Kiefer unterbreitet einen Katalog an Maßnahmen, wie die Situation entschärft werden könnte. Eine Maßnahme: mehr Geld vom Bund. Er plädiert dafür, dass sich der Bund stärker und dauerhaft an den Ausgaben beteiligt, die nicht zum Kern der Aufgaben einer Pflegeversicherung gehören. Ein Beispiel sind Rentenbeiträge für pflegende Angehörige, für die allein im kommenden Jahr drei Milliarden Euro anfallen würden. Diese Beiträge seien eine staatliche Sozialleistung und müssten durch einen Bundeszuschuss gegenfinanziert werden.

Anzeige

Auch Kiefer kritisiert, dass die steigenden Kosten in der Pflegeversicherung derzeit vor allem von den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen geschultert werden müssen. Ein weiterer Reformvorschlag: Um Pflegeheim-Bewohner bei den Investitionskosten von durchschnittlich 466 Euro zu entlasten, sollen die Bundesländer verstärkt einspringen und in die Pflege-Infrastruktur investieren. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Eigenanteile stärker an das Alterseinkommen zu koppeln: Starke Schultern müssten dann folglich mehr tragen, Menschen mit kleinen Altersbezügen weniger.

Pflegende Angehörige: seltener im Fokus?

Doch teils prekär gestaltet sich auch die Situation für diejenigen, die Angehörige zuhause pflegen: noch immer das am Weitesten verbreitete Modell in Deutschland. Rund 3,3 Millionen Menschen mit Pflegegrad bzw. Pflegestufe werden laut Statistischem Bundesamt zuhause umsorgt. Vielfach gelingt dies nur, indem Angehörige – insbesondere Frauen – ihre Arbeitszeit reduzieren oder die Arbeit sogar ganz aufgeben, um Menschen zuhause zu betreuen. Dies ist verbunden mit entsprechenden Einkommens-Einbußen sowie mit Problemen, dann wieder voll in den Job einzusteigen.

Etwa jede(r) elfte Beschäftigte muss aktuell Job und Pflege unter einen Hut bringen, so ergab eine Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) aus dem Jahr 2018. Dieser Anteil dürfte mittlerweile sogar noch gestiegen sein. Und 71 Prozent der pflegenden Angehörigen klagen, dass sie Probleme haben, Beruf und Pflege zu vereinbaren – für 16 Prozent ist dies sehr häufig, für dreizehn Prozent oft und für 42 Prozent selten der Fall. Am häufigsten geben vollzeitbeschäftigte Frauen an, Probleme mit der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu haben: Hier sind 78 Prozent betroffen. Auch der Anteil pflegender Angehöriger wird in Zukunft zunehmen, weil die Gesellschaft altert. Demzufolge sind entsprechende Lösungen gefragt, damit die Personen keine Nachteile in Job und Karriere erdulden müssen.

Ein weiteres Problem: Gerade in ländlichen Regionen, wo viele ältere Menschen leben, fehlt es an mobilem Pflegepersonal. Eine bundesweite Befragung des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) aus dem Jahr 2019 zeigt entsprechende Engpässe: Von 535 befragten ambulanten Pflegediensten gab mehr als die Hälfte (53 Prozent) an, dass benötigte Stellen für Pflegefachpersonen seit mindestens drei Monaten nicht besetzt werden konnten. 80 Prozent der Dienste berichten zudem, in den letzten drei Monaten Versorgungs-Anfragen abgelehnt zu haben, weil sie die Pflege nicht hätten sicherstellen können. Dreizehn Prozent der Dienste geben sogar an, in den letzten drei Monaten Klienten gekündigt zu haben, weil sie deren Versorgung nicht sicherstellen konnten.

Anzeige

Laut ZQP-Studie scheidet viel Pflegepersonal zudem in den nächsten Jahren altersbedingt aus. „Die Frage muss erlaubt sein, wie das Versprechen von einer bedürfnisorientierten, menschenwürdigen Pflege sowie von besser unterstützten pflegenden Angehörigen zukünftig eingelöst werden soll“, kommentierte Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des ZQP, die Ergebnisse.

vorherige Seite
Seite 1/2/