Mit „The Paradox of Dumb Money“, also dem Paradox des dummen Geldes, beschreibt Wesley Gray in seinem Buch „Quantitative Value: A Practitioner‘s Guide to Automating Intelligent Investment and Eliminating Behavioral Errors“ das Phänomen, dass viele Anleger signifikant schlechter abschneiden als die Fonds, in die sie investieren. Der Hintergrund: Gier und Selbstüberschätzung verleiten Investoren dazu, zum falschen Zeitpunkt die falschen Schlüsse zu ziehen und vor allem auch emotional zu entscheiden. Dadurch bleiben sie hinter den eigentlichen Ertragsmöglichkeiten zurück.

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Harald Sporleder ist Chief Investment Officer der Fondsboutique Lingohr & Partner Asset Management

Das zeigt sich beispielsweise an dem langlaufenden Trend des Growth Investing in den 2010er Jahren: Die Investoren haben in interessant erzählte Wachstumsgeschichten investiert, aber dabei zumeist in die Werte, die schon gut waren und daher kaum noch attraktives Potenzial aufweisen konnten. Das Problem: Dann ist es in der Regel zu spät, um langfristig gute Ergebnisse zu erzielen. Investoren steigen bei hohen Preisen und hohen Bewertungen ein und haben damit einen großen Teil des Zyklus schon verpasst. Schließlich spielt die Bewertung zum Startpunkt einer Investition die wichtigste Rolle auf zukünftige Investment-Performance.

Langfristig in Qualitätsunternehmen investieren

Immer mehr Investoren haben dies erkannt und einen Paradigmenwechsel eingeleitet. 2022 ist das Jahr, in dem die Renaissance des Value Investing gestartet ist. Das ist bekanntlich eine Anlagestrategie, bei der Aktien ausgewählt werden, die der Aktienmarkt unter objektiven Gesichtspunkten unterbewertet. Value-Investoren folgen nicht dem Herdentrieb an den Kapitalmärkten und wollen auf diese Weise langfristig in Qualitätsunternehmen investieren. Diese neue Value-Welle hängt unter anderem mit den steigenden Zinsen zusammen. Für Growth-Werte, vor allem aus dem Technologiesektor, wird fremdfinanziertes Wachstum durch die hohen Zinsen deutlich teurer und riskanter. Zudem muss ein Investor berücksichtigen, dass am Aktienmarkt stets zukünftige Gewinne abdiskontiert werden und dieser Diskontsatz ist eine Funktion des allgemeinen Zinsniveaus. Mit anderen Worten sind zukünftige oder auch hoffnungsvolle Gewinne der Zukunft jetzt weniger wert, wenn der Zins und damit der Diskontierungssatz steigt.

Genau diese Beobachtung machen wir seit Ende 2021, und dieser Trend wird sich unserer Meinung nach fortschreiben, denn die Zentralbanken haben erkannt, dass eine Normalisierung der Zinslandschaft notwendig ist, damit Geld wieder sinnvoller allokiert wird. Dieses neue Umfeld führt bei den noch immer hohen Bewertungen vieler Growth-Werte zur Gefahr einer weiteren erheblichen Downside, wie wir sie bereits im vergangenen Jahr erlebt haben. Investoren zahlen also in vielen Fällen zu viel für diese Werte.

Bei Value- und Dividendenwerten sind die Cashflows sicherer

Das bedeutet: Die Geschäftsmodelle und Strukturen der Unternehmen sind stabiler und gewachsen. Trotz aller Unsicherheit, die wir stets in den Kapitalmärkten haben, ist eine leicht bessere Vorhersehbarkeit der Cashflows gegeben. Das generiert eine nicht zu unterschätzende Sicherheit für Investoren, die eine Ausschüttung benötigen. Viele Wachstumsunternehmen sind nicht in der Lage, diese Cashflows zu verdienen, oder das Geschäftsmodell muss durch Marketingausgaben und andere Investitionen noch so strukturiert werden, dass am Ende für den Aktionär weniger übrigbleibt.

Das Value Investing geht den gegenteiligen Weg. In Bezug auf den US-Markt zeigt beispielsweise der Blick zurück bis 1963, dass unabhängig von Zinssatz und Inflation die Value-Prämie gegenüber Growth positiv ist und im Small Cap Bereich deutlich höher ausfällt als bei den Large Caps. Das historische Alpha liegt in Phasen hoher Inflation bei mehr als sechs Prozent für Value. Neben Finanzwerten profitieren Industrie-, Energie- und Rohstofftitel besonders von einem Umfeld steigender Zinsen. Auch die historische Durchschnittsbewertung für Value-Aktien lässt eine Outperformance erwarten. Und trotz guter absoluter Performance ist das Value-Segment günstiger geworden, da noch immer eine gesunde Balance existiert zwischen Gewinnwachstum, Kurssteigerungen und Bewertung. Im gleichen Atemzug ist auch die relative Attraktivität der europäischen Titel im Vergleich zum amerikanischen Markt zu erwähnen, jedoch gilt allerdings diese Aussage nur dann längerfristig, wenn es Europa gelingt, sich stärker als einheitlicher Wirtschaftsraum zu präsentieren.

Langfristig lohnt sich ein Value-Anteil im Portfolio in so gut wie allen Szenarien

Um diese Beobachtungen zu validieren, lohnt sich der Blick auf den Performance-Vergleich zwischen MSCI World Value und MSCI World. Der MSCI World Value Index erfasst große und mittelgroße Wertpapiere, die in 23 Ländern der entwickelten Märkte allgemeine Value-Stilmerkmale aufweisen. Die Merkmale des Value-Anlagestils für die Indexkonstruktion werden anhand von drei Variablen definiert: Buchwert zu Preis, Zwölf-Monats-Forward-Earnings zu Preis und Dividendenrendite. Seit Auflage 1974 liegt der MSCI World Value bei einer annualisierten Performance von 11,25 Prozent, der MSCI World bei 10,58 Prozent. In den vergangenen drei Jahren hat der MSCI World mit 5,45 Prozent zwar einen marginalen Vorsprung gegenüber dem Value-Index (4,83 Prozent), aber im Krisenjahr 2022 liegt Value nur knapp sechs Prozent im Minus, während es im MSCI World fast 18 Prozent sind. Und die Erholung im vierten Quartal 2022 lag im Value-Index bei 14,93 Prozent, im MSCI World bei 9,89 Prozent.

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Somit gilt: Nach nunmehr über einer Dekade Value-Underperformance scheint sich die Stimmung unter Anlegern nachhaltig zu ändern. Das aktuelle Marktumfeld bietet dem disziplinierten Value-Anleger nach langer Dursttrecke gute Gründe, vorsichtig optimistisch zu sein. Langfristig lohnt sich ein Value-Anteil im Portfolio in so gut wie allen Szenarien für einen weitsichtigen Investor, auch vor dem Hintergrund, dass immer wieder kritische Sondersituationen wie die Corona-Krise oder der Ukraine-Krieg auftreten können und werden.