Klimawandel - Weshalb grüne Versicherungsprodukte mitunter schwierig zu kalkulieren sind
Immer mehr Versicherer bieten grüne Produkte an oder wollen das Thema Nachhaltigkeit bei der Geldanlage stärker berücksichtigen. Dabei kommt auch der Versicherungsmathematik eine entscheidende Rolle zu, wie aktuell die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) berichtet. Denn sie modellieren Produkte, werten Schäden aus und analysieren Daten - oft in Bereichen, in denen es wenig Erfahrung gibt. Deshalb sind die Kosten oft schwierig abzuschätzen.
“Folgen des Klimawandels auf mehreren Schultern verteilen“ - so ist aktuell ein Pressetext der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) überschrieben. Der Verband lenkt den Blick darauf, dass die Versicherer einerseits einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten können - andererseits das nicht ohne die Aktuare vonstatten geht. Denn sie sind es, die neue und grüne Produkte modellieren, mit Daten begleiten und auch die drohenden Kosten kalkulieren.
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Die Gestaltungsmöglichkeiten für grüne Versicherungs-Produkte seien vielfältig, so berichtet der Verband der Versicherungsmathematiker. „Aktuarinnen und Aktuare können diese Entwicklung durch ihre zentrale Rolle bei der Datenanalyse und Modellierung entscheidend mitgestalten“, positioniert sich Detlef Frank, Vorstandsmitglied der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) und Vorsitzender des DAV-Ausschusses Schadenversicherung. Doch hinsichtlich der Frage, welche grünen Produktideen umgesetzt werden sollen, seien verschiedene Faktoren zu beachten. Denn obwohl viele Ideen große Chancen für die Branche bedeuten, ist gerade die Berechnung der möglichen Schäden mitunter schwierig - es fehlt schlicht an Erfahrungen und Daten.
Beispiel Ladestationen: teure Schäden werden erwartet
Als Beispiel nennt die DAV die Versicherung von E-Autoladestationen. Das Elektroauto boomt: In den vergangenen zwölf Monaten wurden im Schnitt 57.000 E-Autos pro Monat zugelassen, weiß das Kraftfahrt-Bundesamt zu berichten. Zugleich stockt der Ausbau öffentlicher Ladestationen. Rund 62.000 Ladepunkte gibt es laut Bundesnetzagentur aktuell bundesweit, in vielen Regionen herrscht massiver Mangel. Mehr als die Hälfte aller 10.796 Gemeinden in Deutschland verfügt über keine einzige Ladestation, so eine Auswertung des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Der Ausbau öffentlicher Ladestationen stockt und bleibt weit hinter dem Bedarf zurück.
Um den Mangel auszugleichen, werden viele Nutzer sich eine Ladebox im eigenen Haus installieren wollen, die entsprechend versichert werden muss. Doch zu welchem Preis? „Im Schadenfall ist mit sehr hohen Schadenzahlungen zu rechnen, da aufgrund eines Kurzschlusses oder bei einer Überladung das E-Auto brennen könnte“, unterstreicht Frank. Wenn dabei die Hochvoltbatterie in Brand gerät, ist laut Deutschem Feuerwehrverband mit enormer Brandleistung zu rechnen und der Löschvorgang dauert länger als bei herkömmlichen Fahrzeugen. „Die Abschätzung des zu erwartenden Schadens, der wichtigsten Komponente der Tarifierung, ist demnach gerade bei der Absicherung neuer Risiken nicht immer einfach“, so Frank.
Gegenläufige Effekte - und fehlende Daten
Ein weiteres Beispiel: moderne Heizungs- und Kühlungssysteme in klimafreundlichen Gebäuden. Diese sind im Rahmen der Gebäudeversicherung abgesichert. Sie verbrauchen weniger Strom und könnten deshalb weniger Brände verursachen, berichtet Frank. Andererseits können nachhaltige Baumaterialien gegebenenfalls eine höhere Entflammbarkeit sowie eine geringere Lebensdauer aufweisen.
Wie sich derartige gegenläufige Effekte auf das Schadengeschehen auswirken und damit auf die Prämien, könne nur über die Zeit anhand gesammelter Daten und Erfahrungen beantwortet werden: und Daten fehlen derzeit. „Damit die Daten von den Aktuarinnen und Aktuaren in ihren Modellen ausgewertet werden können, ist es entscheidend, dass die Informationen in den Schadensystemen der Versicherer richtig erfasst werden, zum Beispiel hinsichtlich der Schadenursache“, appelliert Frank. Die anfänglichen Preise könnten dann mit Testfeldern überprüft und im Laufe der Zeit angepasst werden, sofern diese gesammelten Infos zu neuen Erkenntnissen bei der aktuariellen Modellierung führen.
Versicherungsschutz als Instrument im Kampf gegen den Klimawandel
Grüne Technologien dürften sich im Alltag kaum durchsetzen, wenn sie sich nicht zu einem vernünftigen Preis versichern lassen - zugleich können Versicherer klimaschädliche Technik vom Schutz ausschließen. „Durch die Integration von Klimarisiken in ihre Zeichnungsrichtlinien können sie darauf hinwirken, dass Industriesektoren grüner werden und die Industrieunternehmen sich weiterentwickeln“, weiß Frank. Insofern kann die Branche den Kampf gegen Klimawandel aktiv beeinflussen. Zusätzlich können die Versicherer durch das Instrument des Risikoausgleichs im Kollektiv dazu beitragen, dass besonders stark vom Klimawandel betroffene Personengruppen durch die Gesellschaft unterstützt werden, indem das Risiko auf möglichst viele Schultern verteilt wird.
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Ein weiteres Instrument der Einflussnahme ist die Geldanlage. Im Jahr 2020 beliefen sich die Kapitalanlagen der Erstversicherer in Deutschland auf 1.762 Mrd. Euro, so geht aus Daten des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft hervor. Hier wurden deutsche Versicherer wiederholt damit konfrontiert, dass sie noch immer hohe Summen in klimaschädliche Rohstoffe wie Kohle und Gas investieren: wobei die Auswirkungen des Ukraine-Krieges hier zeigen, dass derzeit noch nicht auf derartige Ressourcen verzichtet werden kann. Ein Nachhaltigkeits-Report des Analysehauses Franke & Bornberg verdeutlicht immerhin, dass die Versicherer Fortschritte bei ihren Umweltschutz-Strategien machen.