Versicherer zu aktivistisch in Bekämpfung des Klimawandels?
Versicherer wollen zunehmend keine klimaschädlichen Unternehmen mehr zeichnen: vor allem Konzerne, die mit Kohle und Erdgas ihr Geld verdienen, finden mitunter keinen Versicherungsschutz mehr. Die Industrielobby klagt nun, dies könne negative Konsequenzen haben: und sogar dem Klimaschutz schaden. Doch es sind letztendlich die Versicherer selbst, die unter den Folgen des Klimawandels leiden.
Geht es um das Thema Klimawandel, sind Versicherer wichtige Akteure. Sie verwalten einerseits enorme Summen an Kundengeldern, die sie in Konzerne und Infrastruktur stecken. Und sie versichern die Risiken auch von Unternehmen, die weltweit Rohstoffe abbauen und Energie erzeugen. Allein die Kapitalanlagen der deutschen Assekuranzen beliefen sich nach Aussage des Branchenverbandes GDV im Jahr 2020 auf 1762 Milliarden Euro.
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Doch die Branche will klimaneutral werden: viele große Versicherer haben angekündigt, mittel- bis langfristig aus umweltschädlichen Technologien auszusteigen, speziell aus Kohle und Gas. Das heißt: keine neuen Risiken mehr versichern und auch die Kundengelder nicht mehr in klimaschädliche Firmen investieren. Dabei lassen sich die Anbieter zwar Zeit: bis 2050 will man komplett klimaneutral sein. Aber der entsprechenden Initiative „Net-Zero Owner Alliance“ haben sich die wichtigsten Akteure angeschlossen, unter anderem die Allianz und die Munich Re, größter Rückversicherer der Welt. Auch Versicherer aus anderen Staaten ziehen sich zunehmend aus fossilen Energien zurück.
Firmen müssen mehr Eigenkapital binden
Laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ provoziert das Engagement der Versicherer nun Kritik der Industrielobby. Genauer gesagt des Gesamtverbands der versicherungsnehmenden Wirtschaft (GVNW), der die Interessen der Firmen und Konzerne gegenüber den Gewerbe- und Industrieversicherern vertritt.
Das Münchener Blatt zitiert Stefan Rosenowski, Geschäftsführer des GVNW. Einige Versicherer würden die Bedingungen für vermeintlich umweltschädliche Unternehmen schon heute verschärfen und Kapazitäten deutlich verschärfen. "Wir sehen dieses als einen falschen Druckpunkt auf die versicherungsnehmende Wirtschaft“, sagt er der Süddeutschen. Durch solchen Druck ließen sich Klimaziele nicht kurzfristig umsetzen: auch müssten die Unternehmen Risiken selbst tragen, wenn Versicherer hierfür keinen Schutz gewähren. Er wolle die Kritik aber nicht auf die gesamte Branche angewendet wissen: weil Anbieter immer noch diese Risiken zeichnen und langfristig denken.
Rosenowski warnt zudem, dass der Versicherungsstopp den Wandel zu klimafreundlicheren Technologien behindern könne. Der Grund: Finden die Firmen nicht mehr direkt über einen Versicherer Schutz, müssen sie das Risiko im eigenen Unternehmen tragen. Das funktioniert über sogenannte Captives. Dabei handelt es sich um firmeneigene Erst- und Rückversicherer, die von einem oder mehreren Unternehmen selbst ausgegründet werden. Diese können zwar wiederum selbst Verträge mit Rückversicherern schließen, um speziell teure Schadenereignisse abzufedern. Sie binden aber enorm viel Eigenkapital: Das nach Ansicht des Lobbyisten dann fehle, um es in neue, klimafreundliche Zukunftstechnologien zu investieren.
