Jedem dritten Arbeitnehmer droht eine schmale Rente nach 45 Jahren Vollzeitarbeit - so die düstere Prognose, die sich aus statistischen Erhebungen ergibt, die von der Bundestagsfraktion ‚Die Linke‘ erfragt wurden (Versicherungsbote berichtete).

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Im Osten Deutschlands ist das Problem noch gravierender: Dort wäre sogar jeder zweite Arbeitnehmer von einer solchen ‚Mini-Rente‘ betroffen (siehe Tabelle). Linken-Fraktionsvorsitzende Dr. Dietmar Bartsch warnte angesichts der Zahlen: „Insbesondere im Osten baut sich eine Altersarmutslawine auf.“ Dabei sollen doch - mit oder ohne Nachholfaktor - die Renten steigen - und zwar „immer noch sehr ordentlich“, wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil verkündete (Versicherungsbote berichtete).


Wie kommen also die Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland zustande? Im ‚Verteilungsbericht 2021‘ des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) heißt es dazu: „Die Wiedervereinigung vor 30 Jahren erfolgte unter erschwerten Rahmenbedingungen für Ostdeutschland. Es gab praktisch keine industrielle Basis mehr. Die meisten Unternehmen waren nicht konkurrenzfähig und viele Menschen verloren im Zuge der Transformation der Wirtschaft ihre Arbeit. Hunderttausende, vor allem junge Menschen, wanderten in den Westen. Entwicklungen, die tiefgreifende Spuren in Ostdeutschland hinterließen.
Nach anfänglichen Erfolgen mit steigenden Einkommen und steigender Wirtschaftsleistung stagniert der Aufholprozess im Osten der Republik allerdings seit Jahren. So liegt die Wirtschaftsleistung pro Kopf in den neuen Ländern bei lediglich 69 % des West-Niveaus. Das Problem, dass viele Kommunen so stark verschuldet sind, dass sie kaum eigene Infrastrukturprojekte finanzieren können, ist im Osten noch größer als im Westen.“

Nach wie vor ist die Lohnspreizung zwischen West und Ost groß; doch es gibt erhebliche Unterschiede beim Grad der Lohnangleichung zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen, stellt der ‚Verteilungsbericht 2021‘ fest. So betrug der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst im Bereich Erziehung und Unterricht 4.501 Euro (Vollzeit, West). In den östlichen Bundesländern lag dieser Wert bei 4.447 Euro. Im verarbeitenden Gewerbe erhielt ein/e westdeutsche/r Arbeitnehmer/-in monatsdurchschnittlich einen Verdienst von 4.371 Euro, im Osten der Republik lediglich 3.090 Euro. Der geringste durchschnittliche Verdienst wurde im Jahr 2019 im Gastgewerbe mit 2.501 Euro (West) bzw. 2.203 Euro (Ost), der höchste in der Finanz- und Versicherungsbranche mit 5.464 Euro (West) bzw. im Erziehung- und Unterrichtswesen mit 4.447 Euro (Ost) erzielt.

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Für die Gewerkschaft ist klar: vor allem im Osten müssten künftig mehr Beschäftigte von Tarifverträgen profitieren können. Denn in jenen Bereichen, in denen Tarifverträge gelten, ist die Angleichung der Löhne fast abgeschlossen. Allerdings: Während im Westen etwa 56 Prozent der Beschäftigten unter den Geltungsbereich von Tarifverträgen fallen, sind es im Osten nur 45 Prozent. Der DGB fordert deshalb, dass es einfacher werden müsse, Tarifverträge zu erklären, die für alle Unternehmen einer Branche bindend sind. Zudem sollten öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die Tarifverträge anwenden. „Gerade in den neuen Bundesländern würden diese Maßnahmen zu höheren Einkommen beitragen“, so der DGB.

Was dem Osten fehlt

Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) befasste sich mit der Einkommenssituation älterer Menschen in Ost- und Westdeutschland. So stellt das DIW Berlin fest, dass zwar die Rentenbezüge der Ostdeutschen höher sind (siehe Grafik), aber das verfügbare Haushaltseinkommen deutlich geringer ist als in Westdeutschland.


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Bei westdeutschen Haushalten fallen alle anderen Einkommensarten im Alter wesentlich höher aus als im Osten (siehe Grafik). „Es zeigt sich, dass alle Einkommensarten, die im Westen wesentlich höher ausfallen als im Osten, entweder Erbschaften oder einen langjährigen Vermögensaufbau durch Ersparnis voraussetzen, wie durch Sparguthaben oder Wertpapiere, durch Beiträge zu einer privaten oder betrieblichen Altersvorsorge oder durch den Erwerb (und die Entschuldung) von Wohneigentum“, heißt es im DIW-Wochenbericht dazu.


Aus Sicht der Wirtschaftsforscher sind neben einer guten Entwicklung von Beschäftigung und Löhnen in Ostdeutschland auch Reformen bei der privaten und betrieblichen Altersvorsorge notwendig. Langfristig könnte die Lücke in der Altersvorsorge durch eine Kombination aus einer verpflichtenden privaten oder betrieblichen Altersvorsorge und finanzieller Unterstützung durch den Staat geschlossen werden. Zudem sollte die Förderung des Wohneigentums in Ostdeutschland stärker in den Fokus genommen werden, so das DIW Berlin.

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