Entgeltumwandlung - die Stunde der Wahrheit könnte schon bald schlagen!
Tickt zukünftig eine „Zeitbombe mit unkalkulierbarer Sprengkraft“ innerhalb der bAV? Diese Frage stellt sich Michael Schramm, bAV Ökonom und gerichtlich zugelassener Rentenberater, in einem Kommentar beim Versicherungsboten.
- Entgeltumwandlung - die Stunde der Wahrheit könnte schon bald schlagen!
- Die Interpretation der Versicherungswirtschaft
- Was, wenn die Zusage nicht wertgleich ist?
Seit 01.01.2022 ist ein tiefgreifender Paradigmenwechsel bei Rentenversicherungsverträgen zur betrieblichen Altersversorgung (bAV) festzustellen. Die meisten Versicherungsgesellschaften garantieren selbst bei einer Vertragslaufzeit von mehr als 35 Jahren eine Leistung, die (weit) weniger als den eingezahlten Beiträgen entspricht. Sind solche Verträge für die bAV zugelassen? Tickt zukünftig eine „Zeitbombe mit unkalkulierbarer Sprengkraft“ innerhalb der bAV?
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Zur Erinnerung
Die Entgeltumwandlung ist als Bestandteil der betrieblichen Altersversorgung im Gesetz fest verankert. Seit dem 01.01.2002 besteht sogar ein Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer. Im Betriebsrentengesetz (BetrAVG) ist unter Paragraf 1 Abs.2 Nr.3 nachzulesen: „Betriebliche Altersversorgung liegt auch vor, wenn künftige Entgeltansprüche in eine wertgleiche Anwartschaft auf Versorgungsleistungen umgewandelt werden.“
Arbeitgeber haben bei der bAV große Freiheit in Sachen Ausgestaltung. Laut BetrAVG kann die Durchführung unmittelbar über den Arbeitgeber erfolgen, oder über einen externen Versorgungsträger vorgenommen werden. Für die Erfüllung der zugesagten Leistung steht der Arbeitgeber grundsätzlich immer ein (Paragraf 1 Abs.1 Satz3 BetrAVG).
In den letzten 20 Jahren wurde aus verschiedenen Gründen immer wieder darüber diskutiert, was wohl eine „wertgleiche Anwartschaft“ ist? Zunächst galt: wertgleich ist, wenn mindestens die eingezahlten Beiträge plus ein Inflationsausgleich garantiert werden. In den letzten Jahren hat sich dann die Meinung verfestigt, dass mindestens die Summe der eingezahlten Beiträge garantiert sein muss. Eine gesetzliche Regelung gibt es hierzu leider nicht, und so müssen in der Zukunft Gerichte entscheiden, was unter Wertgleichheit zu verstehen ist.
Bundesarbeitsgericht gibt seit 2009 Hilfestellung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich bereits 2009 ausführlich mit dem Thema beschäftigt (Urteil – 3 AZR 17/09). In der Urteilsbegründung finden sich zahlreiche Anhaltspunkte zur Auslegung einer wertgleichen Zusage.
Wann muss Wertgleichheit vorliegen?
Hier ist das BAG erfreulicherweise eindeutig: „Die Frage, ob dem Erfordernis der Wertgleichheit Rechnung getragen ist, muss bei Abschluss der Entgeltumwandlungsvereinbarung beantwortet werden. In diesem Zeitpunkt müssen die künftigen Entgeltansprüche einerseits und die durch die Entgeltumwandlung zu erzielende Anwartschaft auf Versorgungsleistungen andererseits, miteinander verglichen werden.“ Damit stellt das BAG klar, dass ein vages zusätzliches Versorgungsversprechen (mögliche Versorgungsleistung) für die Beantwortung der Frage zur Wertgleichheit, keine Rolle spielt.
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Was ist Wertgleichheit?
Hier bleibt auch das BAG in seinem Urteil sehr allgemein und lässt jede Menge Interpretationsspielraum. Zitat: „Deren Wert muss sich bei objektiver wirtschaftlicher Betrachtung entsprechen und damit 'gleich' sein. Dabei kommt versicherungsmathematischen Grundsätzen jedenfalls bei Abschluss einer Direktversicherung entscheidende Bedeutung zu.“
Die Interpretation der Versicherungswirtschaft
Viele Versicherungsgesellschaften legen die Vorgaben zu einer wertgleichen Zusage so aus, dass die Summe der eingezahlten Beiträge minus Risiko-, Vertriebs- und Verwaltungskosten wohl ausreichend sein dürfte. Einige Versicherungsgesellschaften lassen den Arbeitgebern die Wahlmöglichkeit eine Garantie mit den Beschäftigten zu vereinbaren, die zwischen 90 Prozent und 60 Prozent der eingezahlten Beiträge entspricht.
