Nach Ansicht von Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund, ist die gesetzliche Rente noch nicht fit genug, um sich auf wandelnde Erwerbsbiographien einzustellen. „Hinsichtlich der Anpassung an die veränderten Erwerbsbiografien ist sicher noch einiges zu tun. Die häufiger werdenden Wechsel zwischen abhängiger und selbstständiger Erwerbsarbeit oder die gleichzeitige Ausübung von beiden Erwerbsformen – die sogenannte hybride Erwerbsarbeit – führen oftmals ebenso zu Sicherungslücken wie die sogenannte Plattformarbeit, Stichwort „crowdworking“, sagte Roßbach in einem Interview mit „Aktuar Aktuell“.

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Viele Unternehmer ohne ausreichende Altersvorsorge

Derzeit unterliegen nur bestimmte selbstständige Tätigkeiten der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Hierzu zählen Handwerker und Hausgewerbetreibende, Künstler und Publizisten, Hebammen und freiberufliche Lehrer sowie Selbstständige mit einem festen Auftraggeber. Das heißt: in der Zeit der Selbstständigkeit zahlen viele keine Beiträge mehr oder nur geringere Summen, falls sie hybrid beschäftigt sind. Sie erwerben niedrigere Rentenansprüche oder können dann die notwendige Zahl an Versicherungsjahren nicht erfüllen, um eine auskömmliche Rente zu erhalten. Welche Berufsgruppen versicherungspflichtig sind, regelt das Sozialgesetzbuch VI (SGB VI, Paragraph 2).

Selbstständige können auf Antrag in der Rentenversicherung pflichtversichert werden: innerhalb von fünf Jahren nach der Existenzgründung. Alternativ können sie auch freiwillig Mitglied in der Rentenversicherung werden. Die Aufwendungen lassen sich gegenüber dem Fiskus als Sonderausgaben geltend machen. Hierfür ist 2022 ein Höchstbetrag von 25.639 Euro vorgesehen: maximal sind in diesem Jahr 94 Prozent absetzbar. Im Gegenzug werden die ausgezahlten Renten steuerpflichtig.

Dennoch verzichten viele Menschen darauf, sich in Zeiten der Selbstständigkeit über die gesetzliche Rente abzusichern: und sorgen auch privat nicht ausreichend vor. Fehlende Flexibilität und bürokratische Hindernisse sind Gründe hierfür, aber auch geringe Einkommen und fehlendes Vertrauen in die gesetzliche Rente. Eine ältere Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin ergab, dass rund 700.000 Unternehmer in Deutschland gar keine oder nur eine viel zu niedrige Altersvorsorge haben. Demnach verzichten 57 Prozent aller Unternehmer auf Zahlungen in die Rentenkasse. Die Coronakrise hat das Problem verschärft. Bei einer repräsentativen YouGov-Umfrage im Auftrag der Ergo 2021 gaben 46 Prozent der Selbstständigen an, weniger oder gar kein Geld für die Altersvorsorge zurücklegen.

Doch selbst die Debatten um eine Altersvorsorgepflicht beziehen selten den Fakt ein, dass viele Menschen zwischen Selbstständigkeit und Angestelltenverhältnis pendeln bzw. beides zeitgleich verbinden. „Hier brauchen wir die Einführung einer Altersvorsorgepflicht für bisher nicht abgesicherte Selbstständige, wie sie im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung vereinbart wurde“, sagt Roßbach. Eine Altersvorsorgepflicht halte sie für einen sinnvollen Reformschritt, „da Selbstständige gegenwärtig ein deutlich höheres Risiko in Bezug auf Grundsicherungsbedarf im Alter aufweisen als abhängig Beschäftigte. Es geht daher nicht in erster Linie um die Finanzierung der Rentenversicherung, es geht darum, dass durch die Einbeziehung der Selbstständigen in die obligatorische Alterssicherung vermieden wird, dass die Betroffenen im Alter in Armut fallen – und dass die Gesellschaft dann im Rahmen der Grundsicherung dafür aufkommen muss“, so die DRV-Präsidentin.

200.000 Euro Beitrag für Grundsicherungs-Niveau

Vorgesehen ist nach den bisherigen Modellen, dass Selbstständige zukünftig gesetzlich rentenversichert sind - solange sie nicht widersprechen und eine private Alternative nachweisen. Dass viele Unternehmer hierzu keinen Anreiz sehen -erst recht, wenn sie kein großes Einkommen haben- zeigen Berechnungen der DRV für das „Handelsblatt“. Um eine Bruttorente von 933 Euro zu erzielen, was -abzüglich der zu erwartenden Sozialabgaben im Rentenalter- in etwa der Grundsicherung entspricht, müssten sie nach derzeitigem Stand 45 Jahre lang monatlich 370 Euro einzahlen: oder 30 Jahre lang 550 Euro im Monat. Das sind knapp 200.000 Euro, um eine Rente auf Grundsicherungs-Niveau zu erreichen: allerdings unter Absicherung des Langlebigkeitsrisikos, denn sie wird bis an das Lebensende gezahlt.

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Fraglich ist auch, welche privaten Lösungen erlaubt sein sollen, um nicht in die Rentenversicherung einzahlen zu müssen. Die Altersvorsorge soll „insolvenz- und pfändungssicher“ sein, heißt es. „Müssen Versicherer und Fondsgesellschaften wie bei Riester den Erhalt der eingezahlten Beträge garantieren, besteht die Wahlmöglichkeit nur auf dem Papier“, sagt der WirtschaftsWoche Rentenberater Andreas Irion. Denn Garantien sind im Niedrigzins-Umfeld teuer und müssen mit festverzinslichen Anlagen wie Anleihen unterfüttert werden: Renditechancen bieten derartige Lösungen aktuell kaum.