Hochwasser: Versicherer fordern Naturgefahrenausweis für Häuser
Sollen sich Hausbesitzer in Deutschland verbindlich gegen Hochwasser und andere Naturgefahren versichern müssen? Anlässlich des aktuellen Naturgefahrenreports positioniert sich die private Versicherungswirtschaft erneut. Sie schlägt einen Naturgefahrenausweis für jedes Gebäude vor, der einen Überblick über die ortsgenauen Naturgefahren bieten soll.
Das Jahr 2021 war auch für die deutschen Versicherer ein Katastrophenjahr: 12,6 Milliarden Euro schaden entstanden den Anbietern in der Sach- und Kfz-Versicherung, wobei die Folgen der Juliflut besonders stark wirkten. Ein solch verheerendes Ereignis kann aber jedes Jahr mit zweiprozentiger Wahrscheinlichkeit auftreten, berichtet der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) im aktuellen Naturgefahrenreport 2022. Und das kann als Warnung gesehen werden: Sturmtief „Bernd“ brachte nicht nur ungeahntes Leid und viele Todesopfer mit sich. Allein dieses Ereignis kostete die Versicherer bisher geschätzt 8,5 Milliarden Euro.
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Der Naturgefahrenreport ist als Magazin gestaltet und beleuchtet anhand von regionalen Beispielen, was derartige Gefahren für die Menschen vor Ort und für die Versicherer bedeuten. Und doch wird in dreifacher Hinsicht die Systemfrage gestellt. Zunächst, ob und zu welchen Bedingungen die Menschen ihr Hab und Gut angesichts solch horrender Schadenkosten zukünftig privat versichern können. Das geht einher mit der Frage nach den Grenzen privater Versicherbarkeit, bedeuten doch derartige Katastrophen auch für die Anbieter steigende Kosten. Grundsätzlich aber zeigt das Magazin Optionen auf, was sich ändern muss, damit Menschen vor den Gefahren zukünftig besser geschützt sind. Stichwort: Prävention und Risikoschutz.
Verpflichtender Naturgefahrenausweis für Gebäude
Hier plädieren die Versicherer für durchaus einschneidende Maßnahmen. Das wird deutlich, wenn in einem Artikel die Niederlande als Vorbild porträtiert werden, wo das Leben mit dem Wasser -und dessen Risiken- von je her zum Alltag gehört. Ein Viertel des Nachbarlandes liegt unter dem Meeresspiegel, das bewohnte Land wurde Sumpfgebiet abgetrotzt, Pumpwerke sind im Dauereinsatz und halten das Wasser fern. Entsprechend wurde auch gebaut: Städte, die durchzogen sind von künstlichen Kanälen und Häuser, die regelrecht auf dem Wasser schwimmen, bis zu acht Meter auf- und absteigen können. Ein Modell, das auch für bestimmte Regionen Deutschlands Vorbild werden kann oder gar muss? Neben zahlreichen Dämmen und Deichen, die das Wasser abhalten, war auch eine Erkenntnis früherer Katastrophen, dass ihm mehr Raum gegeben werden muss - unter Verzicht, bestimmte Regionen zu besiedeln.
Entsprechend erprobt und erfahren ist auch die niederländische Bevölkerung mit derartigen Risikoszenarien - und wie man sich bei drohender Gefahr zu verhalten hat. Hier hat die deutsche Bevölkerung enorme Defizite. Nicht nur versagten bei der Juli-Flut die Warnsysteme und konnten die Menschen nicht ausreichend geschützt werden. Viele Betroffene in Ahrtal und Co. wussten auch schlicht nicht, wie sie sich zu verhalten hatten, als das Wasser rasant stieg. Hier hat die Branche bereits gefordert, dass die Bevölkerung entsprechende Verhaltensweisen lernen und üben muss - etwa schon in der Schule.
Ein neuer Vorschlag des GDV ist nun, dass Gebäude einen Naturgefahrenausweis erhalten, um die Schadenanfälligkeit von Gebäuden etwa bei Hochwasser besser einordnen zu können. „Der Ausweis soll Naturgefahren wie Überschwemmungen durch Starkregen, Hochwasser, Kanalrückstau oder Erdsenkung und Erbeben vor Ort sichtbar machen und bewerten“, heißt es hierzu auf der Webseite des Verbandes. Und weiter: „Vorbild ist der Energieausweis, mit dem der Gesetzgeber transparente Kennziffern für die Energieeffizienz von Gebäuden geschaffen hat. Mit dem Naturgefahrenausweis hätten Hauseigentümer, Mieter, Kaufinteressenten, Handwerker, Versicherer oder Banken eine objektive Beurteilungs- und Entscheidungsbasis“.
Ein weiterer Schritt: ein bundesweites Naturgefahrenportal soll dazu beitragen, sich der eigenen Gefahren bewusst zu werden - und somit Menschenleben zu schützen und Sachwerte. „Primäre Zielgruppe des Portals ist die breite Bevölkerung, nicht die Verwaltung, nicht Expertenkreise“, schreibt der Verband. Das Portal soll aus öffentlichen Quellen gespeist werden - und „eine tragfähige Grundlage für die Gefahreneinschätzung sowie für Maßnahmen der Klimafolgenanpassung und Prävention herstellen“. Entsprechend sollen die Informationen allgemeinverständlich aufbereitet und leicht zugänglich präsentiert werden.
Bauvorgaben für Gefahrenregionen in Bundeshand
Eine weitere Forderung betrifft die Bauvorgaben und -genehmigungen. Bisher werden diese stark auf regionaler Ebene entschieden, wobei die Bundesländer neben dem Bund entscheidende Befugnisse haben. Dabei spielen auch Interessenskonflikte eine Rolle: ungern verzichtet zum Beispiel eine strukturschwache Region auf Steuereinnahmen, selbst wenn durch den Bau in gefährdeten Gebieten Risiken für Mensch und Sachen bestehen. Hier fordert nun der GDV, zumindest das Bauen in Gefahrengebieten bundeseinheitlich zu regeln. Mit der logischen Konsequenz, dass die Bundesländer künftig weniger stark mitreden dürfen, wenn es um die Genehmigung derartiger Vorhaben geht.
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"Vor dem Hintergrund des Klimawandels und der Zunahme von Extremwetterereignissen setzen wir uns dafür ein, bundeseinheitliche Vorgaben für das Bauen in Gefahrenbereichen einzuführen", schreibt der Verband in einem Positionspapier. Und weiter: "Das Baugesetzbuch (BauGB) ist das wichtigste Gesetz des Bauplanungsrechts in Deutschland. Seine Bestimmungen haben großen Einfluss auf Gestalt, Struktur und Entwicklung des besiedelten Raumes und die „Bewohnbarkeit“ der Städte und Dörfer. Es definiert die wichtigsten stadtplanerischen Instrumente, die den Gemeinden zur Verfügung stehen. Der Gesetzgeber regelt mit dieser Norm unter anderem die Entwicklung von Verkehrs-, Versorgungs- und Grünflächen. Ebenso gibt sie die Leitplanken für das Bauen im Außenbereich vor".