Angebotsvergleich mit teilweise erschreckenden Zahlen
Ein Praxisbeispiel belegt das Dilemma für Arbeitgeber anschaulich:
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Angenommen, ein Unternehmen möchte eine Entgeltumwandlung für einen Mitarbeiter (geb. am 01.02.1990) mit einem monatlichen Beitrag von 230 Euro (200 Euro Entgeltumwandlung und 30 Euro Arbeitgeberzuschuss) einrichten. Um zu prüfen, ob ein Versicherungsangebot die Anforderungen an die Wertgleichheit erfüllt, kann vereinfacht wie folgt vorgegangen werden:
Beitragssumme bis zum 67.Lebensjahr = 96.600 Euro (230 Euro x 12 x 35 Jahre). Bei einer statistischen Lebenserwartung von 90 Jahren (96.600 Euro : 23 Jahre : 12 Monate), sollte eine Rente von ca. 350 Euro pro Monat zu erwarten sein (bei 0 Prozent Verzinsung). Hiervon könnten jetzt noch Abschläge nach „versicherungsmathematischen Grundsätzen“ vorgenommen werden.
Wer jetzt versucht, ein vergleichbares Angebot einer Versicherungsgesellschaft einzuholen, wird feststellen, dass die Gesellschaften „versicherungsmathematische Grundsätze“ sehr weit auslegen. Bei einem Vertragsabschluss zum 01.02.2022 mit einem monatlichen Beitrag von 230 Euro und einer Laufzeit von 35 Jahren, liegen die garantierten Kapitalbeträge zwischen 57.960 Euro und 95.716 Euro und die dazugehörigen monatlichen Garantierenten zwischen 147,97 Euro und 249,73 Euro.
- Allianz (Tarif StRFKU1GD/60 Prozent) Garantie: 147,97 Euro Monatsrente oder 57.960 Euro Kapital
- WWK (Tarif FVG22) Garantie: 200,70 Euro Monatsrente oder 77.280 Euro Kapital
- Allianz (Tarif StRFKU1GD/90 Prozent) Garantie: 221,96 Euro Monatsrente oder 86.940 Euro Kapital
- HDI (Tarif Two Trust Selekt) Garantie: 226,28 Euro Monatsrente oder 87.398 Euro Kapital
- Nürnberger (Tarif NIR3201VK3) Garantie: 234,54 Euro Monatsrente oder 90.079 Euro Kapital
- Bayerische (Tarif KlassikRente) Garantie: 237,63 Euro Monatsrente oder 90.835,46 Euro Kapital
- Alte Leipziger (Tarif AR10WAR10) Garantie: 249,73 Euro Monatsrente oder 95.715,53 Euro Kapital
Es braucht schon jede Menge Fantasie, hier eine wertgleiche Versorgungszusage abzuleiten. Soweit versicherungsmathematische Grundsätze bei der Betrachtung im Vordergrund stehen, sollten objektive wirtschaftliche Betrachtungen nicht ausgeschlossen sein. Bei einer monatlichen Betriebsrente von nur 147,97 Euro beispielsweise, müsste der Betriebsrentner 121 Jahre alt werden, um wenigstens die einbezahlten Beiträge als Rente ausbezahlt zu bekommen. Kaum vorstellbar, dass so ein Vertrag als wertgleich anzusehen ist. Aber selbst beim vermeintlich besten Angebot, muss der Betriebsrentner das 99.Lebensjahr erreicht haben, um zumindest die eingezahlten Beiträge als Rente erhalten zu haben.
Was, wenn die Zusage nicht wertgleich ist?
Zumindest an diesem Punkt ist das Bundesarbeitsgericht in seiner Urteilsbegründung von 2009 wieder eindeutig: „Soweit der Kläger eine der Höhe nach unzureichende Versorgungsanwartschaft erhält und soweit deshalb die Entgeltumwandlung einer Rechtskontrolle nicht standhält", löst dieser Rechtsmangel lediglich eine Verpflichtung der Beklagten zur 'Aufstockung' der Versorgung aus.
