Jörg Arnold,Jörg Arnold,CEO Swiss Life DeutschlandSwiss LifeIch schreibe diese Zeilen als Vorstand eines Unternehmens, das davon lebt, dass junge Menschen auch in Zukunft Chancen haben und langfristig eigenverantwortlich handeln können.

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Selbstbestimmt zu leben ist allen Generationen wichtig. Doch zwischen den Generationen scheint diese Solidarität „einseitig“ abhandengekommen zu sein. Die Corona-Pandemie ist in vielerlei Hinsicht eine Zerreißprobe für unser generationenübergreifendes Miteinander geworden und brachte zum Vorschein, was längst Realität ist. Ob Klimaschutz, Staatsverschuldung, Altersversorgung oder der Bereich der Bildung und Digitalisierung – wir denken viel zu sehr im Hier und Jetzt. Nur zu oft gibt es in unseren Diskussionen nur Schwarz oder Weiß. Die goldene Mitte, sie fehlt. Und uns der Mut, Entscheidungen so zu treffen, dass sie langfristig richtig sind für die nächste Generation.

Denn die Freiheit und Unabhängigkeit der einen bedingt die Rücksicht für die Bedürfnisse der anderen. Nicht für uns Ältere im Heute, sondern für die junge Generation. Wir brauchen den entschlossenen Blick nach vorn: Damit Deutschland lebenswert bleibt, wir uns als Gesellschaft weiter entfalten können, Wohlstand und Freiheit auch für die Generationen nach uns real und erlebbar bleiben. Wenn wir das wollen, müssen wir uns endlich bewusst machen, dass wir mehr Generationengerechtigkeit brauchen – mit einem Mehr an Füreinander.

Mit der Einführung des umlagefinanzierten Rentensystems vor mittlerweile 65 Jahren wurde der Begriff des Generationenvertrags populär. „Wer heute arbeitet, finanziert die Renten von morgen“, so simpel lautete der Pakt, der lange hielt. Sehenden Auges aber haben wir den richtigen Zeitpunkt verpasst, um diesem Solidarvertrag rechtzeitig ein Update zu verpassen, das in die Zukunft trägt. Heute blicken wir auf eine überbordende Staatsverschuldung und eine demografische Entwicklung, die wir den jungen Menschen von Beginn an als Bürde mitgegeben haben. Es bringt nichts, den Kopf weiter in den Sand zu stecken. Wir müssen handeln. Es ist eine Frage der Haltung, ob wir aus den gemachten Fehlern lernen wollen. Deshalb brauchen wir eine Initiative für Generationengerechtigkeit.

Fast 80 Prozent unserer neuen Kundinnen und Kunden sind Menschen unter vierzig Jahren, die Hälfte ist sogar unter 30. Was wir in den Gesprächen mit ihnen erleben und erfahren, sind Aufbruchstimmung und Begeisterungsfähigkeit – und vor allem der aufrichtige Wunsch, die eigene Zukunft selbst zu gestalten.

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Pater Martin, der ehemalige Abt des Klosters Einsiedeln in der Schweiz, sagte mir einmal: „Bei normalen Fragen wende ich mich an die alten Mönche. Bei großen Problemen aber, da gehe ich zu den jungen.“ Gerade in diesen Zeiten, könnte das uns helfen. Mit vier Punkten möchte ich eine Diskussion anstoßen, wie wir als Gesellschaft dazu beitragen können.

1. Jungen Menschen eine Stimme geben

Unsere Bevölkerung wird immer älter. In den letzten zwanzig Jahren stieg unser Durchschnittsalter um fast vier Jahre. Obwohl sich der neu gewählte Bundestag etwas verjüngt hat, ist unsere Volksvertretung mit durchschnittlich 47 Jahren nochmals rund drei Jahre älter als der Querschnitt unserer Gesellschaft. Vermutlich auch deshalb finden die Interessen und Bedürfnisse der jungen Menschen zu wenig Fürsprache. In unseren Debatten und Entscheidungen müssen sie aber mehr Gehör finden.

Warum sprechen wir über sie, statt mit ihnen zu reden? Bieten wir jungen Leuten doch die Bühne, schenken wir ihnen unser Ohr und Handeln. Ist es eigentlich nicht sinnvoll, eine Mindestquote an jungen Menschen in unsere politischen Entscheidungsgremien zu holen, die den Interessen der rund 36 Millionen unter Vierzigjährigen ganz natürlich Gehör verschaffen? Wie schon bei der Schuldenbremse könnte man eine Art „Gerechtigkeitszusatz“ in unserer Verfassung festschreiben, dass Entscheidungen immer vor dem Hintergrund der langfristigen Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen zu treffen sind. Durch die Institutionalisierung der Generationenfairness müssten Kriterien gesellschafts-, sozial-, umwelt- und wirtschaftspolitischer Natur von Anfang an besser abgewogen werden. Und die einseitige Diskussions- und Entscheidungskultur hätte endlich ein Ende.

