Wie kann die gesetzliche Rente reformiert werden? Diese Frage wird in den kommenden Wochen und Monaten wieder lauter werden. Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil hat einen „neuen Generationenvertrag“ angekündigt, noch im ersten Quartal wird ein Reformvorschlag der Bundesregierung erwartet. Und Reformen tun dringend Not. Das Verhältnis von Beitragszahlern und Ruheständlern entwickelt sich ungünstig, heute stehen einem Altersrentner statistisch nur zwei Beitragszahler gegenüber. Der Bund muss knapp 98 Milliarden Euro in die Rentenkasse pumpen: Tendenz steigend.

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Damit melden sich auch vermehrt Ökonomen und Interessengruppen zu Wort, um ihre Vorschläge geltend zu machen. In einer Kolumne für die Wochenzeitung „ZEIT“ hat sich nun Marcel Fratzscher positioniert. Er ist Chefökonom des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin - und fordert eine Abkehr vom Äquivalenzprinzip in der gesetzlichen Rente. Das Äquivalenzprinzip besagt stark vereinfacht, dass jeder Euro, der in die Rentenkasse eingezahlt wird, auch den gleichen Anspruch an monatlichen Rentenzahlungen im Alter nach sie zieht. Wer viel einzahlt, erwirbt folglich auch höhere Rentenansprüche. Schon jetzt haben die erwerbbaren Entgeltpunkte allerdings auch eine Höchstgrenze, sodass derzeit maximal eine rechnerische Bruttorente von rund 3.314 Euro erworben werden kann.

Andere Reformvorschläge sogar kontraproduktiv?

In seiner Kolumne greift Fratzscher Vorschläge von Monika Schnitzer wieder auf, Vorsitzende der Wirtschaftsweisen. Bereits sie hatte sich für eine Abschaffung des Äquivalenzprinzips ausgesprochen, Versicherungsbote hat ihre Vorschläge bereits umfassend vorgestellt. Jedoch seien die meisten Vorschläge der Wirtschaftsweisen zur Reform der Rente nicht zielführend, argumentiert Fratzscher. Und: Sie schaffen ein neues Gerechtigkeitsproblem.

Fast im Einklang fordern nun Ökonomen, das Rentenalter weiter raufzusetzen und an die steigende Lebenserwartung anzupassen. 70 Jahre sind hier als Grenze angepeilt. Doch das habe einen entscheidenden Haken und wirke gar kontraproduktiv, wendet nun Fratzscher gegen diese Vorschläge ein. Der Grund: Eine Studie des DIW Berlin habe gezeigt, dass bei einem höheren Rentenalter mehr ältere Arbeitnehmer gesundheitliche Probleme bekommen und in die Erwerbslosigkeit abrutschen. Viele Menschen in bestimmten Berufen könnten schlicht nicht bis zum 67. Lebensjahr oder gar darüber hinaus arbeiten. Diese Betroffenen seien überproportional Menschen mit geringen Einkommen und mit niedrigen Rentenansprüchen. Eine Anhebung des Rentenalters fördere folglich die soziale Ungleichheit und führe sogar zu mehr Altersarmut.

Auch mehr Einnahmen wären nicht zwangsläufig zu erwarten, wenn man das Rentenalter raufsetzt und dann mehr Menschen gesundheitsbedingt zeitig ausscheiden, gibt Fratzscher zu bedenken. Zu ergänzen wäre, dass so auch das Fachkräfte-Problem nicht zu lösen wäre. So hat eine weitere Studie des DIW gezeigt, dass Menschen mit schwerer körperlicher Arbeit oft eine niedrigere Lebenserwartung haben - folglich auch Berufe wie Handwerker, Dachdecker etc. Statistisch das höchste Lebensalter erreichen laut Daten des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP) Beamte.

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Statt das Rentenalter zwangsweise raufzusetzen und gerade Einkommensschwache Berufsgruppen mit Abschlägen zu bestrafen, spricht sich Fratzscher dafür aus, das Rentenalter zu flexibilisieren und Hürden für jene Menschen abzubauen, die länger arbeiten können und wollen. Positive Anreize statt Zwang, sozusagen.

Höherer Rentenbeitrag - auch das wäre keine Lösung?

Ebenfalls als eher kontraproduktiv lehnt Fratzscher einen zweiten Vorschlag der Wirtschaftsweisen Schnitzer ab. Sie hatte vorgeschlagen, den Rentenbeitrag zeitnah zu erhöhen. Dies sei notwendig, „um die starke Babyboomer-Generation, die bald in Rente geht, noch an den Kosten zu beteiligen“, so Schnitzer. Zum Hintergrund: Laut Statistischem Bundesamt werden in den kommenden 15 Jahren rund 12,9 Millionen Erwerbspersonen in den Ruhestand wechseln: die geburtenstärksten Jahrgänge in der Geschichte der Bundesrepublik.

Den Rentenbeitrag raufzusetzen, ist laut Fratzscher aus zwei Gründen keine gute Idee. Zum einen habe Deutschland ohnehin bereits eine der höchsten Sozialabgabenquoten der Welt - aktuell liegt sie bei 41 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum anderen würde dies -im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen- Menschen mit geringeren Löhnen stärker belasten. Diese leiden ohnehin an der hohen Inflation und den teils enorm gestiegenen Energiekosten.

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Stattdessen gebe es bessere Lösungen, um die Rente zu reformieren, argumentiert Fratzscher. Und an diesem Punkt nimmt er das sogenannte Äquivalenzprinzip in die Schusslinie. Dieses besagt, dass jeder Euro an Beitrag den gleichen finanziellen Anspruch an monatlichen Renten nach sich ziehe. Doch was gerecht scheine, sei es in Wirklichkeit nicht. Denn Menschen mit geringeren Einkommen hätten im Schnitt eine fünf bis sieben Jahre niedrigere Lebenserwartung als Menschen mit höheren Einkommen. „Damit die deutsche gesetzliche Rente eine Umverteilung von unten nach oben, von arm zu reich“, schreibt Fratzscher.

Künftig sollen nun Menschen mit geringem Einkommen tendenziell höhere Rentenansprüche auf ihre Beiträge erwerben - und Gutverdiener entsprechend geringere. Das sei keine revolutionäre Idee, sondern werde in den meisten Industrienationen so praktiziert, schreibt der Ökonom. Der vierte diskutierte Reformvorschlag der Wirtschaftsweisen enthalte hingegen wieder sozialen Sprengstoff: Die Renten sollen langsamer steigen als die Löhne. Dies würde Altersarmut stärker steigen lassen als ohnehin schon. Im Gespräch ist unter anderem, die Entwicklung der Renten an die Inflation zu koppeln.

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Das beste Mittel gegen Altersarmut seien aber ausreichend hohe Löhne, gibt Fratzscher zu bedenken. Die Idee, mit Hilfe einer Aktienrente einen zusätzlichen Kapitalstock aufzubauen, begrüßt er - das würde aber bei der angedachten Höhe Jahrzehnte dauern, um einen wirksamen Effekt zu erzielen.

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