Was das neue Stiftungsrecht bedeutet
Die deutsche Stiftungslandschaft wächst und wächst. Und der Gesetzgeber schließt gefährliche Haftungsfenster beim Umgang mit dem Stiftungsvermögen. Das ist positiv für (angehende) Stifter, und gerade Finanzberater können die neuen Möglichkeiten in der Beratung stiftungsaffiner Kunden nutzen, betont Stefan Rattay, Steuerberater und Partner der multidisziplinären Kanzlei WWS Wirtz, Walter, Schmitz & Partner mbB mit Standorten in Mönchengladbach, Aachen und Nettetal am Niederrhein.
Die Zahlen sind positiv: Im Jahr 2021 sind in Deutschland 863 neue Stiftungen gegründet worden, 473 davon sind steuerbegünstigt. Für den Stiftungssektor in Deutschland bedeutet das einen Zuwachs von 3,2 Prozent (2020: 2,8 Prozent). Insgesamt gibt es in Deutschland jetzt 24.650 rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts. Die deutsche Stiftungskultur hat sich somit auch in der Covid-19-Krise bewährt: „Stiftungen scheinen – zumindest mit Blick auf die erste Pandemiewelle – robuster und krisenfester zu sein als Vereine und andere zivilgesellschaftliche Organisationen“, sagt Kirsten Hommelhoff, Generalsekretärin des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen.
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Neues Stiftungsrecht tritt zweistufig in Kraft
Um das Stiftungswesen in Deutschland weiter zu stärken, hat der Gesetzgeber die Einführung eines bundeseinheitlichen Stiftungsrechts und eines Stiftungsregisters beschlossen. Das neue Recht tritt zweistufig, einmal am 1. Juli 2023 und ein weiterer Teil am 1. Juni 2026, in Kraft. Damit wird das Stiftungsprivatrecht abschließend und bundeseinheitlich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt sein. Das neue Stiftungsrecht sieht keine Unterscheidung zwischen privatnützigen und gemeinnützigen Stiftungen vor und gilt daher für alle Stiftungen gleichermaßen – unabhängig davon, ob es sich um Verbrauchs-, Ewigkeits-, gemeinnützige oder privatnützige Familien- oder Unternehmensstiftungen handelt.
Gewinne aus der Umschichtung von Vermögensgegenständen für die Zweckverwirklichung
Im Mittelpunkt stehen neue Regelungen zur Vermögensverwaltung von Stiftungen. Diese müssen ihren satzungsgemäßen Zweck aus den Erträgen ihres Vermögens erfüllen. Doch gerade in der seit Jahren laufenden Niedrigzinsphase in Kombination mit den Herausforderungen der Inflation und schwankenden Märkten, brauchen Stiftungen mehr Flexibilität im Umgang mit dem Stiftungsvermögen. Stiftungen sind grundsätzlich dem ungeschmälerten Vermögenserhaltung nach Maßgabe des Stifterwillens verpflichtet. Sofern der Stifterwille nicht etwas anderes vorgibt, sollten auch ohne ausdrückliche Satzungsregelung Gewinne aus der Umschichtung von Vermögensgegenständen für die Zweckverwirklichung eingesetzt werden dürfen. Das gilt beispielsweise bei Wertpapieren. Diese Flexibilisierung hilft bei der doppelten Aufgabe von Zweckverwirklichung und vorgeschriebenem Kapitalerhalt. Damit muss keine Stiftung ihre Finanzierungsstrukturen umstellen und Stiftungsvorstände können flexibler ihre Stiftung durch die Niedrigzinsphase navigieren.
Business Judgement Rule schafft mehr Haftungsfreiheit
Auch in einem anderen Aspekt ändert die Anpassung der Stiftungsgesetze die Vermögensverwaltungspraxis. Die Business Judgement Rule („Regel für unternehmerische Entscheidungen“) ermöglicht gewisse Risiken in der Vermögensverwaltung und schafft damit zusätzliche Rechtssicherheit im Umgang mit dem Stiftungsvermögen. Durch die Einführung der Business Judgement Rule haften Stiftungsorgane nicht für eine Fehlentscheidung, wenn sie bei der Geschäftsführung unter Beachtung von Satzung und Gesetzen sowie auf Grundlage angemessener Informationen annehmen durften, dass sie zum Wohle der Stiftung handeln. Das beruht auf der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von 1997, dass ein Unternehmensleiter hinsichtlich der zu treffenden unternehmerischen Entscheidungen einen bestimmten Spielraum genießt. „Ihn trifft keine persönliche Haftung, wenn er ausreichend gut informiert ist und eine Entscheidung nachvollziehbar im besten Sinne des Unternehmens getroffen hat.“
Mehr Risiken in der Vermögensverwaltung möglich
Durch diese Erleichterung ist es jeder Stiftung freigestellt, in der Anlage des Stiftungsvermögens frei zu entscheiden, wenn ein Finanzinstrument in das Gesamtbild der Strategie und zum Erreichen der Anlageziele passt. Die Vermögensverwaltung muss somit nicht mehr dem Primat des Substanzerhalts zu jedem Preis unterliegen, und die Business Judgement Rule ermöglicht gewisse Risiken in der Vermögensverwaltung ohne Angst vor privater Haftung für Stiftungsorgane. Das Business Judgement Rule wird das Haftungsrisiko für Stiftungsorgane reduzieren und es ermöglichen, bei der Anlage des Stiftungsvermögens künftig auch (maßvolle) Risiken einzugehen. Somit können Finanzverantwortliche nun die Grenzen der rein risikolosen Geldanlage zugunsten der eigenen Haftungsvermeidung überwinden. Das Spektrum der zur Verfügung stehenden Finanzanlagen wird damit eklatant erweitert, sowohl bei liquiden als auch illiquiden Assets.
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Es ist vor allem Finanzberatern geraten, sich mit diesen neuen Regelungen auseinanderzusetzen. Sie sind aufgrund ihrer Vertrauensstellung oftmals der erste Ansprechpartner für potenzielle Stifter, die mit ihrem Vermögen Gutes bewirken wollen, oder sie können den Gründungsprozess bei passenden Kunden sogar proaktiv anstoßen. In der Folge werden sie dann auch als Trustee Advisor mit den Vermögensangelegenheiten betraut sein und können die neuen Freiheiten des Stiftungsrechts gemeinsam mit dem Stifter zum Wohle der Stiftungen und der Begünstigten des guten Zwecks nutzen.