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2. Zur Teilhabe befähigen

Die Jugend ist voll Initiative und Tatendrang. Das Wohl ihrer Umgebung, Soziales, Werte und der eigene Schaffensdrang sind ihnen wichtig, wie zahlreiche Jugendstudien bestätigen. Darauf sollten wir bauen. Im Vergleich zu vielen Generationen zuvor, haben wir das Glück, dass die junge Generation immer mündiger und eigenständiger denkt, handelt und lebt.

Setzen wir doch Vertrauen in die Eigenverantwortung der jungen Leute. Bei großen gesellschaftlichen Themen und Entwicklungen sollte es doch unser Anspruch sein, den Nachwuchs so zu befähigen, dass sie ihre Zukunft und die unserer Gesellschaft frühzeitig selbst gestalten können. Trauen wir ihnen etwas zu und unterstützen wir sie dabei mit bester – und vor allem zeitgemäßer – Bildung, die die Lebenswirklichkeit besser trifft. Viele von ihnen wünschen sich mehr Kenntnisse in Technologie, Finanzen und Unternehmertum. Eben das, was für ein selbstbestimmtes Leben nötig ist. Wissen ist die Basis für Teilhabe – und die Weichen dafür werden schon sehr früh gelegt.

3. Aus Fehlern lernen

Machen wir es besser! Die Vergangenheit lehrt uns: Ein Bewusstsein für die kritische Auseinandersetzung mit bisherigen Entscheidungen ist unbedingt notwendig. Wir sollten es als Stärke begreifen, eine Fehleranalyse zu erlauben, statt es in ein Eingeständnis von Schwäche umzudeuten. Die Erfahrungen aus Schulden-, Corona- und Klimakrise sind doch eine Chance für uns. Wir haben gesehen, dass es bei großen Herausforderungen wissenschaftlicher Expertise bedarf, um faktenbasiert zu handeln und möglichst unvoreingenommen und frei von weltanschaulichen oder politischen Interessen den Weg zum Ziel zu definieren, statt das jeweilige Ziel in epischen Diskussionen zu hinterfragen. Die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen, stärkt das Vertrauen in die Handlungsstärke unseres Staates und macht die Gesellschaft resilient für kommende Herausforderungen.

4. Aktiv und gemeinschaftlich handeln

Das Wichtigste ist aber, jetzt aktiv zu werden und zu handeln. Der Handlungsbedarf und die Prioritäten sind eindeutig. Wenn wir nichts tun, verlieren wir wertvolle Zeit. Zeit, die wir nicht haben. Die großen Themen unserer Zeit – von Klima bis Rente –, erfordern nicht nur ein Bewusstsein für die Interessen der jungen Menschen, sondern auch eine sinnvolle Verteilung der Aufgaben, schließlich haben diese Themen auch nachhaltigen Einfluss auf das Leben der nächsten Generationen. Gemeinsam sind wir stärker und die Verantwortung erfordert es, zusammen zu handeln.

Die Frage der Generationengerechtigkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit und macht die Kräfte von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen notwendig. Gerade jetzt, wo wir uns nach Frieden sehnen.

Die Herausforderungen sind darüber hinaus so groß und neben der Bewältigung der Coronaund Klimakrise muss auch die Altersversorgung in Deutschland zukunftsfest gestaltet werden. Auch hier braucht es eine Kraftanstrengung, doch auf viele Schultern verteilt wird es leichter. Das Gemeinsame ist auch immer das Verbindende – in Zeiten wie diesen auch von unverkennbarem Wert.

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Die Generationengerechtigkeit muss wieder ganzheitlich gedacht und prominent auf die politische Agenda gesetzt werden. Sie ist eine Herausforderung für uns alle. Schaffen wir das, machen wir einen großen Schritt hin zu einer nachhaltigeren und modernen Gesellschaft – in der gerade die junge Generation mit größerer Zuversicht in die Zukunft blicken und ihre eigene Zukunft vor allem mitgestalten kann. Das Potential dafür steckt in uns, trauen wir es uns zu.

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