Was ist eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) - und lohnt sich der Abschluss eines solchen Schutzes? Diese Frage wird wiederholt auch in den Medien diskutiert. Zielgruppe sind oft Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich nicht sicher sind, ob sie eine solche Versicherung brauchen. Aktuell präsentiert das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ ein entsprechendes Erklärstück, das allerdings hinter einer Bezahlschranke versteckt ist.

Anzeige

Zweitwichtigste Privatversicherung nach Haftpflicht

Grundsätzlich wird der Abschluss empfohlen. Das Thema betreffe „alle Menschen, die ihre Arbeitskraft benötigen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen“, heißt es. Die Autorin beruft sich hierbei auf Sandra Klug von der Verbraucherzentrale Hamburg, die sagt, eine BU sei die zweitwichtigste Absicherung nach der Privathaftpflicht.

Im Artikel wird explizit hervorgehoben, dass die BU der einzige vollwertige Schutz zur Absicherung der Arbeitskraft ist. „Alternativen, wie zum Beispiel Unfall-, Schwere-Krankheiten- oder Grundfähigkeitsversicherungen bleiben hinter dem Schutz einer BU-Versicherung weit zurück“, wird Verbraucherschützerin Klug zitiert. Positiv aus Sicht der Branche: Es wird dazu geraten, sich professionell vor Abschluss einer BU beraten zu lassen.

Zugleich aber gibt es im Erklärstück auch erneut erneut Kritik an den Versicherern - wenn auch indirekt formuliert. So verweist die Verfasserin explizit darauf, dass nicht jeder eine BU abschließen könne. Aufnahme und Beitragshöhe würden sich nach Alter, Vorerkrankungen und Berufsweg richten. „Für viele Arbeitende sind die Beiträge damit schlicht zu teuer, oder sie werden aufgrund ihrer Krankheitsgeschichte abgelehnt“, heißt es.

So sei es auch nicht ganz eindeutig, ob alle eine BU-Police abschließen sollten, wenn sie es könnten. Dies sei eine Einzelfallentscheidung. Im Anschluss werden Punkte aufgeführt, die gegen eine BU sprechen würden:

Gründe, die gegen BU sprechen könnten

  • Hohe Aufschläge für Vorerkrankungen und Risikoberufe: Vorerkrankungen sorgen für hohe Zusatzprämien.
  • Renten oft zu niedrig vereinbart: Der Abschluss einer BU lohne sich erst ab einer bestimmten Rentenhöhe. So sollte die Rente über den Leistungen von ALG II und Wohngeld liegen, da sonst der Staat die Rente anrechnen könne. Im Text wird betont: Es gehe darum, den Lebensstandard zu sichern, nicht das Existenzminimum. Tatsächlich klagen auch viele Vermittlerinnen und Vermittler, dass die vereinbarten Berufsunfähigkeits-Renten oft deutlich zu niedrig sind: In 2018 betrug die durchschnittlich ausgezahlte Monatsrente bei Berufsunfähigkeit 629,25 Euro. Als Faustregel gilt, dass mindestens zwei Drittel des monatlichen Nettoeinkommens als monatliche Extra-Rente abgesichert sein sollten.
  • Berufsunfähigkeit oft nur temporär: In vielen Fällen bestehe das Risiko einer Berufsunfähigkeit nur temporär und die Betroffenen können wieder in den Beruf zurückkehren. Doch hier wird darauf hingewiesen, dass dies eher kein Grund gegen den Abschluss einer BU sei: Wie lange eine BU bestehe, lasse sich nicht abschätzen, dementsprechend auch keine Rechnung aufstellen, in welcher Höhe Rücklagen notwendig seien.
  • Benachteiligung von Teilzeitarbeit: Teilzeitbeschäftigte würden möglicherweise benachteiligt, da es für sie schwieriger sei, die geforderte 50prozentige Berufsunfähigkeit nachzuweisen. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden sei das deutlich einfacher als bei 20 Stunden Wochenarbeitszeit. Das ist ein Punkt, der auch von Vermittlern kritisch diskutiert wird. Einerseits müssen auch Teilzeitkräfte dieselben strengen Gesundheitsfragen beantworten und denselben hohen Beitrag wie ein in Vollzeit Berufstätiger zahlen, wenn sie einen BU-Vertrag abschließen. Andererseits sind bei ihnen die Hürden deutlich höher, bis sie überhaupt eine Rente zugesprochen bekommen. Sie müssen im Grund weit stärker gesundheitlich geschädigt sein, um vom Versicherer Geld zu erhalten. Gerade für Frauen, die immer noch öfter als Männer für die Erziehung von Kindern und Pflege Angehöriger in Teilzeit wechseln, kann dies nachteilig sein. Hier wird im Spiegel-Artikel darauf hingewiesen, dass erste Versicherer bereits mögliche Nachteile mit einer Teilzeitklausel ausgleichen.

In keiner anderen Sparte Ablehnungsquote höher?