Paragraf 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG gebietet es, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer anstelle des umgewandelten Arbeitsentgelts eine wertgleiche Altersversorgung zusagt. Wenn die zugesagte Versorgung nach den Maßstäben des Paragraf 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG unzureichend ist, hat der Arbeitgeber die Versorgung soweit aufzustocken, dass dem Wertgleichheitsgebot genügt ist.
Die Aufstockung der betrieblichen Altersversorgung entspricht dem gesetzlichen Ziel, sowohl für einen Ausbau der betrieblichen Altersversorgung zu sorgen, als auch den Arbeitnehmer vor unzureichenden Versorgungszusagen zu schützen.“
Damit ist es an den Unternehmen zunächst Regularien für eine Wertgleichheit zu definieren und diese gegebenenfalls aufzustocken, wenn eine gerichtliche Überprüfung ein Ungleichgewicht aus Entgeltumwandlung und Versorgungszusage ergibt.
Die Umsetzung in der Praxis
Unternehmen sollten bei der Einrichtung einer Entgeltumwandlung darauf achten, dass eine wertgleiche Zusage erteilt wird. Soweit die Umsetzung der Entgeltumwandlung mit Hilfe eines Versicherungsvertrages erfolgt, gilt besondere Aufmerksamkeit. Im (gerichtlichen) Zweifel ist von erheblichen Ausgleichszahlungen auszugehen.
Deshalb sollten Arbeitgeber von einer beteiligten Versicherungsgesellschaft eine schriftliche Erklärung fordern, dass der jeweilige Versicherungstarif die Anforderungen an die Wertgleichheit nach Paragraf 1 Abs.2 Nr.3 BetrAVG erfüllt und ggf. Ausgleichszahlungen durch den Versicherer übernommen werden.
Es ist zu beobachten, dass immer mehr Unternehmen bei der Umsetzung von Entgeltumwandlungsmöglichkeiten auf die traditionellen Durchführungswege vertrauen. Wird die Entgeltumwandlung beispielsweise im Durchführungsweg Direktzusage umgesetzt, gibt es keinerlei Zweifel an einer wertgleichen Zusage, wenn folgende Parameter eingehalten werden:
Mitarbeiter, geb. 01.02.1990, Beitrag 200 Euro, Zuschuss 30 Euro, Renteneintritt 67.Lebensjahr. Bei einem monatlichen Beitrag von 230 Euro ergibt sich eine Beitragssumme von 96.600 Euro.
- Bei einen Prozent Verzinsung 115.605 Euro = 468 Euro Rente pro Monat bis 90.Lebensjahr
- Bei zwei Prozent Verzinsung 139.480 Euro = 629 Euro Rente pro Monat bis 90.Lebensjahr
Entgeltumwandlung in den traditionellen Durchführungswegen Direktzusage und Reservepolster Unterstützungskasse bedeutet auch, dass die beim Mitarbeiter einbehaltene Liquidität (Gehaltsverzicht) vollständig im Unternehmen verbleibt und hier gemessen am eigenen Return on Investment (ROI) nutzbar gemacht wird. Da ein ROI von mehr als fünf Prozent pro Jahr eher als Regel denn als Ausnahme gilt, haben Unternehmen ausreichend Spielraum für eine angemessene Zusage und zusätzliche eigene betriebswirtschaftliche Vorteile.
Ein Arbeitgeber kann somit im Zuge einer Entgeltumwandlung eine Rente zusagen, die zwei bis vier mal höher ist als eine vergleichbare Garantierente eines Versicherungsunternehmens, und zusätzliche Liquiditätsreserven bilden. Es ist ebenfalls problemlos möglich, eine Rentenbezugszeit zu kalkulieren, die über die statistische Lebenserwartung hinaus geht.
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Der Autor Michael Schramm (Kanzlei RPUK Dienstleistung), bAV Ökonom und gerichtlich zugelassener Rentenberater, ist seit mehr als 20 Jahren für Unternehmen, deren Beschäftigte und diverse Beratungshäuser im Bereich der betrieblichen Altersversorgung tätig. Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) hat die Arbeitsweise von Schramm geprüft und im Anschluss zertifiziert. Beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) wurde eine Listung als „qualifizierter Berater“ für das Programm „Förderung unternehmerischen Know-hows“ im Bereich der betrieblichen Altersversorgung vorgenommen.
- Entgeltumwandlung - die Stunde der Wahrheit könnte schon bald schlagen!
- Die Interpretation der Versicherungswirtschaft
- Was, wenn die Zusage nicht wertgleich ist?