Lauterbach: „Leistungskürzungen für Versicherte bleiben ausgeschlossen“
Der umstrittene Entwurf zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wurde am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schließt Leistungskürzungen für Versicherte aus. Der AOK-Bundesverband sieht hingegen die Funktionsfähigkeit der gesamten GKV gefährdet.
- Lauterbach: „Leistungskürzungen für Versicherte bleiben ausgeschlossen“
- AOK-Bundesverband sieht Funktionsfähigkeit der gesamten GKV gefährdet
Trotz ungewöhnlich heftiger Kritik im Vorfeld beschloss das Bundeskabinett am Mittwoch den Entwurf zum ‚GKV-Finanzstabilisierungsgesetz‘ (PDF) nahezu unverändert. „Grundsätzlich kämpft die Gesetzliche Krankenversicherung mit drei strukturellen Problemen“, so Bundesgesundheitsminister Dr. Karl Lauterbach (SPD). Neben der demografischen Veränderung nannte Lauterbach auch den medizinischen Fortschritt und die Abnahme der Beitragszahlungen (siehe Video).
Anzeige
Das Bundesgesundheitsministerium fasst wesentliche Punkte des Gesetz-Entwurfs so zusammen:
- Finanzreserven: Vorhandene Finanzreserven der Krankenkassen werden mit einem kassenübergreifenden Solidarausgleich zur Stabilisierung der Beitragssätze herangezogen. Zudem wird die Obergrenze für die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds halbiert Durch die Halbierung der Obergrenze für die Liquiditätsreserve halbiert und übersteigende Mittel können für höhere Zuweisungen an die Krankenkassen genutzt werden, um die Finanzierungslücke weiter zu schließen.
- Bundeszuschuss: Der bestehende Bundeszuschuss zur GKV wird von 14,5 Mrd. Euro für 2023 um 2 Mrd. Euro erhöht.
- Darlehen Bund: Der Bund gewährt der GKV ein unverzinsliches Darlehen für 2023 von 1 Mrd. Euro an den Gesundheitsfonds.
- Für das Jahr 2023 ist ein um 5 Prozentpunkte erhöhter Herstellerabschlag insbesondere für patentgeschützte Arzneimittel vorgesehen.
- Reform AMNOG: Mittelfristig wirkende strukturelle Änderungen der Preisbildung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen und ergänzenden Maßnahmen zur Dämpfung des Ausgabenanstiegs.
- Erhöhung des Apothekenabschlags von 1,77 Euro auf 2 Euro je Arzneimittelpackung (auf zwei Jahre befristet).
- Das Preismoratorium bei Arzneimitteln wird bis Ende 2026 verlängert.
- Konkretisierung der im Pflegebudget berücksichtigungsfähigen Berufsgruppen.
- Die extrabudgetäre Vergütung von vertragsärztlichen Leistungen gegenüber sogenannten „Neupatienten“ für Vertragsärzte wird abgeschafft.
- Begrenzung des Honorarzuwachses für Zahnärztinnen und Zahnärzte.
- Auch der Zusatzbeitrag für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler wird steigen. Auf Grundlage der Ergebnisse des GKV-Schätzerkreises im Herbst wird das Bundesministerium für Gesundheit den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz in der Gesetzlichen Krankenversicherung festlegen. Eine Anhebung des Zusatzbeitrags um 0,3 Prozentpunkte ist derzeit nicht unrealistisch.
Heftige Kritik im Vorfeld
Im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses hagelte es zum Teil ungewöhnlich harte Kritik am Gesetzentwurf. Der Verband der Ersatzkassen (vdek), der Dachverband der Betriebskrankenkassen, der IKK e.V., Knappschaft und AOK-Bundesverband kritisierten in einer gemeinsamen Erklärung, dass „die Beitragszahler – Versicherte und Arbeitgeber – nun die Zeche zahlen sollen“.
AOK-Bundesverband sieht Funktionsfähigkeit der gesamten GKV gefährdet
Nach dem Kabinettsbeschluss erneuerte der AOK-Bundesverband seine Kritik. „Dieses Gesetz enthält keinerlei Maßnahmen für eine kurz- oder langfristige Stabilisierung der GKV-Finanzen. Beiträge werden hochgeschraubt, Rücklagen eingezogen und Schulden gemacht“, so Vorstandsvize Jens Martin Hoyer.
AOK-Bundesverband sieht Funktionsfähigkeit der gesamten GKV gefährdet
Der AOK-Bundesverband sieht andere Möglichkeiten, um das 17-Milliarden-Loch längerfristig zu schließen: „Der Bund muss endlich seiner Finanzverantwortung gerecht werden“, so Hoyer. Auf der Einnahmenseite bedeute dies eine Verpflichtung auf kostendeckende Pauschalen für die Gesundheitsversorgung von ALGII-Beziehenden und auf der Ausgabenseite müsse die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel angegangen werden. „Es ist nicht nachvollziehbar, wieso die Solidargemeinschaft nach wie vor den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent auf Humanarzneimittel entrichten muss, während beispielsweise für Tierarzneimittel der reduzierte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent gilt“, so der AOK-Vorstandsvize.
Anzeige
Den von Lauterbach betonten Verzicht auf Leistungskürzungen begrüßte zwar auch Hoyer. Dennoch würden Beitragszahler die Hauptlast des geplanten Gesetzes tragen: „Das ist eine fundamentale Ungerechtigkeit gegenüber unserer Solidargemeinschaft und gefährdet die Funktionsfähigkeit der gesamten GKV“, so Hoyer.
Durch den abermaligen Rückgriff auf die verbliebenen Reserven dränge man die Kassen an die viel zu geringe Rücklagenuntergrenze von 0,2 Monatsausgaben. Bereits eine etwas negativere Ausgabenentwicklung würde sofort zur Unterschreitung dieser Mindestrücklage führen. Auch Planungsabweichungen auf der Zuweisungsseite machten dann einen höheren Finanzbedarf und in Konsequenz nochmals erhöhte Zusatzbeiträge erforderlich. „Da Beitragsanpassungen aber nur zeitversetzt wirken, wäre die sofortige Absicherung dieser Risiken gar nicht gewährleistet. Letztendlich drohen Zahlungsunfähigkeit und Insolvenz“, erklärt der AOK-Finanzexperte. Das Fazit von Hoyer fällt deshalb drastisch aus: „Dieser Gesetzesentwurf wird nicht weit tragen und die GKV weiter destabilisieren. Wir brauchen echte Strukturreformen.“
- Lauterbach: „Leistungskürzungen für Versicherte bleiben ausgeschlossen“
- AOK-Bundesverband sieht Funktionsfähigkeit der gesamten GKV gefährdet