Wo steht Deutschland in Sachen Nachhaltigkeit? Um sich einer Antwort anzunähern, soll eine Anekdote dienen, die Ralf Berndt, Vorstand der Stuttgarter, auf der Online-Veranstaltung zum Besten gab: So wollte die Stuttgarter auf dem Dach ihrer Hauptverwaltung eine Photovoltaik-Anlage anbringen lassen. Das Problem: Das Haus steht unter Denkmalschutz. Der Genehmigungsprozess zog sich über zehn (!) Jahre.

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Vor etwas mehr als zehn Jahren erschien auch einer der ersten Artikel auf Versicherungsbote, der sich mit Nachhaltigkeit in der Versicherungs- und Finanzbranche beschäftigte: Ein Rückblick auf den Sustainability-Kongress in Bonn. Einige der wichtigen Themen damals:

  • Alternativen zur Atomenergie
  • verlorenes Vertrauen der Verbraucher und Glaubwürdigkeit der Finanzbranche
  • Rolle der Kapitalanleger
  • Inflation des Begriffs Nachhaltigkeit

Diese Themen fanden sich in der ein oder anderen Form auch in der Online-Debatte von Versicherungsforen. So rückte die Frage, ob Atomenergie als 'grün' einzustufen ist, kurz vor der Veranstaltung in den Fokus der Öffentlichkeit. Denn die Europäische Union plant, Investionen in Atomkraft und Gas als nachhaltig zu betrachten. Doch wie auch immer die Entscheidung letztlich ausfällt, Zurich-Vorstand Björn Bohnoff brachte es auf den Punkt: „Niemand wird gezwungen, in Atomkraft zu investieren.“ Bohnhoff betonte die Bedeutung der Versicherer, um die Transformation der Wirtschaft zu beschleunigen. Dabei sieht er die Versicherer in drei Rollen:

  1. als Kapitalgeber für ‚grüne Projekte‘ wie beispielsweise Off-Shore-Windparks
  2. als ‚Wächter‘, um zu verhindern, dass Geld in kritische Branchen fließt
  3. und schließlich müssten Versicherer ihrer Rolle als Investor gerecht werden und beispielsweise ihre Stimmrechte auf Aktionärsversammlungen auch wahrnehmen

Doch wird dieser Einfluß auch genutzt? Aus Sicht von Prof. Dr. Christian Klein (Lehrstuhl für Sustainable Finance an der Uni Kassel) wird die Politik die Versicherer auf die ein oder andere Weise dazu zwingen. In diesem Zusammenhang, meinte Klein, sei die Taxonomie-Verordnung ein ‚Game Changer‘. Insbesondere der Mittelstand werde sich ob der Berichtspflichten „die Augen reiben“, so Klein.

Wer fragt, gewinnt

Grünes Geld und Nachhaltigkeit - Themen, für die sich anfangs nur ein harter Kern begeistern ließ, füllen inzwischen die Titelseiten der Publikumsmedien - auch das eine Beobachtung aus 2011.

Doch es dauerte mitunter lange bis sich dieser Trend in den Büchern der Versicherer und Fondsgesellschaften messen ließ. Inzwischen macht die ‚grüne Rente‘ bei der Stuttgarter ein Drittel des Neugeschäfts aus; bei Zurich sind etwa 40 Prozent des Neugeschäfts ‚grün‘.

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Prof. Klein zu den Ursachen dafür: „Fragt man die Kunden danach, warum sie keine ‚grüne‘ Geldanlage nutzen, kommt oft als Antwort: ‚Mein Vermittler hat mich nicht gefragt‘. Fragt man umgekehrt die Vermittler, so lautet die Antwort: ‚Meine Kunden fragen so etwas nicht nach‘.
Und Klein nennt noch einen Aspekt, der Vermittler davon abhält, das Thema anzusprechen: Die Furcht davor, der Kunde könnte sich besser mit der Materie auskennen. Zurich-Manager Björn Bohnhoff beschreibt das Problem so: Wie wird sichergestellt, dass der Kunde auch das bekommt, was er wollte?

Weiterbildung ist der Schlüssel

Dafür bräuchte es, so Prof. Klein, so etwas wie ‚grüne Grundbildung‘. Damit alle Beteiligten unter den verwendeten Begriffen das Gleiche verstehen und wissen, was gemeint ist. Am Willen der Vermittler würde das wohl nicht scheitern. So berichtet Berndt von sehr regem Interesse an den Weiterbildungsveranstaltungen der Stuttgarter (zum Beispiel auf profino). Allerdings zeigen Studien regelmäßig, wie es um die - nicht weniger notwendige - Finanzbildung der Deutschen bestellt ist. Warum das grundsätzlich bei ‚Nachhaltigkeits-Bildung‘ anders sein sollte, erschließt sich nicht.

‚Grünes Engagement’ muss erlebbar gemacht werden

Auf dem eingangs erwähnten Sustainability-Kongress war auch Zukunftsforscher Matthias Horx zu Gast. Seine Einschätzung damals: die Zukunft gehöre jenen, die Geldanlage begreifbar und erlebbar machen, bei denen die Verbraucher nachvollziehen und gutheißen können, was ihr Geld konkret bewirkt, während es angelegt ist.

Dieses ‚erlebbar-machen‘ von grünen Engagement findet sich bei allen drei Anbietern - in jeweils ganz eigener Ausprägung. So kann bei der Stuttgarter sehr detailliert nachvollzogen werden, wohin das Geld fließt, welche Projekte in welcher Art und Weise (PDF) unterstützt werden. Auch Zurich-Manager Bohnhoff legt Wert darauf. Er verwies in diesem Zusammenhang u.a. auf die Renaturierung von Mooren. Die Zurich übernahm im Juli 2021 die Patenschaft für ein Hochmoor im Chiemgau.

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Aus Sicht von Uwe Mahrt (Pangaea) ist dieser Aspekt sogar entscheidend. „Nachhaltigkeit gibt die Gelegenheit, mit potenziellen Kunden aus einem ganz anderen Blickwinkel über Versicherung und Kapitalanlage zu sprechen“, so Mahrt gegenüber Versicherungsbote. Die Formulierung mit ‚anderem Blickwinkel‘ kommt dabei nicht von ungefähr: Denn die grünen Immobilien-Projekte von Pangaea können sich Interessenten mit 3D-Brille anschauen. ‚Grünes Engagement‘ gibt der Versicherungsbranche auch die Chance, ein bisschen ‚sexy‘ zu werden, so Mahrt.

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