Aussagen zu den Vermögen privater Haushalte sind immer mit Vorsicht zu genießen, sind doch diese Vermögen sehr ungleich verteilt. Ein Beispiel: Die Weltbank verweist darauf, dass die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, von 94 Prozent im Jahr 1820 auf heute rund zehn Prozent gefallen sei. Als Wert für diese Armutsgrenze wird angenommen, dass Menschen weniger als 1,90 Dollar pro Tag zur Verfügung haben. In den meisten Regionen der Welt dürfte es aber kaum möglich sein, mit einem derart geringen Betrag ein würdevolles Leben zu führen - inklusive gesunder Ernährung, sicherer Behausung und adäquater Gesundheitsversorgung. Wer die Latte sehr niedrig legt, kann auch leichter drüber springen. Ein anderer Wert: Aktuell haben 4,2 Milliarden Menschen weniger als 7,40 Dollar am Tag zur Verfügung, berichtet der Ökonom Jason Hickel - diese Grenze wird von Kritikern der Weltbank als realistischer angesehen, um extreme Armut abzubilden.

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Auch die Allianz unternimmt in ihrem „Global Wealth Report“ jährlich den Versuch, Aussagen darüber zu treffen, wie sich der Wohlstand der Menschen entwickelt hat. Aktuell liegt die 13. Ausgabe des Reportes vor. Dass auch diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind, zeigen bereits die eingerechneten Daten. Berücksichtigt werden Bargeld, Bankeinlagen, Wertpapiere sowie Ansprüche gegenüber Versicherungen und Pensionsfonds - nicht aber Immobilien, die in vielen Regionen ganz erheblich zum Privatvermögen beitragen. Auch Ansprüche aus staatlich organisierten Rentensystemen sind nicht berücksichtigt. Beleuchtet werden soll die Vermögens- und Schuldensituation der privaten Haushalte in 57 Staaten. Nicht betont werden muss, dass es sich um Schätzwerte handelt - über ihre tatsächlichen Vermögen geben viele Menschen ungern Auskunft.

“2021: Das letzte Hurra“

Angesichts der gesammelten Daten sieht die Allianz eine Zeitenwende. Demnach könne das Jahr 2021 rückblickend als das letzte Jahr der alten "neuen Normalität" gewertet werden, mit steigenden Aktienmärkten, die durch die Geldpolitik angetrieben wurden. Gemeint ist die Zeit nach der Finanzkrise 2008, weil in den Folgejahren es nach den Verwerfungen an den Aktienmärkten meist zuverlässig wieder bergauf ging.

Selbst die Corona-Pandemie konnte diesem Trend zunächst wenig anhaben. Im dritten Jahr in Folge wuchs das globale Finanzvermögen 2021 zweistellig und erreichte 233 Billionen Euro (+10,4 Prozent). „In den letzten drei Jahren ist das Privatvermögen um sage und schreibe 60 Billionen EUR gestiegen. Dies entspricht einer Erweiterung des globalen Finanzvolumens um zwei Eurozonen“, schreibt die Allianz im Pressetext zur Studie. Allerdings sei dieses Wachstum überproportional auf die Regionen Asien ohne Japan (+11,3 Prozent), Osteuropa (+12,2 Prozent) und Nordamerika (+12,5 Prozent) entfallen. Hauptwachstumstreiber war der Boom an den Aktienmärkten, der rund zwei Drittel zum Vermögenswachstum im Jahr 2021 beitrug und die Anlageklasse der Wertpapiere (+15,2 Prozent) vorantrieb.

Doch diese Wachstumszeiten gehören laut Global Wealth Report der Vergangenheit an. „Das Jahr 2022 markiert einen Wendepunkt. Der Krieg in der Ukraine hat die Erholung nach Covid-19 abgewürgt und die Welt auf den Kopf gestellt: Die Inflation grassiert, Energie und Nahrungsmittel sind knapp, und die Straffung der Geldpolitik drückt auf die Volkswirtschaften und Märkte“, berichtet die Allianz. Auch die privaten Geldvermögen würden diesen Druck spüren. Es sei die Zeit nach dem „letzten Hurra“.

