„Whistleblowing-Richtlinie”: Ich weiß was, was Du nicht weißt…
Die „Whistleblowing-Richtlinie” ist noch nicht in deutsches Recht umgesetzt. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Warum mit dem Aufbau eines Meldesystems begonnen werden sollte und worauf dabei zu achten ist, erklärt Datenschutz-Experte Axel Brand (disphere) im Gastbeitrag.
- „Whistleblowing-Richtlinie”: Ich weiß was, was Du nicht weißt…
- Wen oder was schützt die neue Whistleblower-Richtlinie?
Die Europäische Union (EU) verabschiedete zum 23. Oktober 2019 die Richtlinie (EU) 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden; sogenannte Hinweisgeber oder Whistleblower. Die Mitgliedstaaten waren verpflichtet, diese bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht umzusetzen (nachfolgend: „Whistleblowing-Richtlinie”). Unternehmen ab 250 oder mehr Arbeitnehmern sind nun verpflichtet, interne Meldestellen einzurichten. Für Unternehmen zwischen 50 und 249 Beschäftigten gilt eine Übergangsfrist bis zum 17. Dezember 2023 mit Ausnahmen für juristische Personen des öffentlichen Sektors und des Finanz-, Versicherungs- und Bankensektors, welche unabhängig von ihrer Größe betrachtet werden.
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Deutschland hat die Frist versäumt. Im April 2021 ist die Abstimmung gescheitert, die CDU/CSU lehnte den durch das Bundesjustizministerium im Dezember 2020 vorgelegten Entwurf ab - die noch regierende Große Koalition war nicht in der Lage, sich auf einen gemeinsamen Regierungsentwurf zu einigen. Strittig war insbesondere, dass dieser über die Mindestanforderungen der EU hinausging. Von EU-Seite allerdings wird empfohlen, die Möglichkeit zu nutzen, die Mindestanforderungen auszuweiten, um solidere und umfangreichere Rahmenbedingungen festzulegen. Die Ampel-Fraktionen haben im Koalitionsvertrag angekündigt, die Richtlinie „rechtssicher und praktikabel“ umzusetzen. Zeitliche Angaben werden dazu nicht gemacht. So gelten bisher nur die Mindestanforderungen der Richtlinie, die Umsetzung in nationales Recht dürfte jedoch weiter vorangetrieben werden. Damit ist Deutschland in „guter“ Gesellschaft – nur eines der 27 Mitgliedstaaten hat es geschafft, die Richtlinie zur rechten Zeit umzusetzen.
In Dänemark wurde das Lov om beskyttelse af whistleblowere, also das Gesetz zum Schutz von hinweisgebenden Personen, am 24. Juni 2021 verabschiedet. Einige Mitgliedstaaten haben noch nicht mitgeteilt, ob sie begonnen haben, an der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht zu arbeiten. Die wahrscheinlich wesentlichste Entscheidung, die die Mitgliedstaaten treffen müssen, ist, ob die Erlasse zur Richtlinie nicht nur Verstöße gegen EU-Recht, sondern auch gegen nationales Recht abdecken sollen. Dies würde zu bedeutenden Unterschieden führen. Denn wenn der Anwendungsbereich nicht auf diese Weise ausgeweitet wird, besteht die Gefahr, dass ein Ungleichgewicht im System entsteht, in dem diejenigen, die geringfügige Verstöße gegen das EU-Recht melden, besser geschützt sind als Personen, die schwerwiegende Verstöße gegen das nationale Recht melden.
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Einen Vorschlag, wie hinweisgebenden Personen noch mehr Schutz geboten werden kann, hat Rumänien auf den Weg gebracht. So soll das nationale Gesetz folgendes Abdecken: „Jeden Verstoß gegen eine rechtliche Verpflichtung sowie Handlungen und Unterlassungen, die dem Ziel oder Zweck des Gesetzes widersprechen, einschließlich der Nichteinhaltung ethischer und beruflicher Regeln“. In Schweden gibt es in dem vorgeschlagenen nationalen Gesetz einen Schutz für Personen, die Verstöße gegen schwedisches Recht melden, die zwar keinen Gesetzesverstoß darstellen, wohl aber im Interesse der Öffentlichkeit liegen.
