BaFin verpflichtet Lebensversicherer auf Wohlverhaltensregeln
Die BaFin hat ein „Merkblatt zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten“ veröffentlicht. Darin schreibt sie Wohlverhaltensregeln fest, die auch eine Antwort auf die -von der Aufsichtsbehörde beklagten- hohen Kosten der Altersvorsorge-Produkte sind. Bei der Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht hat Fachreferent Kaj Hanefeld die Thesen vorgestellt.
Wann nutzt eine Lebensversicherung tatsächlich dem Kunden? Nach einem Marktcheck Anfang 2022 meldete die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Zweifel an. Sie bemängelte teils hohe und intransparente Kosten - und stellte indirekt in Abrede, dass alle getesteten Policen als Altersvorsorge-Instrument geeignet sind. Schon bei der Zulassung der Produkte, so der mahnende Zeigefinger, hätten die Versicherer stärker auf den Kundennutzen schauen müssen.
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Nun legt die BaFin nach: Bereits im Herbst hatte die Behörde den Entwurf eines Merkblattes vorgelegt, deren Thesen im aktuellen Monatsjournal diskutiert werden. Der Merkblattentwurf richte sich „an in- und ausländische Lebensversicherungsunternehmen, die der Aufsicht der BaFin unterliegen, in den Anwendungsbereich der Versicherungsvertriebsrichtlinie (Insurance Distribution Directive – IDD) fallen und kapitalbildende Lebensversicherungsprodukte anbieten“, heißt es in dem Text.
Fehlanreize im Vertrieb vermeiden
Der Schwerpunkt des Merkblattes liege auf zwei Themen: zum einen dem Produktfreigebungs-Verfahren, wobei die Anbieter auf § 23 Abs. 1a bis 1c Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und die Delegierte Verordnung 2017/2358 verwiesen werden. Zum anderen auf der beanstandeten Vertriebsvergütung, wofür § 48a VAG und die Delegierte Verordnung 2017/2359 in den Blick genommen wird. Ziel sei es Fehlanreize im Vertrieb zu vermeiden. „Zum Beispiel können zu hohe Vermittlerprovisionen einer ergebnisoffenen Information und Beratung der Versicherungsnehmer im Wege stehen“, schreibt Hanefeld.
Vier Thesen präsentiert der Fachmann im Anschluss. Und indirekt mahnt die BaFin die Versicherer damit, dass sie den Kundennutzen auch bei den Kosten im Auge behalten müssen. „Für den Zielmarkt ist der Kundennutzen als Gegenwert für die geleistete Prämie eine entscheidende aufsichtliche Kategorie“, heißt es gleich in These eins. Dabei sei die gesamte Vertragslaufzeit ins Auge zu nehmen. Dabei müssten sich die Versicherer bei den Produktfreigabeverfahren an der Gesamtheit der Kunden ausrichten, die zum Zielmarkt des Produktes gehören: das ergebe sich aus Vorgaben des Verbraucherschutzes, aus dem Versicherungsvertragsgesetz und dem Bürgerlichen Gesetzbuch.
Für kapitalbildende Lebensversicherungen zur Altersvorsorge, insbesondere fondsgebundene Produkte, fordert die BaFin im Merkblattentwurf für einen angemessenen Kundennutzen, dass sie „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen realen Anlageerfolg erzielen“. Damit sei eine Rendite nach Kosten gemeint, die oberhalb der begründeten Inflationserwartung liege. Schon das könnte angesichts der aktuellen Rekord-Inflation, so sie länger anhält, eine Herausforderung sein. Doch im Blick hat die Behörde hierbei auch das vorzeitige Vertragsende. Je höher der Anteil der Kunden sei, die im Bestand ihre Police vor Ablauf kündigen, „desto bedeutsamer ist die Frage, wie sich vorzeitige Vertragsbeendigungen auf den Kundennutzen auswirken“.
These zwei schließt direkt da an. „Bei Produkten zur privaten Altersvorsorge spielen die Kosten eine wesentliche Rolle. Ziel ist die Darstellung einer realen Rendite“, schreibt Hanefeld. Wenn es Ziel sei, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Rendite nach Kosten zu erreichen, die oberhalb der Inflationserwartung liege, so sei klar: „Je höher die Kosten des Produkts sind, desto schwieriger wird es, eine solche reale Rendite zu erreichen“. Für diese Prognose seien die Effektivkosten anzusetzen, die anzeigen, wie die jährliche Rendite durch Kosten gemindert werde.