Ähnlich wie Rosenowski äußert sich Thomas Haukje, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Versicherungsmakler. "Man gewinnt zurzeit den Eindruck, dass von einigen Versicherern die von Politik und Gesellschaft gesetzte Leitplanke als zu weit angesehen wird“, zitiert ihn die Süddeutsche Zeitung. Der indirekte Vorwurf: Die Versicherer wollen die Klimaziele der Politik noch übertrumpfen - und agieren aktivistisch.
Versicherer spüren die Kosten des Klimawandels
Es sind aber letztendlich die Versicherer selbst, die unter den Folgen des Klimawandels leiden. Davor warnte vor wenigen Wochen die französische Klima-Expertin Laurence Tubiana, Geschäftsführerin der European Climate Foundation: eine internationale Stiftung, die sich für eine Vorreiterrolle Europas im Klimaschutz stark macht. Der Grund: Extremwetterereignisse würden verstärkt auftreten: und die Schadenkosten in die Höhe treiben.
Weltweit sei das Jahr 2021 für die Naturkatastrophen-Versicherer bereits das teuerste seit der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 gewesen, sagte Tubiana, eine promovierte Ökonomin, der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Allein die Assekuranzen in Deutschland hätten bereits rund 11,5 Milliarden Euro Kosten verbucht, wie aus Schätzungen des Branchenverbandes GDV hervorgehe. Keinen Klimaschutz zu unterstützen, komme die Versicherer letztendlich teurer, als vermehrt in den Klimaschutz zu investieren.
Entsprechend warnt auch Munich Re auf der hauseigenen Webseite davor, die Risiken des Klimawandels zu unterschätzen. "Das Jahr 2020 war das zweitwärmste bisher und setzte eine Serie fort: Die 19 Jahre seit 2002 zählen zu den 20 wärmsten Jahren seit Beginn der Aufzeichnungen“, heißt es dort. Der weltweit tätige Rückversicherer zählt mögliche Folgen auf: vermehrte Dürren in Teilen der Welt, das verstärkte Auftreten von Waldbränden, Monsune, schwere Gewitter und Tornados.
Wie auch andere Versicherer beruft sich Munich Re darauf, dass man den Klimawandel wissenschaftlich begleite und Daten hierzu liefere: bereits seit fast 50 Jahren. Man unterstütze Firmen zum Beispiel durch Handlungsempfehlungen, heißt es auf der Webseite der Münchener: unter anderem durch Corporate-Responsibility-Strategien, die man gemeinsam mit den Unternehmen erarbeite. Auch unterstütze man Start-ups, die Lösungen für ökosystembasierte Anpassungen entwickeln: Techniken, die helfen sollen, Ökosysteme zu erhalten.
Die Unternehmen sollen tätig werden
Dass einige Versicherer ihre Zeichnungs- und Anlagestrategie auch als Druckmittel auf Unternehmen sehen, daraus machen sie keinen Hehl. "Wir wollen die Transformation zu einer CO2-armen Wirtschaft mit unserer Anlagepolitik aktiv vorantreiben", sagte Andreas Lindner, Chefanleger bei den Lebens- und Krankenversicherungs-Töchtern der Allianz, im Sommer der Nachrichtenagentur Reuters. Und weiter: "Wir wissen, dass wir als großer institutioneller Anleger Einfluss darauf nehmen können, wie Unternehmen produzieren. Es geht uns weniger darum, unser Portfolio zu verändern - vielmehr sollen sich die Unternehmen verändern, in die wir investieren."
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Um Einfluss auf die Unternehmen zu nehmen, entwickle die Allianz mit Partnern Scoring-Modelle, berichtete Lindner weiter. Diese sollen helfen, die Nachhaltigkeit von Firmen einzuschätzen: Wenn Firmen schlecht abschneiden, suche man das Gespräch, um Verbesserungen herbeizuführen. Auch mit der Möglichkeit, dass man sich als Investor zurückziehe. Allein die Allianz und ihre Töchter verwalten nach eigenen Angaben weltweit 1.712 Milliarden Euro an Kundengeldern und Vermögen: große Vermögensverwalter wie PIMCO eingeschlossen.