Deutschland galt lange als Land der Aktienmuffel. Denn während in den USA mehr als die Hälfte der Bevölkerung auch Geld in Aktien oder Fonds anlegt, lag die Zahl deutscher Aktiensparer in 1999 bei 12,9 Prozent. Die Aktionärsquote – die Quote für jenen Teil der Bevölkerung, der direkt in Aktien investiert – lag mit 7,8 Prozent zudem noch darunter. In 2000 aber gab es kurzzeitig einen wahren Aktienboom durch den Hype um die Telekom-Aktie, deren Kursverfall in eine noch größere Flaute führte. Wie eine aktuelle Studie des Deutschen Aktieninstituts (DAI) nun zeigt, hat die Quote der Aktiensparer aber wieder das Niveau von 2000 erreicht.

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Das "Volksaktien"-Trauma der Telekom

Eine massive Werbekampagne für die vermeintliche „Volksaktie“ der Telekom führte 2001 zu einem wahren Run auf die Börsen: Die Aktie wurde ab Juni 2000 in großen Mengen ausgegeben. Man bewarb die Aktie als perfektes Anlageprodukt für die Altersvorsorge. Dies rief auch eine Vielzahl von Kleinanlegern und Kleinsparern auf den Plan. Aufgrund der Telekom-Aktie stieg auch die Quote der Aktiensparer: Sie lag in 2000 bei 18,5 Prozent und in 2001 sogar bei 20,0 Prozent. Rund 1,9 Millionen Kleinanleger investierten in 285 Millionen T-Aktien im Wert von umgerechnet 4,2 Milliarden Euro. Die Attraktivität der Telekom-Aktie schien aus Deutschland ein Land der Aktionäre zu machen.

Was freilich damals in der Euphorie unterging: Die Aktie war schon bei Ausgabe massiv überbewertet: zumal es aus heutiger Sicht nahezu tollkühn scheint, das Schicksal vieler Kleinanleger von Aktien nur eines Unternehmens abhängig zu machen. Als dann noch herauskam, dass die Deutsche Telekom Immobilienbestände überbewertet und während des zweiten und dritten Börsengangs falsche Zahlen in die Öffentlichkeit getragen hatte, kam es zur Katastrophe. Die Aktie, die im März 2000 noch bei 103,50 Euro notierte, stürzte bis zum Jahr 2010 auf 8,85 Euro ab: Viele Kleinanleger verloren einen großen Teil ihrer Ersparnisse.

Aktienmüdigkeit mit Nachwirkungen noch in 2021

Dieses Trauma sorgte auch dafür, dass die Quote der Aktiensparer wieder akut zurück ging: Sie sank bis 2008 auf 14,4 Prozent. Die globale Banken- und Finanzkrise ab 2007 tat ihr Übriges. So lag die Quote der Aktiensparer laut Deutschem Aktieninstitut in 2010 wieder bei 12,9 Prozent, die Aktionärsquote nun sogar bei nur 5,6 Prozent. T-Aktie und Bankenkrise hatten zu einem massiven Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Aktien und in der Folge zu einer Aktienmüdigkeit geführt, die laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) noch in 2021 bei älteren Anlegern nachwirkte (Versicherungsbote berichtete).

Quote der Aktiensparer nähert sich wieder Zahlen des Telekom-Hypes

Nun aber ist die Quote der Aktiensparer wieder auf dem Niveau wie zu Beginn des Millenniums, zeigt die DAI-Studie: 18,3 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren investieren in 2022 in Fonds, ETFs oder Aktien.

Besonders bei jüngeren Menschen wuchst zuletzt die Beliebtheit des Aktiensparens:

  • So lag die Quote der Aktiensparer in der Kohorte der 14- bis 19-Jährigen noch bei 3,0 Prozent in 2018, legte nun aber auf 7,4 Prozent in 2022 zu.
  • Und in der Kohorte der 20- bis 29-Jährigen lag die Quote der Aktiensparer bei 9,8 Prozent in 2018 und legte nun bis 2022 auf 18,4 Prozent zu.

Am höchsten ist die Zahl der Aktiensparer jedoch bei den 50- bis 59-Jährigen. In dieser Kohorte legten in 2022 insgesamt 23,3 Prozent ihr Geld in Fonds, ETFs oder Aktien an.

