‚Finanzen kannst Du selbst‘ prangt auf der Startseite von Finanztip. Ein Anspruch, der auch auf den Social Media-Kanälen von Finanztip seine Fortsetzung findet und sogar erweitert wird. Denn ‚Finanz-Heros‘ helfen auch Verwandten und Bekannten bei deren Finanzangelegenheiten, meint Finanztip und sucht solche Helden auf Instagram.

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Die Hilfe dieser Helden soll sich aber nicht nur auf Handy-Tarife oder Zeitschriften-Abos beschränken. Als ein Beispiel, wie man „ganz leicht“ zum Finanz-Hero seiner Großeltern oder älteren Bekannten werden kann, schreibt Finanztip auf Instagram: „Opa traut sich nicht, den PKV zu wechseln / Mit einem Tarifwechsel der privaten Krankenversicherung lassen sich oft tausende Euro sparen. Schaut Euch zusammen an, welche Leistungen unnötig sind und ob es passendere Tarife gibt. // Auch in den Standard- oder Basistarif zu wechseln ist keine Schande. Sie leisten gleich viel wie die GKV.“ (siehe Screenshot; Rechtschreibung übernommen)


Der Beitrag wurde am 17. April veröffentlicht; 2.040 der über 170.000 Follower drückten seitdem ‚gefällt mir‘ (Stand 27.4.2022). Auch auf Facebook findet sich der Beitrag, wo er 22x geliked wurde. Doch unter den Instagram-Nutzern gibt es auch kritische Stimmen. So merkt der Nutzer ‚pascal.rds' an, dass es „suboptimal“ wäre, den Wechsel in den PKV-Basistarif als ‚gute Option‘ darzustellen. „Bitte nicht mit Großeltern über PKV reden. Da macht ihr zu 90% mehr kaputt, als das ihr gutes tut…“, warnt ‚niklas.duebrock' in den Kommentaren zu dem Finanztip-Posting. Und der Nutzer ‚mari0ge' schreibt sogar: „Grenzwertig!! Was soll das hier sein? Anstiften zur Falschberatung in Sachen PKV??? Kinder lasst die Finger von der PKV eurer Omas und Opas!! Wenn ihr glaubt, dass sie zu teuer sein könnten, sucht euch Hilfe bei einem Versicherungsberater oder Versicherungsmakler! Eure Großeltern werden euch dafür lieben und ihr seid dann doch noch Heros, ohne ahnungslos alles zu vermurxen.“

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Ganz ähnliche Gedanken kreisten auch in der Versicherungsbote-Redaktion. Deshalb fragte Versicherungsbote bei drei Verbänden von Versicherungsvermittlern an, ob in diesem Posting eine Aufforderung zur erlaubnispflichtigen Versicherungsberatung zu lesen sei. Für die Interessengemeinschaft Deutscher Versicherungsmakler (IGVM) antworte Vorstands-Mitglied und Schriftführer Michael Melchert. Er begleitete in den letzten Jahren alle Gerichtsverfahren die durch IGVM-Mitgliedsunternehmen angestrengt wurden. Melchert hält den Finanztip-Aufruf für ‚reinen Journalismus‘: „Es wird keine Beratung angeboten, kein Versicherungsvergleich dargestellt, es ist keine Vorbereitung zu einem Versicherungsvertrag feststellbar und auch kein Mitwirken an dem Abschluss einer Versicherung. Daher sehe ich den §1a VVG in Verbindung mit § 59 (1) als nicht erfüllt.“

„Kritikwürdig ist der Aufruf von Finanztip allemal“

So sieht es auch Michael H. Heinz, Präsident des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute (BVK): „In Deutschland wird die Meinungsfreiheit weit ausgelegt. Daher lesen wir diesen Social Media-Post noch nicht als eine Aufforderung zur erlaubnispflichtigen Versicherungsberatung, sondern eher als einen allgemeinen und von der Meinungsfreiheit gedeckten Hinweis, den eigenen PKV-Tarif zu überprüfen. Im Post selber werden auch keine konkreten Tarifhinweise und Prämieneinsparungen thematisiert. Insofern kann man noch nicht von einer Beratung sprechen.“ Auf die Frage, was von solchen ‚Laienberatungen‘ zu halten sei, antwortet Heinz: „Wie gesagt halten wir solche – in unseren Augen ärgerlichen – Hinweise noch nicht für Beratungen. Dennoch sehen wir solche Posts mit appellativen Charakter als ungeeignet an, Versicherten wirklich weiter zu helfen. Hier ist vielmehr die Expertise der Versicherungsvermittler die richtige Adresse, um konkret und qualifiziert zu beraten. Aber es gehört bei manchen Medien, wie bei dem von Ihnen zitierten, bedauerlicherweise dazu, mit solchen Posts Aufmerksamkeit zu erzeugen und das meistens vorhandene Sparmotiv der Leser anzuregen.“

