Markt gebracht, die unkompliziert zu jeder bereits bestehenden Wohngebäude- oder Hausratversicherung egal bei welchem Anbieter abgeschlossen werden kann. Die hohe Nachfrage gibt uns recht. Nicht zuletzt deshalb sehen wir das Produkt als echte Innovation und als einen möglichen Weg an, das Thema Elementar bei den Kunden attraktiver zu machen.
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Doch nicht nur gute Produkte sind wichtig. Was sich diesen Sommer wieder deutlich gezeigt hat, ist die Relevanz des persönlichen Beraters und einer guten Beratung im Vorfeld. Hier kommt den Fachleuten vor Ort eine vielleicht entscheidende Rolle zu. In den Krisenregionen wie unter anderem an Ahr und Erft waren und sind sie im Dauereinsatz, stehen ihren Kunden Rede und Antwort, helfen wo es nur geht und verstecken sich nicht hinter digitalen Werkzeugen. Denn hier kommt das ins Spiel, was uns Menschen ausmacht: Mitgefühl, Menschlichkeit, Solidarität. Keine App hilft in der Not in diesem Umfang. Die Aufgabe ist nicht nur konsequent auf die Notwendigkeit von Versicherungsschutz hinzuweisen, sondern auch eine Risikoberatung durchzuführen, konkrete Verbesserung beim Schutz der eigenen vier Wände, des eigenen Unternehmens anzuraten und auch als Netzwerker in der Region Dienstleister, Händler und Handwerker mit den eigenen Kunden zu verbinden.
All das zeigt, dass die Versicherungswirtschaft eine Aufgabe hat, die deutlich über den reinen Versicherungsvertrag hinausgeht. Es gibt viele Stellschrauben, an denen wir auch unabhängig von einer Pflichtversicherung noch drehen können. Ich sehe uns als Branche in der Verantwortung, endlich tätig zu werden. Wir sollten nicht geduckt abwarten, bis die Politik uns etwas vorgibt. Stattdessen müssen wir aktiv werden und das tun, was wir am besten können: Versichern, kreative Produkte entwickeln und unseren Kunden aufzeigen, welchen Wert eine Elementar-Deckung hat. Eine Elementarschadenversicherung darf nicht nur im Katastrophenfall in den Fokus rücken. Denn: Die nächste Naturkatastrophe wartet nicht.
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Der Klimawandel ist längst in unseren Breitengeraden angekommen und er führt dazu, dass wir auch in Mitteleuropa verstärkt mit Jahrhundertereignissen wie im Sommer 2021 rechnen müssen. Wenn sich dieser Trend massiv fortsetzt, dann braucht es eine Allianz zwischen Erst- und Rückversicherern, die über das heutige Maß hinausgeht und es braucht wohl auch einen Dritten, der die Kapitalkraft der Versicherungsindustrie für die extremen Ereignisse verstärkt: Und das ist der Staat und hier wohl tatsächlich nicht nur ein Bundesland oder der Bund, sondern auch die EU. Hier kann das Kollektiv der Versicherungswirtschaft um eine europäische Solidarität ergänzt werden, die dazu beiträgt, die schlimmsten Folgen aufzufangen.
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