Als einer der wichtigsten Gründe, die gegen eine BU sprechen würden, wird aber erneut die vermeintlich hohe Ablehnungsquote genannt - beziehungsweise die „Unsicherheit, ob die Versicherung im Zweifelsfall leistet“. Hier wird indirekt wieder der Vorwurf an die BU-Versicherer laut, sie seien Neinsager und würden auch bei berechtigten Ansprüchen eine Rente oft verweigern.

Statistische Daten zu dieser Behauptung nennt der Spiegel nicht. Stattdessen wird Jürgen Hennemann zitiert, Fachanwalt für Versicherungsrecht aus Buchholz bei Hamburg. „Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass Sie eine trügerische Sicherheit haben“, wird Hennemann zitiert. Mit einer BU-Police erwerbe man auch die Wahrscheinlichkeit einer gerichtlichen Auseinandersetzung, weil die Versicherung sich weigere, die Rente zu zahlen. „Meiner Erfahrung nach sind in keiner anderen Versicherungssparte die Erträge größer, in keiner anderen ist die Ablehnungsquote höher“, sagt der Jurist.

Anzeige

Die Versicherungsbranche wehrt sich vehement gegen das Image als Neinsager - auch anhand statistischer Zahlen. Knapp 80 Prozent aller Leistungsanträge werden in der Berufsunfähigkeitsversicherung bewilligt, rechnet der Branchenverband GDV vor. Wenn bis dahin auch einige Zeit vergehe: Im Schnitt dauere es 106 Tage bis zur Bewilligung der Rente, also knapp dreieinhalb Monate. Auf ähnliche Werte kommt das Analysehaus Franke & Bornberg, das Stichproben von BU-Leistungsfällen aus dem Jahr 2019 untersucht hat. Demnach gehen vier von fünf Leistungsentscheidungen (79,04 Prozent) zu Gunsten der Versicherten aus. Hier könnte man einwenden: Wenn jeder fünfte Vertrag abgelehnt wird, ist das immer noch vergleichsweise viel.

Gründe für abgelehnte BU-Rente

Wenn ein Antrag abgelehnt werde, sei der wichtigste Grund, dass nach Ansicht des Versicherers der BU-Grad nicht erreicht werde, berichtet der GDV. Dies sei in 46 Prozent aller Fälle die Ursache, wenn der Versicherer „nein“ sagt. Zweitwichtigste Ursache für Ablehnungen: die sogenannte Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht. Fast jeder achte nicht bewilligte BU-Antrag (14 Prozent) wird aus diesem Grund zurückgewiesen. Hier wird dem Versicherten angelastet, dass er beim Ausfüllen des Antrages auf Versicherungsschutz bzw. den Gesundheitsfragen falsche oder unvollständige Angaben machte, etwa Vorerkrankungen verschwieg.

Dritthäufigste Ursache für abgelehnte BU-Renten: 13 Prozent der BU-Anträge scheitern, weil sich der Versicherte für längere Zeit nicht mehr zurückmeldet: auch auf Nachfrage. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der Arzt eine Berufsunfähigkeit nicht attestieren möchte oder sich der Gesundheitszustand des Betroffenen gebessert hat.

Morgen & Morgen

Wie gehen die Rechtsstreite um BU-Rente aus?

Interessant ist mit Blick auf die Ablehnungsquote, wie oft Rechtsstreite um eine BU-Rente zugunsten der Versicherungsnehmer ausgehen, wenn diese auf Erhalt der Rente klagen. Verlieren die Versicherer überproportional oft, könnte das ein deutliches Indiz sein, dass Berufsunfähigen tatsächlich häufig zu Unrecht die Leistung verweigert wird.

Hierzu hat das Analysehaus Morgen & Morgen anlässlich des „M&M Rating Berufsunfähigkeitsversicherung 2021“ Zahlen präsentiert. Auffällig ist hierbei die hohe Zahl an Gerichtsstreiten, die mit einem Vergleich enden statt mit einem Urteil. Das trifft auf immerhin 57,10 Prozent der gerichtlichen Prozesse zu. 24,95 Prozent der Rechtsstreite gingen zugunsten der Versicherer aus, während knapp jeder achte Fall (12,62 Prozent) im Sinne des klagenden Versicherungsnehmers entschieden wurde. In 5,34 Prozent wurde die Klage wieder zurückgenommen.

Anzeige

Der pauschale Vorwurf, BU-Versicherer seien Neinsager, lässt sich anhand dieser Zahlen nicht aufrecht erhalten. Doch könnte die auffällig hohe Zahl der Vergleiche ein Hinweis darauf sein, dass die Versicherer Urteile scheuen und sich regelrecht aus dem Rechtsstreit herauskaufen? Das wäre Spekulation. Es ist letztendlich die Branche selbst, die Transparenz hinsichtlich solcher Zahlen missen lässt: So rät auch der "Spiegel" in seinem Erklärstück, zusätzlich zum BU-Schutz eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen. Ein Ratschlag, der auch in der Versicherungsbranche selbst häufig erteilt wird.

Seite 1/2/