Werden Cyberrisiken bald nicht mehr versicherbar sein - oder nur noch sehr eingeschränkt? Dies ist eine Frage, die in der Versicherungsbranche zuletzt wiederholt laut wurde. Sind die Versicherer zunächst mit großen Erwartungen ins Cybergeschäft eingestiegen, so zeigt sich, dass die potentiellen Kosten möglicher Attacken kaum verlässlich zu kalkulieren sind. Nach Schätzungen des US-Unternehmens Cybersecurity Venture könnten die Schäden durch Cyberkriminalität bis 2025 die Marke von 10,5 Billionen Dollar knacken.

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Eine erfolgreiche Cyberattacke kann sich schnell zum Kumulschaden auswachsen: einem Schaden also, der räumlich kaum einzuschränken ist und weltweit viele Unternehmen gleichzeitig lahmlegt. Die Attacke mit den Erpressungs-Trojanern „Petya“ im Jahr 2017 betraf zum Beispiel nicht nur das Kernkraftwerk in Tschernobyl, sondern Unternehmen weltweit: in Deutschland die Deutsche Bahn und die Beiersdorf AG, in den USA den Pharmakonzern Merck und den Lebensmittel-Giganten Mondelez, in Dänemark mit Maersk die größte Reederei der Welt. Medikamente können dann nicht mehr ausgeliefert werden, die Lieferketten stocken, Betriebe mit tausenden Mitarbeitern müssen vorübergehend ihre Arbeit einstellen. Und die Versicherer dafür bezahlen, wenn sie das Risiko laut Vertrag inkludiert haben.

Industrie gründet eigenen Cyberversicherer

Speziell Industrieunternehmen fällt es derzeit schwer, bezahlbaren Versicherungsschutz zu finden. Und die haben nun reagiert. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, haben sich zwölf Branchengrößen zusammengetan und ihren eigenen Versicherer gegründet. Dieser hört auf den Namen „Miris“ und hat seinen Sitz in Brüssel. Zu den Unternehmen gehören Airbus, der Reifenhersteller Michelin sowie der Chemiekonzern BASF.

Miris ist als genossenschaftlicher Versicherer organisiert: Schutz genießen folglich ausschließlich Mitglieder. Weitere 40 Unternehmen haben nach Information der „Süddeutschen“ Interesse sich anzuschließen. Der Schutz beinhaltet ausschließlich Cyberrisiken. Doch schon aufgrund der Größe der beteiligten Konzerne ist es fraglich, ob die Deckungssumme ausreicht, um die wachsenden Cyber-Gefahren aufzufangen: maximal 25 Millionen Euro erhalten die Unternehmen pro Jahr, bis 2026 soll die Summe auf 30 Millionen steigen. Offen steht der Versicherer, der nicht auf die Erzielung von Gewinnen ausgerichtet sei, Unternehmen mit Sitz in der EU und dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), so heißt es auf der Webseite.

Gespräche "mit der Faust in der Tasche"

Trotz der vergleichsweise niedrigen Versicherungssumme sehen Branchenbeobachter den neuen Anbieter als Fingerzeig an die Versicherungsbranche. „Ein Versicherungsunternehmen auf Gegenseitigkeit mit Sitz in Belgien, die im Besitz der Mitglieder ist und für die Mitglieder arbeitet“, wirbt Miris auf der hauseigenen Webseite. Denn die Industrieanbieter fühlen sich von den Versicherern zunehmend in Stich gelassen, das Verhältnis ist angespannt.

Zuletzt seien Gespräche zwischen Industrie-Unternehmen und Versicherern „mit der Faust in der Tasche“ geführt worden, berichtet die „Süddeutsche“. Sauer aufgestoßen sei den Industriekonzernen, dass die Versicherer Cyberrisiken aus der Standard-Deckung von Allgefahrenpolicen gestrichen hätten: zuvor waren sie oft Bestandteil. Zudem hätten die Versicherer zuletzt bei Cyber auf hohe Selbstbehalte bestanden, Versicherungssummen gedeckelt und die Preise stark erhöht - in einigen Fällen bis zu 100 Prozent, so berichtet Sandra Dammalacks, Spartenleiterin bei dem Industriemakler Deas, gegenüber dem Münchener Blatt.

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Manche Unternehmen hätten gar Zweifel, ob es sich überhaupt noch lohne, Cyberversicherungen abzuschließen. Demnach stünden die hohen Beiträge und der gebotene Schutz in keinem Verhältnis. Große Firmen wie BASF können mögliche Schäden mit ihrem eigenen Kapital auffangen. Anders sieht es jedoch bei kleinen und mittelständischen Unternehmen aus. Finden sie zukünftig keinen Schutz, könnte dies das eigene Geschäftsmodell bedrohen. Und dann ein weiterer Akteur ins Spiel kommen, um die Lücke zu schließen: der Staat.