Kundennutzen bei frühem Vertragsende?
These Numero drei: Wegen vorzeitiger Vertragsbeendigungen sollten Versicherungsunternehmen die Kosten der Vertriebsvergütung im Zeitverlauf genau prüfen. Zwar würden die ausgewiesenen Effektivkosten gegenüber den Kunden anzeigen, wie die jährliche Rendite durch Kosten geschmälert werde. Aber tatsächlich seien die Kosten nicht über die gesamte Vertragslaufzeit gleichmäßig verteilt. Sie fallen schwerpunktmäßig zu Beginn der Vertragslaufzeit an.
Der Hintergrund: Ohne dies direkt zu nennen, hat die BaFin hier das Prinzip der Zillmerung im Blick. Nach § 169 Absatz 3 VVG müssen die Lebensversicherer bei einer vorzeitigen Kündigung des Vertrages die angesetzten Abschluss- und Vertriebskosten bei der Berechnung der Rückkaufswerte mindestens auf die ersten fünf Jahre verteilen. „Die Regelung ist jedoch im Hinblick auf die Vorgaben des Produktfreigabeverfahrens zum Kundennutzen nicht abschließend“, mahnt die BaFin. Mit anderen Worten: Es sind Altersvorsorge-Produkte denkbar, die für die Sparenden keinen Nutzen haben - und entsprechend nicht zugelassen werden dürften.
Dies lasse sich an einem Extrembeispiel verdeutlichen: "Ein Lebensversicherungsunternehmen erwartet für ein Produkt, das auf eine langjährige Ansparphase ausgelegt ist, dass die Angehörigen des Zielmarkts ihre Vertragsverhältnisse innerhalb der ersten fünf Jahre zu 100 Prozent vorzeitig beenden. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Produkt, das aufgrund der früh im Vertragsverlauf anfallenden Kosten bei einer Kündigung nach fünf Jahren keine positive Rendite erreichen kann, keinen Kundennutzen hätte, unabhängig davon, ob § 169 Absatz 3 VVG beachtet wird oder nicht". Ohne dass die BaFin dies benennt, dürfte ein solches Produkt erst gar nicht auf den Markt genommen werden.
Zwar bestehe explizit keine Rechtspflicht, über die Vorgaben des Paragrafen hinauszugehen, schränkt Hanefeld ein. „Das ändert nichts daran, dass die Lebensversicherer die Kostenbelastung des Produkts auch im Zeitverlauf und die Auswirkungen auf den Kundenutzen für den Zielmarkt zu prüfen haben“, mahnt er. „Vielmehr ist es begrüßenswert, wenn die Unternehmen und ihre Vertriebspartner Vergütungsmodelle finden, die eine möglichst geringe und gleichförmige Kostenbelastung der Produkte im Zeitverlauf zulassen.“
Kickback-Zahlungen im Blick
Die vierte These von Hanefeld richtet sich explizit auf sogenannte Kickback-Zahlungen. Die BaFin hatte bei ihrem Marktcheck 2022 festgestellt, dass nicht nur Vermittler eine Provision erhalten. Zusätzlich zahlen bei fondsgebundenen Policen auch die Fondsgesellschaften eine Vergütung an die Versicherer - dafür, dass sie bestimmte Fonds vermitteln. Dies betraf 30 Prozent des Neugeschäfts in der Lebensversicherung, wo Kickbacks flossen oder die Versicherer zumindest nicht ausschließen konnten, dass dies geschieht.
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Wiederholt ist in der Branche diskutiert worden, ob und unter welchen Voraussetzungen derartige Kickbacks überhaupt zulässig sind. Vergleichsweise milde fällt dem entgegen die Einschätzung der BaFin aus. "Solche Rückvergütungen machen nach Kenntnis der BaFin bis zu ein Prozent des Fondsvermögens jährlich aus. Das sind zusätzliche Kosten, bei denen ein korrespondierender Kundennutzen fraglich ist. Solche Rückvergütungen der Fondsgesellschaften direkt an die Vertriebspartner werden zusätzlich zur Vergütung der Versicherungsunternehmen gezahlt. Sie sind tendenziell kostentreibend und können im Einzelfall Fehlanreize setzen", schreibt Hanefeld. "Im Einzelfall Fehlanreize": auf ein mögliches Verbot deutet diese Formulierung nicht hin.