Laut der Allianz-Experten sei in 2022 das Vermögen der privaten Haushalte um mehr als zwei Prozent gesunken, was die erste bedeutende Vernichtung von Finanzvermögen seit der globalen Finanzkrise darstelle. Real würden die Haushalte so ein Zehntel ihres Vermögens verlieren. Doch im Gegensatz zur globalen Finanzkrise, auf die eine relativ rasche Trendwende folgte, seien diesmal auch die mittelfristigen Aussichten eher düster: Das durchschnittliche nominale Wachstum des Geldvermögens dürfte bis 2025 bei 4,6 Prozent liegen, gegenüber 10,4 Prozent allein in den drei Jahren zuvor.

“Gesellschaftsvertrag auf dem Prüfstand"

Dass dieser Negativtrend auch mit politischen Verwerfungen oder gar einer Krise der Demokratie einher gehen könnte, deutet die Allianz im Pressetext zumindest an. Denn sie warnt: „Die Lebenshaltungskostenkrise stellt den Gesellschaftsvertrag auf den Prüfstand. Die Politik steht vor der enormen Herausforderung, die Energiekrise zu meistern, die grüne Transformation zu sichern und das Wachstum anzukurbeln, während die Geldpolitik kräftig auf die Bremse tritt. Es gibt keinen Spielraum mehr für politische Fehler“. Der Schlüssel zum Erfolg seien innovative und zielgerichtete Maßnahmen auf nationaler, europäischer und supranationaler Ebene.

Private Schulden steigen "besorgniserregend"

Der Verlust wirkt sich auch auf die Schulden privater Haushalte aus. Wobei hier bereits 2021 ein bedenklicher Trend festzustellen war: wohl auch als eine Folge der Corona-Restriktionen. Ende des vergangenen Jahres beliefen sich diese Schulden weltweit auf 52 Billionen Euro, berichtet die Allianz. Der jährliche Anstieg von 7,6 Prozent übertraf den langfristigen Durchschnitt von 4,6 Prozent und das Wachstum von 5,5 Prozent im Jahr 2020 bei weitem. Ein höheres Wachstum der Verbindlichkeiten war zuletzt 2006 zu verzeichnen, also noch vor der Weltwirtschaftskrise. Hier sei darauf verwiesen, dass nach Einschätzung von Ökonomen die hohen privaten Schulden zur Krise im Jahr 2008 beigetragen haben - unter anderem, weil viele Hausbesitzer in den USA ihre Bankkredite nicht mehr bedienen konnten.

Aufgrund des starken Anstiegs der nominalen Produktion sei die globale Schuldenquote (Verbindlichkeiten in Prozent des Bruttoinlandprodukts) aber sogar leicht gesunken: auf 68,9 Prozent in 2021 gegenüber 70,5 Prozent in 2020. Stark vereinfacht: Es wurde im letzten Jahr so viel produziert und an Dienstleistungen erbracht, dass trotz steigender Schulden sich das Verhältnis von Verbindlichkeiten und BIP positiv gestaltete.

Die geografische Verteilung der Schulden hat sich seit der letzten Krise verändert. Während der Anteil der fortgeschrittenen Märkte rückläufig ist - der Anteil der USA beispielsweise ist seit der Finanzkrise um zehn Prozentpunkte auf 31 Prozent gesunken -, entfällt ein immer größerer Teil der weltweiten Verschuldung auf die Schwellenländer, allen voran Asien (ohne Japan): Ihr Anteil hat sich in den letzten zehn Jahren auf 27,6 Prozent mehr als verdoppelt.

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"Der starke Anstieg der Verschuldung zu Beginn einer weltweiten Rezession ist besorgniserregend", warnt die Allianz. Und weiter: "In den Schwellenländern ist die Verschuldung der privaten Haushalte in den letzten zehn Jahren mit zweistelligen Wachstumsraten gestiegen, mehr als fünfmal so schnell wie in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Noch scheint die Gesamtverschuldung überschaubar zu sein, aber angesichts des starken strukturellen Gegenwinds, mit dem diese Märkte konfrontiert sind, besteht die reale Gefahr einer Schuldenkrise".