Vor wenigen Wochen jährte sich zum ersten Mal die Jahrhundertflut von 2022, die vielen Gebieten in Deutschland schwere Schäden zuführte. Jahrhundertflut? Passt dieser Begriff überhaupt noch? Dürren und Waldbrände, Regen und Überflutungen. Extreme Wetterphänomene nehmen weiter zu und werden uns zukünftig härter treffen. Ein Lösungsansatz, um die Schäden abzufedern – so die Meinung vieler – wäre eine Pflichtversicherung, die Menschen zum Eigenschutz verpflichtet. Das klingt im ersten Moment nach einer guten Sache. Dennoch lohnt es sich, kritisch auf diesen Vorstoß zu blicken. Es besteht die Gefahr, dass die Einführung einer solchen Versicherung den Staat von seinen eigenen elementaren Aufgaben entbindet.

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Martin Gräfer ist Mitglied des Vorstandes der Versicherungsgruppe die Bayerische und Vorstandsvorsitzender der BA die Bayerische Allgemeine AG, die Komposit-Gesellschaft der Gruppe.Versicherungsgruppe die Bayerische

Rationalismus – so nennt die Philosophie die Rechtfertigung einer Pflicht, die sich durch die Vernunft oder den gesunden Menschenverstand begründen lässt. Und genau hier stehen wir: Es entspricht dem gesunden Menschenverstand, der Vorsicht gegenüber den eigenen Besitztümern, diese gegen einen Katastrophenfall versichern zu lassen – besonders wenn man in oder nahe einem Katastrophengebiet wohnt. Ein guter Versicherungsschutz, immer noch das einzig wahre Mittel, sich gegen einen hohen Schaden abzusichern. Ich empfehle Eigentümerinnen und Eigentümer dringend, ihr Hab und Gut gegen existenzielle Gefahren zu versichern.

Doch der fromme Appell an den Menschenverstand ist einigen Akteurinnen und Akteuren nicht genug. Sie rufen nach der Pflichtversicherung und möchten mit diesem Vorstoß ein Feuer löschen, das spätestens seit der Katastrophe im vergangenen Jahr neu entfacht ist. Doch in Wirklichkeit ist die Pflichtversicherung keine Löschdecke, sondern vielmehr ein Deckmantel, der viele dringende Herausforderungen verstecken soll und von den wahren Problemen ablenkt. Drei Aspekte möchte ich besonders unterstreichen, warum wir den Fokus der Diskussion weg von einer Pflichtversicherung hin zu anderen Investitionen und Handlungspflichten lenken sollten.

1.) Eine Pflichtversicherung entbindet die Politik von ihrer Pflicht, zu handeln

Im ersten Moment klingt es paradox, doch die Pflicht des einen kann den anderen von seiner Pflicht entbinden. Ich habe die große Sorge, dass die verschiedenen politischen Vertreterinnen und Vertreter nach der Einführung einer Pflichtversicherung wichtige Investitionen beispielsweise in den Hochwasser- und Katastrophenschutz vernachlässigen.

Diesen Fehler haben wir in Deutschland bereits mehrfach gemacht. Ein äußerst bemerkenswertes Beispiel stammt aus den 1920er-Jahren: Nach einer vergleichbaren Hochwasserkatastrophe wurden an der Ahr zahlreiche, teils sehr konkrete Pläne zum Hochwasserschutz erarbeitet. Schlussendlich wurden die Gelder dann für den Bau des Nürburgrings genutzt. Maßnahmen, die vor Auswirkungen des Klimawandels schützen sollen, durch eine Rennstrecke zu ersetzen – heute eigentlich undenkbar.

Und dennoch gibt es auch aktuell zahlreiche Beispiele, die zeigen, dass die Politik ihrer Verantwortung nicht gerecht wird. Blicken wir nach Brandenburg: Dort finden sich zahlreiche Gebiete, die von Alt-Munition und Mienen verseucht sind. Eine große Gefahr in normalen Zeiten, eine noch größere im Brandfall: Explosionen und Detonationen könnten Einsatzkräfte unnötig gefährden. Gepanzerte Löschfahrzeuge und gezielte Brandschneisen können hier helfen. Expertinnen und Experten haben den betroffenen Behörden in Brandenburg zur Anschaffung dieser Maschinen und zur Umsetzung präventiver Maßnahmen geraten – ohne Erfolg. Nun, nach den Bränden vor wenigen Wochen, wird deutlich: Diese hätte man schneller und effektiver löschen können, wenn das richtige Gerät und eine echte Strategie vorhanden gewesen wären.

