Bernd Raffelhüschen warnt vor 3-Billionen-Euro-Loch in der Rentenversicherung
Der Ökonom Bernd Raffelhüschen warnt in einem Interview vor einem gewaltigen Finanzloch, das in der Rentenversicherung und bei den Sozialversicherungen herrscht. Allein der Rentenkasse fehlten 2040 schon drei Billionen Euro an Rückstellungen. Ohne Reformen werde die Sozialversicherung nicht mehr zu finanzieren sein, da jüngere Generationen 90-95 Prozent ihres Einkommens an Sozialversicherung und Fiskus abtreten müssten, um das jetzige Niveau der Versorgung aufrecht zu erhalten.
- Bernd Raffelhüschen warnt vor 3-Billionen-Euro-Loch in der Rentenversicherung
- "Die vergangenen Jahre sind ein Fiasko gewesen"
Der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen ist bekannt dafür, dass er mit drastischen Zahlen vor einem Kollaps der Sozialsysteme warnt - und Einschnitte fordert, um diese zu entlasten. So auch in einem aktuellen Interview mit Focus Online. Demnach müsse sich Deutschland auf ein Billionen-Euro-Loch in der Rentenversicherung einstellen. Hierbei handle es sich um versteckte Kosten, die beim Blick auf die öffentliche Verschuldung noch niemand auf der Rechnung hat. Solle das aktuelle Versorgungsniveau beibehalten werden, müssten künftige Generationen fast ihr ganzes Einkommen für Sozialbeiträge und Steuern opfern - ein unrealistisches Szenario, sodass künftige Beitragszahler den Generationenvertrag aufkündigen werden.
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Implizite Staatsverschuldung: 3-Billionen-Euro-Loch bei Rentenkasse
Nach Ansicht von Bernd Raffelhüschen spiegelt die ohnehin sehr hohe Staatsverschuldung nicht wieder, welche Lasten auf künftige Generationen zukommen. Deshalb hat er die sogenannte implizite Staatsverschuldung errechnet, die auch zukünftige Kosten ausweisen soll. Er kritisiert: In die Gewinn- und Verlustrechnung des Staates fließe nur die verbriefte Staatsverschuldung ein, zum Beispiel Landesschuldverschreibungen oder Schulden der Kommunen. „Was wir dabei vernachlässigen ist, dass wir noch Schulden haben, die unsichtbar sind, weil wir für die Zukunft Leistungsversprechen gemacht haben, für die wir keine Rücklagen gebildet haben“, so Raffelhüschen.
Erneut nimmt Raffelhüschen die hohen Kosten für Beamte ins Visier, folglich Pensionen und Beihilfen. „Der Staat bildet dafür keine Rückstellungen, wie ein ehrbarer Kaufmann das machen müsste. Deswegen müssen wir diese Pensionen in Zukunft aus dem laufenden Haushalt finanzieren“, sagt er. Ist der Hausalt dann im Defizit, müssten die Bundesländer noch mehr Schuldverschreibungen drucken, um das Geld hierfür zu erhalten. „Das heißt, die fehlenden Rückstellungen sind heute noch unsichtbare Staatsschulden, werden aber sichtbar im Takt der Pensionseintritte der Beamten“, so der Ökonom. Ähnlich gestalte sich dies bei der gesetzlichen Rentenversicherung, die ebenfalls kaum auf Kapitaldeckung setzt.
Das setzt die Haushalte und das Sozialsystem unter Druck - weil ein gewaltiges Finanzloch klafft. „Wenn wir das Rentenniveau bei 48 Prozent halten und gleichzeitig bei den alten Beiträgen bleiben wollen, fehlen der Rentenversicherung fast drei Billionen Euro an Rentenrückstellungen. Das heißt, die Regierung wird ihr Versprechen nicht einhalten können“, sagt Raffelhüschen.
Um das Rentenniveau bei 48 Prozent zu halten, wie es die die Ampel-Koalition zugesagt hat, müssten die jungen Leute künftig 29 Prozent Rentenbeitrag zahlen. Das bringe die Rentenversicherung spätestens 2040 in eine Legitimationskrise: Die Rentner zu der Zeit werden deutlich weniger in die Rentenkasse eingezahlt haben, als die Beitragszahler dann werden aufbringen müssen. Zudem hätten ältere Generationen zu wenige Kinder bekommen, um das Umlagesystem zu stützen. Nach Ansicht von Raffelhüschen werde dadurch der Generationenvertrag verletzt - „Und spätestens dann werden die Jungen nicht mehr zahlen wollen“.
