Aktuelle Krisen: Brauchen Versicherer einen Systemwechsel?
Die Wirtschaft leidet aktuell unter der Inflation und deren Ursachen und gleitet nach Ansicht der Wirtschaftsweisen in eine Rezession. Ein andauernder Wohlstandsverlust wird offen diskutiert und bleibt unwidersprochen. Handelt es sich dabei um ein wirtschaftsfeindliches Weltbild oder um das Resultat einer faktenbasierten Analyse? Unabhängig von unterschiedlichen Standpunkten bewegt Alwin W. Gerlach die Frage, wie sich die Versicherungswirtschaft in der anhaltenden Krise positioniert oder neu orientiert.
- Aktuelle Krisen: Brauchen Versicherer einen Systemwechsel?
- unterschiedliche Rechtsformen
Die wirtschaftspolitischen Herausforderungen ergeben sich aus der Corona-Pandemie, dem Klimawandel, der demographischen Entwicklung, der Energiekrise und Auswirkungen aus dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Eine bislang in dieser Form nicht dagewesene Kumulierung, die versucht wird, auf politischer Ebene zu entflechten, um Eskalationen zu vermeiden. Was bedeutet das für Erstversicherer und Rückversicherer, die als systemrelevante Unternehmen ihre Leistungsversprechen unter erheblichen Schwierigkeiten einhalten müssen?
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Die Versicherungswirtschaft - bisher robust
Inwieweit ein Gesamtüberblick vorausschauend erkannt und reflektiert werden kann, erscheint als unsicher. Danach sind Entscheidungen, die unmittelbar Kunden, Mitglieder, Verbände oder Aktionäre der Versicherer betreffen, nur haltbar, wenn sie als Ergebnis einer Lagebeurteilung mit Fakten belegbar sind. Bislang waren die Versicherer in Ausnahmesituationen gut gerüstet, was retrospektiv betrachtet die Bewältigung der zusätzlichen Coronabelastungen der Jahre 2020 und 2021 und sonstigen Großschäden bestätigt.
Das Jahr 2022 zeigt sich mit den Zahlen aus dem zweiten Quartal recht ordentlich, allerdings werden die unterdessen durch klimatische Verhältnisse eingetretenen Schäden, etwa durch den Hurrikan „Ian“ in den USA, bei international agierenden Unternehmen einen negativen Einfluss haben. Die Inflation in Deutschland wurde Ende September mit zehn Prozent ermittelt, eine Stabilisierung auf diesem Niveau bis zum Jahresende erscheint realistisch und wird mindestens bis 2024 erneut einen Schub bekommen, die durch Erhöhungen im Lohn- und Gehaltsbereich trotz erheblicher Anpassungen nach Angaben der Experten nicht ausgeglichen werden können.
Die Gefahr ist real
Massive wirtschaftliche Einbußen sind wahrscheinlich und fordern die Unternehmen auf, signifikante Schwachstellen in einer neuen oder ergänzten Strategie zu eliminieren. Unsere Gesellschaft ist in vielen Gebieten keiner abstrakten Gefahr ausgesetzt, sondern einer greifbar realen. Einem hohen Gefahrenszenario muss ein noch stärkeres Sicherheitsszenario entgegenstehen, um terroristische Angriffe auf unsere Ökonomie, wie zuletzt die Zerstörung unterirdischer Versorgungsleitungen bei den Nordstream-Pipelines, als potentielle Gefahren erkannt, beobachtet, bekämpft und im Idealfall vermieden werden können.
Für Versicherer bedeutet das im Grunde nichts anderes, als ein Konzept zur Identifizierung von Gefahren mit Wirkung auf das gezeichnete Portfolio zu entwickeln, um die Abwehr zu optimieren und organisiertes Handeln zu ermöglichen. Kapazitäten auf Basis klarer Wordings zu vergeben. Für die eingegangenen Risiken eine angemessene Prämie zu vereinnahmen und unkalkulierbare Risiken zu meiden.
Ziel: Wachstum durch technischen Wandel
Ohne Zweifel unterscheidet sich der Bedarf eines Privatkunden von dem eines Industriekunden. Doch nimmt man unser ökonomisches System ernst, so wird ein Fortschritt nur durch wirtschaftliches Wachstum gewährleistet sein, wozu obendrein eine technische Entwicklung vonnöten ist, die fast revolutionär anmutet. Diese Prämisse gilt als vorteilhaft für alle Kunden eines Versicherers. Hier bliebe die Frage, inwieweit eine bessere und intensivere Zusammenarbeit innerhalb der Versicherungswirtschaft einen Mehrwert hat, um diese Innovationen zu ermöglichen, und ob die Unternehmen den Mut für engere Kooperationen besitzen.
