Axel Kleinlein stand bis September 2022 dem Bund der Versicherten (BdV) als Vorstandssprecher vor: Dabei machte er sich unter anderem als Kritiker der Lebensversicherung einen Namen. Am Narrativ des Verbandes, die kapitalbildende Lebensversicherung sei „legaler Betrug“, hielt auch er fest. Dass Lebensversicherer seit einer Gesetzreform den Kundinnen und Kunden Überschussbeteiligungen kürzen dürfen, wenn sie den notwendigen Sicherungsbedarf behaupten, ließ den Verband in seiner Amtszeit bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen.

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Nun meldet sich Kleinlein in einem Interview mit dem Manager Magazin wieder zu Wort: mittlerweile ist er als selbstständiger Versicherungsmathematiker tätig. Und milder ist er nicht geworden. Zwar greift er diesmal die Branche nicht direkt an, wie er dies zu Zeiten des BdV gern tat. Der Aktuar benennt aber Probleme der Lebensversicherer, die zulasten der Kunden gehen können: gipfelnd in dem Satz „Viele Verbraucher müssten ihren Vertrag eigentlich kündigen“.

Steigender Zins - nützt er wirklich der Branche?

Ausgangspunkt des Interviews sind die stark steigenden Zinsen am Kapitalmarkt: und was diese für die Lebensversicherer bedeuten. Die Branche litt gut zehn Jahre an den niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt, weil sie ihren Kunden hohe Garantien zugesagt hatten. Diese konnten mit aktuellen Wertpapieren nicht mehr erzielt werden. Zusätzlich musste die Branche Milliarden in die sogenannte Zinszusatzreserve geben: einem Finanzpuffer, mit dem die Versicherer ihre langfristigen Zusagen absichern mussten.

Dass die Zinsen nun wieder steigen und die Versicherer neue Anlagen wieder mit höherer Rendite zeichnen können, kommt ihnen aus Sicht von Branchenbeobachtern entgegen. Auch die Aufsichtsbehörde BaFin schätzt ein, dass sich die Finanzkraft der Anbieter verbessert habe. Doch Kleinlein macht im Interview auf ein Problem aufmerksam: die sogenannten stillen Lasten. Denn viele Papiere, die Lebensversicherer in Zeiten des niedrigen Zinses abgeschlossen haben, verlieren nun zunächst an Wert. Der Wertverlust gilt zumindest dann, wenn die Papiere nicht bis zum Ende ihrer Laufzeit gehalten werden: Dann haben sie einen festen, vorher vereinbarten Endwert.

Auf dieses Problem macht nun auch Kleinlein aufmerksam. „Zwar bekommen die Unternehmen etwas Entlastung. Für die Versicherten haben schnell steigende Zinsen derzeit aber sogar negative Effekte. Es wird einige Jahre dauern, bis die Lebensversicherungskunden von steigenden Kapitalmarktzinsen profitieren können“, sagt er in dem Interview.

Bei jüngeren Verträgen würden die Lebensversicherer im Schnitt nur noch einen Garantiezins von 0,25 Prozent gewähren, führt der Aktuar aus. Abzüglich der Kosten für Vertrieb und Verwaltung ergebe sich bei so einem niedrigen Zins sogar ein Verlust. Entsprechend müsse die Überschussbeteiligung genügend hoch ausfallen, damit die Verträge ins Plus kommen. „Hohe Überschüsse zu erwirtschaften, wird den Unternehmen auch in den nächsten Jahren schwerfallen“, sagt Kleinlein.

Das liege daran, dass die Lebensversicherer in Zeiten niedriger Zinsen gezielt Gelder der Überschussbeteiligung entzogen hätten, um diese in den Sicherheitspuffer zu stecken, kritisiert Kleinlein. Und in diesen Puffern würden nun die Probleme schlummern, weil die Versicherer hier schlecht verzinste Anlagen gebunkert hätten. Der Wert der Anlagen sei durch den steigenden Zins rapide gesunken, es hätten sich stille Lasten gebildet. Denn neue Papiere können nun wieder mit höherer Rendite gezeichnet werden. Diese Lasten entstünden, wenn der Marktwert einer Kapitalanlage unter dem Anschaffungswert liegt.

Stille Lasten von 125 Milliarden Euro?

Der Interviewer erklärt daraufhin, dass ein ehemaliger Versicherungsvorstand die stillen Lasten der deutschen Lebensversicherer auf 125 Milliarden Euro beziffert hätte: eine gewaltige Summe. „Ja, die Lasten sind riesig. Die Versicherer verbergen das Milliardenrisiko aber derzeit noch mit einem Trick“, pflichtet Kleinlein bei. Dieser Trick bestünde darin, dass die Unternehmen behaupten würden, sie müssten die festverzinslichen Anlagen nicht auflösen. Damit könnten sie weiter so tun, als hätten die Papiere den Anschaffungswert. Das ändere sich aber, wenn die Unternehmen mit Liquiditätsproblemen oder einer Stornowelle konfrontiert würden. Dann müssten die Papiere eben tatsächlich deutlich unter Wert verkauft werden, damit sich der Versicherer frisches Geld beschaffen kann.

“Die Überschussbeteiligung steigt dann nicht, sondern dürfte im Gegenteil schlechter ausfallen“, schlussfolgert Kleinlein. Und nur die wenigen Lebensversicherer sich nicht mit derart niedrig verzinsten Anlagen vollgesogen hätten, stünden sie etwas besser da. Das sei aber die Ausnahme: „Denn die Anlagepolitik derBranche war im letzten Jahrzehnt trotz Warnrufen größtenteils zukonservativ auf festverzinste Papiere ausgerichtet“, so Kleinlein.

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Sein Fazit: Eigentlich müssten viele Verbraucher ihren Vertrag kündigen oder beitragsfrei stellen. Dass dies Nachteile für die Sparenden mit sich bringen kann -Stichwort niedriger Rückkaufswert- erwähnt der Mathematiker nicht. Ebensowenig, dass die Versicherer gesetzlich verpflichtet sind, große Teile der Kundengelder in festverzinsliche Papiere zu investieren, wenn sie Garantien bieten. Mit Blick auf ein Allianz-Anlageprodukt, das mit 2,5 Prozent Überschussbeteiligung wirbt, geht Kleinlein davon aus, dass nach Kosten nur noch circa ein Prozent übrig bleiben. Vor dem Hintergrund von acht Prozent Inflation bedeute dies eine Geld-Entwertung.