Wen oder was schützt die neue Whistleblower-Richtlinie?
Oft sind es die Beschäftigten eines Unternehmens oder einer Organisation, denen Rechtsverstöße „im beruflichen Kontext“ zuerst auffallen und auch melden. Als Hinweisgeber muss man aber nicht zwingend in einem Unternehmen arbeiten, um unter den Schutzbereich der Richtlinie zu fallen. So könnten beispielsweise auch Zulieferer, Geschäftspartner oder Praktikanten Einblicke in unternehmensinterne Abläufe erlangen, die eine Meldung an eine gesonderte Meldestelle absetzen.
In der Vergangenheit ist dieses oft nicht geschehen, da die Angst vor einer Abmahnung, Kündigung oder anderen, weitreichenden Konsequenzen immer mitschwingt. Hier soll die Whistleblower-Richtlinie vor solchen Risiken schützen. So werden in Artikel 19 der Richtlinie eine Vielzahl von Repressalien schlichtweg untersagt. Zu diesen gehören unter anderem Suspendierung, Kündigung oder vergleichbare Maßnahmen, Herabstufung oder Versagung einer Beförderung oder auch eine negative Leistungsbeurteilung, Mobbing und vieles mehr.
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In Artikel 21 sind dann verschiedene Schutzmaßnahmen für den Hinweisgeber aufgeführt, so muss etwa ein Arbeitgeber nachweisen, dass eine ausgesprochene Kündigung oder eine Abmahnung nicht mit der Aufdeckung von Missständen in Zusammenhang zu bringen ist.
Wie wird gemeldet?
Für eine Meldung ist vorgesehen, dass es verpflichtend interne Meldestellen für Unternehmen gibt bzw. ein externes Hinweisgebersystem bei einer Behörde. Eine öffentliche Bekanntgabe soll nur in Ausnahmefällen zulässig sein (z.B. wenn Unternehmen und Behörden auf eine Meldung nicht reagieren). Die Möglichkeit zur Meldung muss öffentlich bekannt gegeben werden, beispielsweise über die Unternehmenswebseite. Die Meldung muss einfach und in schriftlicher und/oder mündlicher Form möglich sein. Eine Bestätigung des Eingangs ist Pflicht, ebenso wie der Hinweis auf verfügbare, externe Meldestellen. Wird eine Meldung gemacht, darf die Identität nur der Meldestelle gegenüber offen gelegt werden.
Was gilt aktuell?
Da Deutschland die Umsetzung in nationales Recht versäumt hat, ist die Rechtslage unsicher. So gelten Richtlinien nicht direkt auf nationaler Ebene, einzelne Vorgaben können es indes schon, wenn diese inhaltlich unbedingt und hinreichend klar sind.
Richtlinien ohne Umsetzung in nationales Recht können nach ständiger Rechtsprechung des EuGH keine unmittelbare Wirkung zulasten Privatpersonen oder Unternehmen im privaten Sektor (Vereine, AGs oder GmbHs) entfalten. Für Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten gilt ohnehin die bereits erwähnte Übergangsregelung. Anders bei juristischen Personen des öffentlichen Sektors hier muss ein internes Meldesystem mit den Mindestanforderungen eingerichtet sein.
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Was ist zu tun?
Fangen Sie am besten jetzt an, ein internes Meldesystem einzurichten. Die Umsetzung der Richtlinie wird kommen. Haben Sie ein funktionierendes internes Meldesystem, verzichten Hinweisgeber in der ersten Instanz möglicherweise auf den externen Meldeweg bei Behörden oder eine Offenlegung. Schaffen Sie eine Möglichkeit, Hinweise anonym einzureichen. Hierzu sind Sie nicht verpflichtet, doch sind viele Mitarbeiter eher bereit, eine Meldung anonym abzugeben. Wenn die Meldung im Unternehmen anonym möglich ist, wird vielleicht auf das Einschalten einer externen Meldestelle verzichtet. Nutzen Sie die Zeit bis zur verpflichtenden Einführung, Sie können dann besser vorbereitet sein, wenn es heißt, „Ich weiß was, was Du nicht weißt…“
- „Whistleblowing-Richtlinie”: Ich weiß was, was Du nicht weißt…
- Wen oder was schützt die neue Whistleblower-Richtlinie?