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Die Versicherungforen Leipzig haben vor einem Jahr den Begriff `Open Insurance` in einem Beitrag als Chance gewertet, durch das Einbeziehen auch unternehmensfremder Kernkompetenzen neue Mehrwerte zu schaffen. Durch standardisierte Schnittstellen zu anderen Marktteilnehmern können neuartige Angebote, Services oder ganze Geschäftsmodelle gestaltet werden. Doch es erfordert ein gewisses Mindset in der Versicherungsindustrie und in jedem Marktteilnehmer, das die Chancen einer offenen, gemeinsamen Basis erkennt und auch dessen Herausforderungen annimmt. Danach bleibt nur anzumerken, wenn nicht in Krisenzeiten, wann dann?
unterschiedliche Rechtsformen
Unabhängig von der aktuellen krisenhaften Situation unterscheiden sich die Interessen der Versicherer allein schon aufgrund ihrer Rechtsform. Bekanntlich sind Versicherer juristische Personen des privaten oder öffentlichen Rechts. Danach unterscheidet man die Privatversicherung im engeren Sinne und die öffentlich-rechtliche Versicherung.
Als Privatversicherungen gelten die Aktiengesellschaft und der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG). Öffentlich-rechtliche Versicherungen arbeiten in der Regel regional in der Region, verfügen über low exponiertes Geschäft, sind ausreichend kapitalisiert und stehen nicht unter dem Druck Wachstum zu generieren, der im Zweifel das Ergebnis negativ beeinflusst. Beim traditionellen VVaG ist die Situation ähnlich, obwohl diese schon in den Bereich höher exponierten Geschäftes hinein zeichnen. Doch ein Wachstumsdruck besteht keineswegs.
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Die Mitglieder eines VVaG oder Versicherungsnehmer eines öffentlich-rechtlichen Versicherers sind dem Unternehmen in der Regel eng verbunden und fühlen sich als Teil einer Wertegemeinschaft, die es zu erhalten gilt. Danach werden Prämienanpassungen als notwendiger und angemessener Vorgang angesehen, um den Fortschritt im technischen Bereich, den Service und sonstige Leistungen bzw. Innovationen annehmen zu können. Aktiengesellschaften, insbesondere dann, wenn sie auch börsennotiert sind, sind den Aktionären und Investoren verpflichtet, die für das investierte Kapital einen angemessenen Return erwarten, und zwar in Form einer Rendite.
Festzustellen bleibt, dass Aktiengesellschaften in den vergangenen zwei Jahren die Krise mit einer sehr ausgewogenen Bilanz gestemmt haben, doch Jahresabschlüsse beziehen sich eben auf die vergangenen Jahre. Besonders wichtig sind aber die Entwicklungen eines Unternehmens für die Zukunft. Mögliche Bilanzkritik ist also stets vergangenheitsbezogen und nicht zukunftsorientiert.
Versicherer bleiben systemrelevant
Kommen wir also auf den Ausgangspunkt zurück, so darf konstatiert werden, dass eine Wachstumsorientierung dem Fortschritt unserer Gesellschaft dient, unsere Werte erhält und unseren Wohlstand generiert. Unter welchen Umständen Versicherer dies in der Zukunft zu leisten vermögen, entscheiden sie vermutlich situativ, doch vorausschauend eventuell unter Einbeziehung des interessanten Aspektes der „Open Insurance“. Im Grunde entbehren deshalb die Diskussionen über harte Märkte, Verweigerung von Kapazität oder ähnlichen dubiosen Anmerkungen jeglicher Grundlage. Versicherer sind und bleiben systemrelevant, was auch bedeutet, dass keine Gruppe Anspruch auf Best Conditions hat oder Risiken übertragen darf, die den Wert der Versichertengemeinschaft nicht erfüllt.
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Versicherer arbeiten hart an den Ideen für neue Versicherungsmodelle, alternative Lösungen gehören schon dem gängigen Segment an und die technische Entwicklung bringt in vielen Bereichen Innovationen, deren Auswirkungen sich nicht einmal erahnen lassen. Als Resultat verbleibt der Aufruf, das Vertrauen in die Versicherungswirtschaft, einem systemrelevanten Bereich, zu erhalten. Solidarität ist stets ein guter Partner für einen Weg in eine gesicherte Zukunft, die in starken Umfang von den weltweit agierenden Rückversicherern den Erstversicherern gewährt wird.
- Aktuelle Krisen: Brauchen Versicherer einen Systemwechsel?
- unterschiedliche Rechtsformen