Letzte Woche machte die „WirtschaftsWoche“ eine Wutrede von Oliver Bäte öffentlich, die er bereits im Mai von rund 8.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hielt. Inzwischen gelöscht, sorgte deren Inhalt branchenweit für Aufsehen. Nicht unbegründet, denn im Gegensatz zu vielen offiziellen Reden von Konzernchefs, die oft vor Marketingsprech strotzen und wenige Einblicke erlauben, geht Bäte in der Rede hart mit seinem Konzern ins Gericht. Man könnte sie ehrlich nennen - auch wenn die Ehrlichkeit möglicherweise einem Gefühlsausbruch geschuldet gewesen ist.

Anzeige

Oliver Bäte zweifelt in der Rede an der eigenen IT-Strategie, die er -rückblickend auf die letzten Jahre- als „falsch“ bezeichnet. Er beklagt den „alten Crap“, der im Konzern immer noch am Wirken sei und viel Geld verschlinge. Und er greift auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, die er u.a. als „feige“ bezeichnet. Er schildert, wie er versucht hat, eine Excel-Datei zu nutzen: und ihm hierfür sechs Passwörter abverlangt wurden. Es ist eine Wutrede, die erahnen lässt, dass er mit seiner Strategie auch im Konzern auf Widerstand und Hindernisse trifft. Und die Frage erlaubt, ob er in den letzten Jahren immer die richtigen Entscheidungen getroffen hat.

Vorwurf des digitalen Analphabetentums

Am Dienstag veröffentlichte die WirtschaftsWoche weitere Details aus Bätes Rede - und man kann annehmen, dass einige Aussagen auch im Konzern nicht so gut ankommen. Denn Bäte geht mit dem früheren Vorstand teils hart ins Gericht. „Als ich als erster CEO zur Allianz kam, gab es im Vorstand kaum jemanden, der das Wort Informationstechnologie buchstabieren konnte“, wird er in der Rede zitiert. Es ist der Vorwurf des digitalen Analphabetentums. Namen nennt Bäte nicht - doch manche Manager, die damals in Vorstands-Funktionen tätig waren, sind auch heute noch Entscheider im Konzern.

Der Rundumschlag überrascht auch deshalb, weil Oliver Bäte selbst seit siebeneinhalb Jahren die Geschicke der Allianz leitet. Die „WirtschaftsWoche“ weist in einem Kommentar zur Rede darauf hin, dass er bei seinem Rundumschlag Selbstkritik ausspart. Dennoch legen einige seiner Aussagen nahe, dass er auch Vorgänge in seiner Zeit durchaus kritisch bewertet. Nicht nur überrascht die Aussage, man habe „in den letzten acht bis zehn Jahren…eine falsche IT-Strategie“ gehabt: die meiste Zeit davon verantwortete er die IT-Strategie des Konzerns.

Anzeige

Tatsächlich pumpte die Allianz Milliarden-Summen in ihre digitale Erneuerung: was angesichts der Größe des Versicherers und Vermögensverwalters aber von Experten auch als angemessen betrachtet wird. Eine Aussage lässt nun aber aufhorchen. Mehr als vier Milliarden Euro habe man für Technologie ausgegeben, berichtet Bäte seinen Mitarbeitern. Und ergänzt: „Ich bin ziemlich sicher: Wir erhalten für dieses Geld nicht die Leistungen, die wir dafür erhalten sollten.“ Die alten und teuren IT-Systeme würden die Allianz daran hindern, Skalen-Effekte zu erzielen.

Firmenstrategie "Simplicity at scale"

Doch diese Skaleneffekte sind für Bätes Strategie wichtig. „Simplicity at scale“ ist der Drei-Jahres-Plan der Allianz seit 2021 überschrieben. Dabei sollen Synergien zwischen den Ländergesellschaften und Geschäftsbereichen geschaffen werden, die es erlauben, einfache und transparente Produkte zu verkaufen, mit einem einheitlichen Erscheinungsbild bei Kundenschnittstellen aufzutreten sowie Prozesse und Produkte zu verschlanken und ebenfalls zu vereinheitlichen.

Wichtig ist hierfür, dass die IT-Infrastruktur funktioniert: das heißt, einheitliche Technik mit einheitlichen Schnittstellen geschaffen werden. Zur Zeit, als Bäte sein Amt als Vorstandschef antrat, arbeiteten teils sogar verschiedene Abteilungen innerhalb des Konzern mit verschiedenen, nicht kompatiblen Programmen. Zugespitzt formuliert: mitunter wäre es einfacher gewesen, Daten auszudrucken und ins Nachbarbüro zu tragen, statt sie per Computer auszutauschen.

Anzeige

Hier wollte Oliver Bäte schnell eine radikale Erneuerung einleiten - und nahm besagte Milliarden-Summen in die Hand. Wiederholt hatte sich angedeutet, dass er mit seiner Strategie auch innerhalb des Konzerns auf Widerstand stößt. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" äußerte sich der Konzernchef im Jahr 2019 tatsächlich selbstkritisch: der digitale Umbau des Konzerns würde "zu langsam" gehen, aus diesem Grund würde es auch "ordentlich" rumpeln beim größten deutschen Versicherer.

2019 drohte Bäte ebenfalls gegenüber jenen, die seinen Reformkurs nicht mittragen. Man könne nicht alle für den neuen Kurs gewinnen, aber 80 Prozent derer, die wichtig sind, sagte er. Die aber, die nicht mitmachen wollen, die „muss man nach Hause schicken“. Tatsächlich drehte sich in seiner Amtszeit das Personalkarussell mehrfach und wichtige Vorstände wurden -mitunter nach kurzer Zeit- ausgetauscht.

Seite 1/2/