Ein Video ging diese Woche viral und sorgte im Netz für heftige Diskussionen – der tschechische Multimillionär und Bauunternehmer Radim Passer raste mit seinem Bugatti Chiron über einen unbegrenzten Abschnitt der A2 und hielt Tacho- und GPS-Daten auch noch mit Handy fest. Bei 417 km/h lag die Spitzengeschwindigkeit, die der Mann erreichte – zum Teil freihändig. Nachdem die Polizei – zögerlich – aufgrund des Vorfalls Ermittlungen aufgenommen hat und sich selbst das Bundesministerium für Digitales und Verkehr zu einer Stellungnahme genötigt sah, streiten sich viele auf sozialen Plattformen, ob eine solch schnelle Fahrt nun erlaubt sei oder nicht.

Anzeige

Der Vorfall polarisiert: Verständnis und Empörung

Der Vorfall spaltet die Meinungen. So finden sich auf der einen Seite Verteidiger der Aktion: Der Bugattifahrer hätte „per se niemanden gefährdet“, schreibt ein Mann auf Facebook unter einem Artikel zum Vorfall. Das Sicherheitsproblem ginge vielmehr von jenen Fahrern auf der Autobahn aus, die „selbst nur 100 oder 120“ fahren. Das Argument: Man würde den Vorfall unnötig skandalisieren, um ein Tempolimit einzuführen.

Ein Diskussion zum Tempolimit könnte auch das FDP-geführte Bundesministerium für Digitales und Verkehr fürchten: Die Stellungnahme klingt seltsam vage. Man lehne „jedes Verhalten im Straßenverkehr ab, das zu einer Gefährdung von Verkehrsteilnehmern führe oder führen könnte“, ließ Bundesminister Volker Wissing verlauten. Der Vorfall berührt einen für die Ampelkoalition wunden Punkt: Die Grünen fordern ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen, was die FDP wiederum ablehnt.

Für viele Menschen hingegen ist eine solche Raserei ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, die unnötig auch weitere Menschenleben gefährdet – auch die Empörung im Netz ist groß. Der Focus schreibt von einer „irren Raser-Szene“, in der Berichterstattung kommt das Wort „irre“ mehrfach vor. Wie aber ist die Fahrt juristisch zu bewerten?

Wehe, wenn es zu einem Unfall kommt

Eindeutig ist die Rechtsprechung zumindest dann, wenn es zu einem Unfall kommt: Der Raser trägt stets eine Mitschuld. Grundlage ist Paragraf 3 der Straßenverkehrsordnung (StVO): Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Für Autobahnen gibt es hierzu die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h.

Richtgeschwindigkeit 130 als juristischer Maßstab

Anders, als von vielen gedacht, ist die Geschwindigkeit von 130 km/h für Autobahnen keineswegs nur eine Orientierungshilfe. Vielmehr besitzt sie auch juristische Relevanz. Kommt es nämlich zu einem Unfall mit mehr als 130 km/h, muss der Schnell-Fahrende beweisen, dass der Unfall für ihn auch bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h nicht zu vermeiden gewesen wäre.

Und spätestens ab einer Geschwindigkeit von 200 km/h ist dieser Beweis aus juristischer Sicht nicht mehr möglich. Das zeigt ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz (Az. 12 U 313/13): Ein Mann war mit 200 km/h auf ein ausscherendes Auto aufgefahren – aufgrund eines Fahrfehlers des Unfallgegners (vorangegangen war ein doppelter Fahrstreifenwechsel). Weil der Auffahrende aber aus Sicht des Unfallverschulders zu schnell fuhr, wurde er zur Feststellung einer Mitschuld verklagt. Mit Erfolg: Das Gericht bescheinigte dem Angeklagten – trotz Fahrfehler der klagenden Partei – eine Teilschuld von 40 Prozent.

Anzeige

Mit 200 stets eine Gefahr

Denn der Raser hätte beweisen müssen, dass er den Unfall auch bei 130 km/h nicht hätte verhindern können. Das aber kann er bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h per se nicht, wie das Gericht beschied. Der Senat des Oberlandesgerichts schrieb in den Urteilsgründen: „Eine Geschwindigkeit im Bereich von 200 km/h ermöglicht es in der Regel nicht mehr, Unwägbarkeiten in der Entwicklung einer regelmäßig durch das Handeln mehrerer Verkehrsteilnehmer geprägten Verkehrssituation rechtzeitig zu erkennen und sich darauf einzustellen. Diese Gefahr hat sich nach der Überzeugung des Senats im vorliegenden Fall in geradezu klassischer Weise verwirklicht.“

Wer rast, verliert den Versicherungsschutz

Wer rast, verliert zudem den Versicherungsschutz. Auch das zeigt ein Urteil, das zu einer Geschwindigkeit von 200 km/h gefällt wurde: Die Kürzung einer Schadensumme aus der Kaskoversicherung war laut Oberlandesgericht Nürnberg rechtens, weil der Unfallverursacher schneller unterwegs war als mit Richtgeschwindigkeit (Urteil vom 02.05. 2019, Az.: 13 U 1296/17).