Versicherungsbote fragte auch beim Bundesverband Finanzdienstleistungen (AfW) nach. Dessen Vorstand Rechtsanwalt Norman Wirth sieht wettbewerbsrechtlich keinen Ansatz, da nicht zu einer gewerblichen Tätigkeit aufgerufen wird. Doch Gewerbsmäßigkeit ist die Voraussetzung für die Zulassungspflicht, so der Fachanwalt für Versicherungsrecht. Aber Wirth führt weiter aus: „Kritikwürdig ist der Aufruf von Finanztip allemal. Nicht umsonst gibt es die Vorgaben zur Qualifizierung, Weiterbildung, Vermögensschadenshaftpflichtversicherung, Beratung und Dokumentation bei der gewerblichen Versicherungsberatung und -vermittlung. Das ist was für Fachleute und nicht für Laien. Jemandem wegen einer gewissen Ersparnis zu raten, von einem Volltarif in den Basisschutz der PKV zu wechseln, ist schon mehr als gewagt. Schwer vorstellbar, dass ein Laie die damit verbundenen, erheblichen Konsequenzen überblickt. Finanzbildung ist gut und extrem wichtig. Dazu tut Finanztip auch seinen Teil. Das ist positiv hervorzuheben. Aber gerade bei komplexen und beratungsintensiven Produkte müssen Profis ran. Zum Gegenteil aufzurufen, ist negativ hervorzuheben.“

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Versicherungsbote fragte auch bei Finanztip nach und machte dabei auf deren eigenen Ratgeber zum PKV-Tarifwechsel aufmerksam. Dort heißt es: „Wichtig ist, dass der Berater Dir die Unterschiede zwischen Deinem bisherigen Tarif und den möglichen Alternativen genau erklärt. Er sollte aufzeigen, welche Leistungen sich bei einem Tarifwechsel verschlechtern oder verbessern würden. Bestehe auf einer verständlichen, schriftlichen Übersicht über die Leistungen und Unterschiede der Tarife. So kannst Du die Vor- und Nachteile eines Wechsels in Ruhe abwägen.“ Diesen Anspruch müsste doch auch der Enkel, der im Finanztip-Szenario seine Großeltern zum PKV-Tarifwechsel berät, erfüllen? Steht das im Widerspruch zum Instagram-Posting, in dem der Eindruck erzeugt wird, Tarifwechselberatung könne auch ohne Sachkunde erbracht werden?

Finanztip ergänzte in seiner Antwort das Zitat aus dem PKV-Tarifwechsel-Ratgeber: „Der angebotene Tarif enthält nicht unbedingt dieselben Leistungen wie Dein alter Tarif. Vergleiche deshalb genau. Dabei kannst Du Dich von einem Versicherungsmakler oder -berater oder einer Verbraucherzentrale unterstützen lassen. Unsere Übersicht bietet Orientierung, welche Leistungen wichtig sind.“ Und schreibt dazu: „Natürlich kann jede Enkelin und jeder Enkel dem Opa vorschlagen, sich gemeinsam seine Verträge anzusehen. Informationen für das Vorgehen findet unsere Community in unserem Ratgeber.“

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Schade ist allerdings, dass sich die Instagram- und Facebook-Nutzer den Hinweis auf den PKV-Tarifwechsel-Ratgeber selbst hinzudenken müssen. Er fehlt sowohl auf dem Schaubild als auch im Begleit-Text. Die einzige Verbindung zwischen dem Instagram-Posting und dem PKV-Tarifwechsel-Ratgeber wurde durch die Fragestellung von Versicherungsbote hergestellt. Wie gelegen Finanztip die eigene Community ist, zeigt sich auch an der Tatsache, dass auf die eingangs erwähnten Kritiken bei Instagram bis heute nicht reagiert wurde.

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