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Anders als im Jahr 2000 jedoch ist es in 2022 kein künstlicher Hype um eine "Volksaktie", der die Menschen an die Börsen ruft. Weit eher ist davon auszugehen: Nach und nach wirken Aufklärungskampagnen, die aufgrund des Niedrigzins nötig wurden. Das zeigen auch die Anlagestrategien:

  • Der größte Teil der Anleger (7,6 Mio. Anleger) investiert nur in Fonds oder ETFs.
  • Es kommen 2,9 Mio. Anleger hinzu, die sowohl in Fonds und ETFs als auch in Aktien investieren.
  • Der kleinste Teil der Anleger (2,4 Mio. Anleger) hingegen tätigt einzig direkte Investitionen in Aktien.

Kein Weg um Aktien in Zeiten des Niedrigzins

Dass seit dem Telekom-Trauma wieder mehr Menschen an die Börsen streben, hat wesentlich mit dem Niedrigzins zu tun. Denn in 2001, als die Menschen mit den Telekom-Aktien enttäuscht wurden, boomten zinsbasierte Anlageformen: Damals lag der Leitzins der Europäischen Zentralbank bei 4,75 Prozent. Zudem profitierten Banken und Geldhäuser, die zwischen dem 06. Oktober 2000 und dem 11. Mai 2001 Einlagen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) hielten, von einem Einlagezins in Höhe von 3,75 Prozent. Die Einlage von Geld wurde mit Geld belohnt.

Folglich boomten auch zinsbasierte Anlageformen (zum Beispiel Prämien-Sparverträge) oder zinsbasierte Vorsorgeprodukte (zum Beispiel kapitalbildende Lebensversicherungen). Sicherheitsliebende Anleger hatten also gar keinen Grund, Geld in Aktien oder Fonds zu investieren. Denn die Entwicklung von Telekom-Aktien und die vielen Verwerfungen in Folge der Bankenkrise verhießen nichts Gutes.

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Die Bankenkrise sorgte dann aber auch dafür, dass mit dem bisherigen Grundsatz gebrochen wurde, dass Geld haben durch Zinsen belohnt wird. Denn um die Investitionsschwäche zu überwinden und um deflationäre Entwicklungen aufgrund der Bankenkrise zu stoppen, wurde der Leitzins Schritt für Schritt abgesenkt. Der Leitzins erreichte seinen Tiefstand – fatale "0,00" Prozent – im März 2016. Es folgte eine lange Periode der Null- und Minuszinsen, die bis zum Juni 2022 andauerte.

Geld zu haben kostete plötzlich Geld

Bereits ab Juni 2014 mussten Banken und Geldhäuser Strafen zahlen für eingelagertes Geld bei der EZB. Seit dem 16. März 2016 lag der der Einlagesatz für gebunkertes Geld sogar bei -0,40 Prozent. Und seit dem 18. September 2019 lag er bei -0,50 Prozent: Geld bei der EZB anzulegen, wurde nun durch Kosten bestraft. Zinsen für festverzinsliche Anlagen gingen in den Keller, Garantien für Lebensversicherungen ließen sich nicht mehr erwirtschaften (Versicherungsbote berichtete). Und Geldhäuser verlangten sogar Zinsen für Kundengelder auf Konten – so genannte „Verwahrentgelte“. Geld zu haben kostete plötzlich Geld.

Selbst Verbraucherschützer fingen an, Aktien zu empfehlen

In dieser Situation fiel auf: Wer Geld in Fonds, ETFs oder Aktien angelegt hatte, konnte bei längerfristigem Anlagehorizont durchaus profitieren. Anders als mit zinsbasierten Vorsorgeprodukten schien es zudem möglich, die Inflationsrate ausgleichen, wie der Dax bewies: Demnach konnten Anlegerinnen und Anleger in der Vergangenheit bei einer Spardauer von 20 Jahren eine durchschnittliche Rendite von 8,7 Prozent im Jahr erwirtschaften. Freilich musste hierfür das Risiko gestreut und die Geldanlage auf Unternehmen verschiedener Branchen und Regionen verteilt werden, um damit das Risiko möglicher Verluste zu senken.

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Im Spiegel solcher Fakten begannen auch (die oft börsenskeptischen) Verbraucherschützer, Fonds und ETFs oder Aktien zur Vorsorge zu empfehlen (Versicherungsbote berichtete). Man kann davon ausgehen, dass letztendlich der Niedrigzins die Auseinandersetzung mit Aktien förderte und so auch zu mehr Kenntnissen über Anlagestrategien führte – und nun zu einem neuen Boom zumindest für deutschen Verhältnisse führte, wenngleich Zahlen wie in den Staaten noch immer weit entfernt sind.

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