2.) Man muss die Prävention stärken

Die Kritik war laut, als einige Warnsysteme während der Flut 2021 versagten; oder sich im Nachhinein herausstellte, dass es diese gar nicht mehr gibt. Investitionen in Prävention und Hilfsorganisationen wie dem THW sind jetzt das richtige Signal, um auch in Katastrophen weiterhin handlungsfähig zu bleiben und gleichzeitig Vertrauen in der Öffentlichkeit schaffen, dass sie im Katastrophenfall rechtzeitig Hilfe erhalten. In Rheinland-Pfalz gab es einige Gemeinden, die das Geld genau in den Aufbau und die Verstärkung dieser Infrastruktur investiert haben. Mit erstaunlichen Erfolgen, denn diese waren auch bei den letzten Ereignissen kaum betroffen.
Dennoch geht es zu langsam: Die Dürren und Waldbrände der vergangenen Wochen haben gezeigt, wie schnell sich eine Katastrophe ausbreiten kann. Schreckliche Feuer, die nicht nur Wald und Acker vernichten, sondern zunehmend auch den Wohnraum bedrohen. All das sind im Übrigen keine überraschenden Ereignisse, die meisten Bedrohungen sind seit langer Zeit bekannt.
Warum investieren wir lieber Geld in neue Löschflugzeuge, anstatt durch Feuerschneisen und eine gezieltere Ausbildung der Rettungskräfte präventiv zu denken? Warum sollen sich Menschen nun zwangsversichern, wenn wir mehr für die Vermeidung dieser Flutkatastrophen tun sollten? Leid einzudämmen ist schlechter, als Leid zu verhindern.

3.) Politikerinnen und Politiker in die Pflicht nehmen

Mehr Prävention klingt schön und gut, dennoch brauchen wir eine ausführende Gewalt, die diesen Auftrag ernst nimmt. Verantwortliche Politikerinnen und Politiker müssen dienstverpflichtet werden, dieser realen Bedrohungslage etwas entgegenzusetzen. Für den eigenen Verantwortungsbereich eine Risikostrategie zu erstellen. Bis auf 34 Häuser an Erft und Ahr werden alle Bauten, die durch die Flutkatastrophe einen Schaden genommen haben, wieder am selben Standort errichtet. Grund für diese nicht nachvollziehbare Entscheidung ist auch, dass es zu wenig Flächenalternativen gibt; dass sich viele bebaubare Gebiete in Naturschutzbereichen befinden. Hier sehe ich einen dringenden Handlungsbedarf bei den örtlichen Baubehörden, eine erneute Errichtung in Risikobereichen zu verhindern und für die Anwohnerinnen und Anwohner echte Alternativen zu schaffen.
Politik muss sich in solch wichtigen Angelegenheiten aus dem eigenen Korsett befreien. Oft geht es dabei um Maßnahmen, die weit über eine Wahlperiode hinaus relevant sind. Auch hier darf nicht Parteipolitik im Fokus stehen. Im Gegenteil: Der Katastrophenschutz ist eine Aufgabe, bei der Parteien aller Couleur eng zusammenarbeiten sollen. Und auch die freie Wirtschaft und junge Start-ups in die Lösung der Herausforderung mit einbindet. Ich bin sicher, dass es hier mehr Unternehmertum und weniger Bürokratie braucht.

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Fazit: Mehr Rationalismus bitte!

Eine Pflicht sendet ein falsches Zeichen; ein falsches Gefühl der Sicherheit. Ich plädiere für mehr Rationalismus in der Diskussion. Die Menschen vor Ort aufzuklären. Ihnen zu sagen, dass das Angebot vorhanden und bezahlbar ist. Dass man es auf ihre Bedürfnisse zuschneiden kann. Dass Versicherungen ein Partner sind, der sie im Ernstfall unterstützen kann; auch wenn die Politik und mit ihr die Medienöffentlichkeit die betroffenen Gebiete verlassen haben.
Wir müssen aber auch deutlich werden: Die Menschen sind für den Schutz ihres Eigentums auch selbst verantwortlich. Es wird nicht immer gehen, dass Steuergelder für den Wiederaufbau eingesetzt werden. Es ist unsere Aufgabe, die Menschen vor Ort zu sensibilisieren. Teilen wir diese Informationen mit ihnen, dann gibt es die Versicherungspflicht eigentlich schon. Allerdings keine Pflicht von oben, sondern die Pflicht aus dem gesunden Menschenverstand heraus – diesen sollten wir generell etwas häufiger bemühen.