Ein Mercedes-Fahrer hatte seine Kfz-Versicherung verklagt, nachdem diese sich geweigert hatte, den Gesamtschaden an einem Leihwagen zu ersetzen. Der Mann war mit 200 km/h in eine Leitplanke gerast und überlebte wie durch ein Wunder, er bekam dann aber Ungemach mit seiner Versicherung.

Anzeige

Tempo 200 selbst bei Idealbedingungen grob fahrlässig

Die Klage aber war erfolglos, denn tatsächlich handelte der Mann aufgrund der hohen Geschwindigkeit grob fahrlässig. Habe der Mann doch „seine verkehrserforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt“, betonten die Richter des Oberlandesgerichtes. Das begründeten sie mit dem enorm hohen Tempo und den daraus erwachsenden Risiken.

Konkret heißt es im Urteilstext: „Das Befahren einer öffentlichen Straße mit einer derartigen Geschwindigkeit beinhaltet ein hohes Gefahrenpotential und ist deshalb in nahezu allen Staaten der Welt, insbesondere in allen entwickelten Industrienationen – außer in Deutschland –, verboten. International üblich sind zulässige Höchstgeschwindigkeiten von maximal 130 km/h, häufig liegen sie auch noch niedriger.“

Zwar habe sich der deutsche Gesetzgeber bisher nicht entscheiden können, seine Regeln an diese Standards anzupassen, heißt es weiter. Dennoch gebe die Autobahn-Richtgeschwindigkeits-Verordnung hier eine deutliche Empfehlung vor. Die lautet: Tempo 130 sollte selbst bei günstigen Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen nicht überschritten werden. Denn die Unfallgefahren nehmen selbst unter Idealbedingungen so stark zu, „dass sie bei verantwortungsbewusster Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr dort nicht gefahren werden sollten.

Wie ist die Rechtslage ohne Unfall?

Wie aber verhält es sich, wenn es nicht zu einem Unfall kommt? Die Rechtslage in Deutschland ist widersprüchlich. Denn die zitierten Urteile stimmen in der Annahme überein, dass Fähigkeiten des Menschen, auf hohes Tempo zu reagieren, begrenzt sind. Zugespitzt formuliert provozieren Raser die Fehler anderer Verkehrsteilnehmer, weil sie so schnell sind.

"Wer schneller als 130 km/h fährt, vergrößert in haftungsrelevanter Weise die Gefahr, daß sich ein anderer Verkehrsteilnehmer auf diese Fahrweise nicht einstellt, insbesondere die Geschwindigkeit unterschätzt", schreibt in einem weiteren Urteil mit dem Aktenzeichen VI ZR 62/91 der Bundesgerichtshof (BGH).

Beging der Raser eine Straftat?

Aber ab welcher Geschwindigkeit riskiert man nicht nur die Haftung, sondern begeht eine Straftat? Maßgebend für diese Frage ist Paragraf 315c Strafgesetzbuch (StGB). Allerdings handelt nach diesem Paragrafen nur grob verkehrswidrig und rücksichtslos, wer „an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt.“

Zu diesem Problem erklärt der Anwalt Christian Solmecke auf Youtube: Der Fahrer des Bugatti könnte argumentieren, dass die Autobahn bei seiner 400 km/h-Fahrt ja übersichtlich gewesen sei. Folgt man aber der Rechtsprechung, könnte man dagegen einwenden: Unübersichtlich wird es ja auch dann, wenn man sehr, sehr schnell fährt, also die Geschwindigkeit bedingt dann ja, dass es nicht mehr übersichtlich ist. Kurz: Kann man bei einer Fahrt mit 400 km/h überhaupt noch die „Übersicht“ haben?

Je höher die Geschwindigkeit, desto größer der „Tunnelblick“

Führen doch hohe Geschwindigkeiten zum so genannten „Tunnelblick“: Man schaut angespannt nach vorne und kann Dinge, die sich am Straßenrand oder auf einer anderen Spur befinden, nur noch beschränkt wahrnehmen. Im Nahbereich des Fahrzeugs sind die seitlichen Bereiche der Straße vom menschlichen Auge nicht mehr als Bild auflösbar. Dadurch wird es nicht nur aufgrund der Reaktionszeiten bei hohem Tempo unwahrscheinlich, auf unerwartete Ereignisse zu reagieren – man sieht schlicht vieles gar nicht, auf das man reagieren müsste. Schon deswegen ist es eine Illusion, mit einer solchen Geschwindigkeit „sicher“ zu fahren.

Aus diesem Grund überrascht, dass die für den Autobahnabschnitt zuständige Magdeburger Polizei bei über 400 km/h keinen Strafbestand erkannte, zumal sich auch weitere Fahrzeuge auf der Autobahn befanden. Dies berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung: Erst nach Kritik wurden Ermittlungen aufgenommen. Die Ermittlungen allerdings berufen sich auf einen anderen Tatbestand.

Anzeige

Denn nach Paragraf 315d Strafgesetzbuch ist es verboten, dass sich ein Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dieser Passus macht es auch möglich, einen Fahrer wegen eines illegalen Autorennens zu verklagen, obwohl er nicht gegen einen Gegner fuhr.

Seite 1/2/3/