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Es brauche folglich eine Haltlinie, um die Kosten für zukünftige Generationen abzufedern. Und mehr Kapitaldeckung im System - ähnlich wie in den Niederlanden oder Schweden. Für Rentnerinnen und Rentner bedeutet dies, dass sie mehr verzichten müssen und länger arbeiten. Denn: „Nur in Deutschland verharren wir dabei, den Rentnern nichts wegzunehmen“, kritisiert der Ökonom.
"Die vergangenen Jahre sind ein Fiasko gewesen"
Ein Grund für die Schieflage im Rentensystem ist laut Raffelhüschen, dass Rentenreformen der letzten Jahre bereits erzielte Fortschritte wieder zunichte gemacht haben. Nach Ansicht des Ökonomen stand die gesetzliche Rentenversicherung mit den Reformen der Agenda 2010 bereits stabiler da: unter anderem wurde der Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt. Er bewirkte, dass Rentenerhöhungen weniger stark ausfallen und von der Entwicklung der Einkommen abgekoppelt wurden. Auch dass das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre angehoben wurde, sei richtig gewesen.
"Das ist mathematisch unmöglich"
Die darauf folgenden Rentenreformen bewertet er jedoch durchweg negativ, oder in seinen eigenen Worten: „Danach haben wir angefangen, nur noch Unfug zu machen“. Olaf Scholz habe als Arbeitsminister die Rentengarantie ausgesprochen: „also auf gut Deutsch, die Rentner machen alles mit, wenn es nach oben geht, aber wenn es dann schlechter geht, lassen die Rentner die Erwerbstätigen das allein ausbaden“. Besserstellungen bei der Grundrente, die „Rente mit 63“, die sogenannte Doppelte Haltelinie: all das trug laut Raffelhüschen dazu bei, die Rentenversicherung zu destabilisieren. Die doppelte Haltelinie besage zum Beispiel, „wir halten das Rentenniveau und wir halten die Beiträge und das Rentenzugangsalter. Das ist mathematisch gesehen unmöglich“, so das Fazit. All diese „Fehler“ würden sich auf drei Billionen Euro versteckte Staatsschulden summieren.
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Hier erfordere es ein Gegensteuern. „Wir brauchen in jedem Fall das Versprechen an die Jungen, dass wir bei konstanten Beiträgen in der Rentenversicherung, aber genauso auch in der Pflege- und in der Krankenversicherung bleiben. Alle Reformvorschläge in diese Richtung wurden von der Bundesregierung aber immer abgelehnt“, sagt der Ökonom. Auch den Gleichbehandlungsgrundsatz gelte es einzuhalten: dass also die jüngeren Generationen nicht deutlich mehr in die Sozialsysteme einzahlen müssten als ältere. Deshalb müsse das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung angepasst werden. „Wir wollen, dass alle Generationen, egal ob Großväter, Väter oder die Kinder von heute, die gleiche Anzahl an Jahren gearbeitet haben für ein Rentenbezugsjahr“, sagt er.
Den jungen Generationen müssten 90-95 Prozent des Einkommens genommen werden
Ohne Reformen aber sei der Sozialstaat auf Dauer nicht finanzierbar. Und hier macht Raffelhüschen eine fatalistische Rechnung auf. Ohne Reformen würde der Sozialstaat von den jungen Menschen fast zwei Drittel des Einkommens als Sozialabgaben und Beiträgen abzweigen. Hinzu käme eine Steuerquote von einem Drittel. Das bedeute, „dass den Jungen im Grunde genommen nicht die Hälfte des Einkommens genommen wird, so wie jetzt, sondern zwischen 90 und 95 Prozent und das wird natürlich nicht finanzierbar sein“.
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Die geplante Aktienrente der Bundesregierung sei ein richtiger Schritt, komme aber für jetzige Babyboomer-Generationen zu spät, warnt der Ökonom. Um das Rentensystem jetzt zu stützen, hätte der aktienbasierte Kapitalstock bereits ab Anfang der 90er Jahre aufgebaut werden müssen. Aber auch hier hat der Ökonom angesichts leerer Kassen bei Bund, Ländern und Kommunen Bedenken. „Politikern Geld zum Aufpassen anzuvertrauen ist so, wie wenn Sie Ihrem Hund zwei Knochen hinschmeißen und sagen, der eine ist für jetzt, der andere für später. Das wird nicht funktionieren“.
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- "Die vergangenen Jahre sind ein Fiasko gewesen"