Wann gilt eine E-Mail im Geschäftsverkehr als zugegangen?
Beim Versand von Dokumenten vertrauen viele Deutsche - geschäftlich wie auch privat - dem Einschreiben. Dabei ist der Versand von beispielsweise Kündigungen, Angeboten oder Rechnungen per E-Mail rechtlich klar geregelt. Im Gegensatz zum klassischen Einschreiben herrscht bei großen Teilen der Bevölkerung noch die Unsicherheit über die rechtliche Wirksamkeit vor. Wann eine E-Mail im Geschäftsverkehr als zugegangen gilt und ob der Empfänger die E-Mail für deren Wirksamkeit auch tatsächlich lesen muss, erklärt Björn Thorben M. Jöhnke. Der Fachanwalt für Versicherungsrecht hat sich dazu ein Urteil des Bundesgerichtshofs genauer angeschaut.
Der Zugang einer Erklärung ist von wesentlicher Bedeutung für dessen Wirksamkeit. Häufig stellt sich die Frage, wann eine E-Mail zugegangen ist, wenn sie am letzten Tag eines Fristablaufs eingehen müsste. Grundlegend zum Zugang einer E-Mail während der gewöhnlichen Geschäftszeiten urteilte nun der BGH (Urt. v. 06.10.2022 - VII ZR 895/21).
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Der Sachverhalt vor dem BGH
Die Klägerin tätigte als Werkunternehmerin Metallbau- und Fassadenbegrünungsarbeiten für die Klägerin. Über den Werklohn hinaus wollte die Klägerin eine Schlusszahlung in Höhe von 14.538,36 Euro geltend machen. Die Klägerin ließ ihren Anwalt eine E-Mail verfassen, nach der sich die Schlussrechnung auf 14.347,23 Euro belaufe. Diese E-Mail erreichte die Beklagte am 14. Dezember 2018 um 09:19 Uhr. Am 14. Dezember 2018 um 9:56 Uhr schrieb der Anwalt einen Widerruf der Abrechnung. Die Beklagte überwies an die Klägerin am 21. Dezember 2018 einen Betrag von 14.347,23 Euro. Die Klägerin wollte sodann weitere Werklohnansprüche gerichtlich geltend machen.
Die rechtliche Wertung des BGH
Die übersandte Schlussrechnung könnte als Vergleich im Sinne des § 779 BGB wirksam etwaige Restforderungen abgegolten haben. Ein zugegangenes Vergleichsangebot gilt als rechtlich bindend. Die Zahlung auf das Angebot wäre eine schlüssige Annahme, so dass der Vergleichsvertrag zustande käme. Strittig war, ob die Vergleichserklärung des Klägeranwalts wirksam zugegangen ist.
Wann geht eine Willenserklärung wirksam zu?
Das Vergleichsangebot der Klägerin ging mit der E-Mail vom 14. Dezember 2018 9:19 Uhr nach Ansicht des BGH wirksam zu. Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist wird nach § 130 Abs. 1 BGB mit dem Zugang wirksam. Zugegangen ist eine Willenserklärung, wenn sie in den Bereich des Empfängers derart gelangt, dass dieser die Möglichkeit zur Kenntnisnahme hat. Auf eine tatsächliche Kenntnisnahme kommt es nicht an.
Wann geht eine E-Mail wirksam zu?
Wann eine E-Mail zugeht, ist rechtlich umstritten. Der BGH stellte die verschiedenen Ansichten dar: Einer Ansicht nach soll eine E-Mail zugegangen sein, wenn sie abrufbereit im elektronischen Postfach eingeht. Ausnahmsweise gilt dies nicht, wenn die E-Mail zur Unzeit oder außerhalb üblicher Geschäftszeiten zugeht. Zweiter Ansicht nach ist eine E-Mail zugegangen, wenn der Abruf im gewöhnlichen Verkehr erwartet werden kann. Maßgeblich ist, wann der Absender mit einer Kenntnisnahme der E-Mail nach dem üblichen Geschäftsablauf rechnen kann. Somit käme es nicht auf die Verfügbarkeit an, sondern auf das Vorstellungsbild des Absenders.
Also wirksamer Vergleichsschluss?
Der BGH positionierte sich nicht umfassend zu diesem Streitstand. Es wurde festgestellt, dass eine E-Mail dann als zugegangen gilt, wenn sie als Datei auf dem Mailserver des Absenders gespeichert wurde und an den Empfänger übersandt wurde. Sobald der Empfänger imstande ist die E-Mail auf seinem Endgerät abzurufen, ist die Erklärung auch zugegangen. Nach dem Zugang der E-Mail war diese nicht mehr nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB widerrufbar – als der Beklagte zahlte, wurde der Vergleich angenommen.
Fazit und Hinweis für die Praxis
Wird ein E-Mail-Postfach für den Geschäftsverkehr genutzt, zählt dieses zum eigenen rechtlichen Herrschaftskreis. Sofern eine E-Mail innerhalb gewöhnlicher Geschäftszeiten eingeht, gilt diese als rechtlich zugegangen, sobald sie abrufbereit verfügbar ist. Auf das tatsächliche Lesen der E-Mail kommt es jedoch nicht an.
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