Zahnzusatzversicherung: Nur für den hohlen Zahn?
Zahnzusatzversicherungen hält der Bund der Versicherten (BdV) in den meisten Fällen für verzichtbar. Doch dieser Ansicht widerspricht Dr. Rainer Reitzler, CEO der Münchener Verein Versicherungsgruppe, im Gastkommentar.
Beim Zahnarzt würde jeder so gerne die Zähne zusammenbeißen. Denn wenn der Zahnarzt einem auf den Zahn fühlt, wird’s meistens teuer. Die Festzuschüsse im Rahmen der Regelversorgung für gesetzlich Versicherte decken jedoch nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Kosten ab. Wohl dem, der eine leistungsstarke und günstige Zahnzusatzversicherung hat. Das sieht Bianca Boss, Vorständin des Bundes der Versicherten jedoch ganz anders. Einer Pressemitteilung des BdV von Anfang November ist zu entnehmen, dass eine Zahnzusatzversicherung nur für Verbraucher empfehlenswert sei, die aufgrund einer schlechten Zahngesundheit mit mehreren Behandlungen und hochpreisigem Zahnersatz rechnen müssten. Generell zählten Zahnzusatzversicherungen zu den unwichtigen Versicherungen. Aha.
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Klar, in Zeiten von hoher Inflation, explodierenden Energiekosten und sinkendem Wohlstand ist es auch für den Normalverdiener offensichtlich kein Problem, mal schnell ein paar Tausend Euro oder gar noch mehr für einen guten Zahnersatz hinzublättern. Man hat’s ja. Und die sozial schwächeren Bevölkerungsschichten, denen oftmals nachgesagt wird, sie hätten schlechte Zähne, sollen dann eine Zahnzusatzversicherung abschließen.
Man kann dann auch die Frage aufwerfen, ob eine Risikolebensversicherung nur für Menschen empfehlenswert ist, die aufgrund eines ungesunden Lebensstils mit baldigem Ableben rechnen müssen. Oder eine Haftpflichtversicherung nur für Menschen angeraten ist, die aufgrund hoher Schusseligkeit durch übermäßige Zerstörung von Eigentum ihrer Mitmenschen auffallen.
Ein Blick auf die Anzahl der Deutschen, die keinerlei finanzielle Rücklagen haben, verdeutlicht die Sinnhaftigkeit von (Zahn)Zusatzversicherungen: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes war fast ein Drittel der Bevölkerung 2021 nicht in der Lage, auf Anhieb rund 1.000 Euro oder mehr für Sonderausgaben zu stemmen. Im letzten Jahr mussten zwei Fünftel der Menschen mit einem Jahresnettoeinkommen von weniger als 22.000 Euro auskommen. Vor allem Alleinerziehende verdienen oft wenig.
Weiter bemängelt Bianca Boss an den Zahnzusatzversicherungen, dass sie nur selten den fälligen Eigenanteil komplett übernehmen würden. Dem ist zu entgegnen, dass leistungsstarke Tarife in der Regel verschiedene Erstattungshöhen für Zahnbehandlungen, Prophylaxe, Schmerzlinderung und Zahnersatz beinhalten. Die Blanko-Zahnzusatzversicherung, die alles bezahlt, gibt es freilich auch. Versicherungen decken Risiken ab. Jeder muss für sich in Eigenverantwortung entscheiden, was einem ein Risiko wert ist.
Ein Beispiel: ZahnGesund 100, der Tarif des Münchener Verein, wurde von Stiftung Warentest zum wiederholten Mal hintereinander in diesem Jahr zum Testsieger gekürt. Mit diesem Tarif reduzieren die Versicherten ihren Eigenanteil beim Zahnarzt zu 100 % für Prophylaxe, Zahnbehandlungen und Zahnersatz. Ein 35-Jähriger zahlt im Monat 31,80 Euro. Bräuchte unser fiktiver Kunde ein Implantat mit befestigter Krone (Kosten 4.000 €), so würde seine gesetzliche Krankenkasse gerade mal 471 Euro übernehmen. Den restlichen Eigenanteil in Höhe von 3.529 Euro müsste er aus eigener Tasche bezahlen. Um beim Vorschlag von Bianca Boss zu bleiben, Geld für etwaige zahnmedizinische Eingriffe besser einfach selbst zurückzulegen: Unser Kunde müsste sich gut acht Jahre den monatlichen Beitrag wegsparen, um die komplette Summe des Implantats bezahlen zu können. Und in diesen acht Jahren dürfte ansonsten an seinen Zähnen nichts passieren.
Über 17 Millionen gesetzlich Versicherte haben eine Zahnzusatzversicherung abgeschlossen. Sie ist damit die beliebteste Krankenzusatzversicherung der Deutschen. Wer nicht zum Selbstzahler werden möchte, ist gut beraten, eine Zahnzusatz abzuschließen.
Der BdV vergibt ja bekanntlich jedes Jahr den „Versicherungskäse des Jahres“ für das schlechteste Versicherungsprodukt. Ich plädiere dafür, auch den „Beratungskäse des Jahres“ einzuführen und hätte schon einen Favoriten.
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