Gräfer-Kolumne: Nachhaltiges Equilibrium - Steht die Ökologie über allem?
Wieder einmal spukt seit Wochen das böse Wort „Greenwashing“ durch die Finanzrubriken deutscher Medien. Wieder einmal schwebt ein Generalverdacht schwerer über unserer Branche, als Gewitterwolken nach einem schwülen Hochsommertag. Unabhängig davon, ob die Kritik in Einzelfällen berechtigt ist, frage ich mich: Übersehen wir vor lauter Bäumen den ganzen Nachhaltigkeits-Wald?
Rendite ist nachhaltig
An was denken Sie, wenn Sie das Wort Nachhaltigkeit hören? Vermutlich an dampfende Amazonaswälder, Biotonnen, Windräder und Tofuschnitzel. Alles nicht falsch. Doch warum eigentlich nicht an Rendite? Wohnt dieser doch ein genuin nachhaltiges Versprechen inne – in diesen inflationsgeplagten Zeiten mehr denn je.
Als Versicherer eint uns der Anspruch, unseren Kundinnen und Kunden nach Rentenbeginn ein Leben frei von materieller Not und damit verbundenen physischen wie psychischen Folgen zu ermöglichen. Denn Altersarmut ist leider auch im reichen Deutschland nicht nur auf dem Vormarsch, sie ist längst angekommen – und die gesetzliche Rente sichert den Lebensstandard für die Mehrheit schon lange nicht mehr. Ein Fakt, der sich aufgrund der unumkehrbaren demographischen Entwicklung auch nicht ändern lassen.
Eine alternde Gesellschaft, in der viele Rentnerinnen und Rentner von der Hand in den Mund leben, kann keine nachhaltige sein. Das zeigen unzählige Länder des globalen Südens, in denen arme Menschen leider weiter täglich darum kämpfen müssen, genug zu essen und ein Dach über dem Kopf zu haben. Für Gedanken um Klima und Planeten bleibt da keine Zeit: denn Wohlstand schafft die Voraussetzung für ökologisches Engagement.
Womit wir wieder bei der Rendite wären: Denn neue Höchststände bei der Inflation und gleichzeitig weiterhin kaum existente Zinsen auf dem Bankkonto zwingen uns dazu, mit dem uns anvertrauten Kundengeld eine bestenfalls über dem Inflationsniveau liegende Durchschnittsrendite zu erwirtschaften. Aus sozialer und aus ökologischer Notwendigkeit. Stellten wir ökologische Aspekte über alle anderen, brächte uns das vielleicht kurzfristigen Applaus von Umwelt-NGOs, unserem Auftrag einer ganzheitlichen Nachhaltigkeit würden wir nicht gerecht werden. Kurzum: Rendite zählt als nachhaltig – solange diese nicht auf Kosten des Planeten erwirtschaftet wird, sondern im Idealfall im Einklang mit ihm.
Per Dreieck ins Gleichgewicht
Ja, Medien und Verbraucherschützer mögen uns die Pistole auf die Brust setzen. Doch statt überhastetem Aktivismus in nur eine Richtung, sollten wir uns selbstbewusst für den eben skizzierten ganzheitlichen, und im Wortsinne langfristig nachhaltigen Weg der ökologischen, sozialen und ökonomischen Verantwortung stark machen. Indem wir dieses nachhaltige Dreieck gegen allzu eindimensionale Konzepte in Stellung bringen, zeigen wir Kunden und Öffentlichkeit, dass der nachhaltige Wandel auf mehr als einer Säule ruhen muss.
Hiermit wären wir bei einer weiteren aktuellen Frage: Sind die nach der EU-Transparenzverordnung „dunkelgrünen“ Artikel-9-Fonds in dieser Hinsicht wirklich den „hellgrünen“ Artikel-8-Fonds überlegen? Zweifel sind vor allem dann berechtigt, wenn die in der Einstufung angelegte Priorisierung des Ökologie-Aspekts zulasten der Rendite geht – und ein höheres Risiko für das Kundengeld bedeutet. In diesem Fall haben wir es vielleicht mit einem ökologischen Vorzeigeprodukt zu tun, mit einer ausgewogen nachhaltigen Lösung für Kunden, Gesellschaft und Planeten jedoch keineswegs.
Verschiedene Ansätze und Meinungen zu diesem Thema sind nicht nur erlaubt, sondern wichtig. Am Ende muss der Kunde entscheiden, welche nachhaltigen Lösungen zu seinen Bedürfnissen passen. Damit er das kann, darf ein Faktor aber nie zur Disposition stehen - die Transparenz. Zeigen wir den Menschen wo, wie und warum wir Geld so anlegen, wie wir das tun. Zeigen wir auf, warum wir ökologische Kriterien angesichts von Umweltzerstörung und Klimakrise in jeder Investitionsentscheidung unbedingt berücksichtigen müssen. Erklären wir zugleich, warum wir auch Rendite-Gesichtspunkte und soziale Aspekte im Sinne der individuellen und gesellschaftlichen Nachhaltigkeit keinesfalls aus den Augen verlieren dürfen.
Nachhaltigkeit hat viele Gesichter. Zukunft hat sie nur, wenn wir keine Facette vernachlässigen. An uns liegt es, den Begriff im Sinne einer ganzheitlichen Vision zu prägen, dabei stets transparent zu bleiben und Menschen für unseren Weg zu begeistern.