Die EU-Bürokratie ist wegen ihrer Regelungswut seit Jahrzehnten gefürchtet. Immer wieder kamen aus Brüssel aberwitzige Verordnungen, die allenfalls ein Zeichen der Beschäftigungstherapie unterforderter vermeintlicher EU-Experten waren, nicht jedoch einer wirklich guten Sache dienten. So ist die Gurken-Verordnung noch in bester Erinnerung, das Gemüse durfte zum Beispiel nur in einem bestimmten Ausmaß gekrümmt sein. Noch besser war die Seilbahn-Richtlinie, nach der auch die Bundesländer Berlin und Mecklenburg-Vorpommern entsprechende Gesetze erlassen mussten. Dabei gibt es dort gar keine Seilbahnen.

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Dr. Rainer Reitzler, CEO der Münchener Verein VersicherungsgruppeMünchener Verein Versicherungsgruppe

Jetzt droht aus Brüssel eine weitere Regelung, die die Finanzwelt in Deutschland gehörig durcheinanderwirbeln würde: Ein Provisionsverbot für Finanzprodukte. Die Initiative geht von der EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness aus, Ende März will sie ihre Idee konkretisieren. Würde das Provisionsverbot Realität werden, so hätte das für viele Banken und Vermittler von Versicherungen, Fonds und anderen Produkten drastische Folgen. Der Verkauf in Kombination mit Provisionen wäre vom Tisch. Die Honorarberatung und -vermittlung mit ihren provisionsfreien Nettotarifen, die beide derzeit noch ein Nischendasein führen, würden den provisionsbasierten Verkauf von Anlageprodukten ablösen.

Zwei Lager stehen sich derzeit nahezu unversöhnlich gegenüber. Auf Verbandsebene lehnen beispielsweise der Bundesverband der Versicherungskaufleute BVK, der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW und der Bundesverband deutscher Vermögensberater ein Provisionsverbot ab. Die Existenz von rund 300.000 Anlageberatern sei bedroht, so das Hauptargument. Zudem habe die Einführung eines Provisionsverbots in Großbritannien zu einem enormen Rückgang der qualifizierten Beratung für Geringverdiener geführt. Hohe Stundensätze in der Honorarberatung schreckten Kleinanleger ab. Nur noch vermögende Menschen könnten sich eine professionelle Finanzberatung leisten. Auch Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht bei der BaFin, sieht in einem Provisionsverbot keine Lösung. Honorarberatung sei nicht zwangsläufig besser, so seine Einschätzung. Auch die Honorarvermittlung, bei der im Gegensatz zur Honorarberatung nur dann eine Vergütung anfällt, wenn ein Vertrag zustande kommt, ist nach wie vor eher unbekannt.

Die Befürworter eines Provisionsverbots, allen voran die Verbraucherschützer, kritisieren insbesondere die zu hohen Provisionen zum Nachteil der privaten Anleger. Für den Abschluss erhalten Vermittler in der Regel eine Provision von drei bis fünf Prozent der angelegten Summe und darüber hinaus ein bis zwei Prozent für den Bestand pro Jahr. Das führe nicht selten dazu, dass Vermittler ihren Kunden möglichst teure Produkte verkaufen. So müssten viele Kunden vor allem bei Altersvorsorge-Produkten teilweise hohe Einbußen in Kauf nehmen.

Und wie sieht es die Politik? Die Union lehnt die EU-weite Abschaffung von Provisionen in der Anlageberatung ab. Bei einer rein honorarbasierten Anlageberatung sei eine unkomplizierte und kostengünstige Beratung für breite Bevölkerungsschichten nicht mehr möglich. Denn Verbraucher mit kleinen und mittleren Einkommen seien wohl kaum bereit, für eine Grundberatung ein Stundenhonorar von durchschnittlich 183 Euro auszugeben. Die SPD steht einem Provisionsverbot teilweise kritisch gegenüber. Der Koalitionspartner FDP hat sich bereits in einem Brief von Bundesfinanzminister Christian Lindner Ende 2022 gegenüber EU-Kommissarin McGuinness als „sehr besorgt“ über deren Initiative gezeigt. Die Grünen befürworten indes ein Provisionsverbot bei der Geldanlage. Sie unterstützen McGuinness Pläne, „Fehlanreize und Interessenkonflikte im provisionsbasierten Finanzbetrieb“ abzuschaffen. Von einer einheitlichen Linie in der Ampel kann daher keine Rede sein. Aber wundert uns das?

Zwischenfazit: Die Politik verfolgt seit Jahren das Ziel, die Vermittlung von Versicherungen und anderen Finanzprodukten gegen ein vom Kunden zu zahlendes Honorar zu fördern. Bereits 2014 wollte die Bundesregierung die Beratung gegen Honorar stärken und brachte das Honoraranlageberatungsgesetz auf den Weg. Das Gesetz trat am 01.08.2014 in Kraft. Es gilt jedoch nicht für alle Finanzprodukte, sondern nur für Wertpapiere und Vermögensanlagen. Ausgenommen sind z.B. Kapitallebensversicherungen, Bausparverträge und Spareinlagen.

Ich sehe es so: Damit sich möglichst viele Menschen vernünftig und kostengünstig beraten lassen können, machen Provisionen, insbesondere in der Altersvorsorge, durchaus Sinn. In meinen Augen macht es keinen Sinn, einseitig nur auf die Honorarberatung oder -vermittlung zu setzen. Nur wenige Endverbraucher sind willens und auch finanziell in der Lage, Honorare zu bezahlen. Ich plädiere daher dafür, am dualen System festzuhalten und weiterhin zweigleisig zu fahren. Der Münchener Verein bietet sowohl die klassische Vergütung als auch den Honorartarif an. Beide Vergütungsformen haben ihre Berechtigung. Alleine mit der Honorarvermittlung kann die Breite der Kundschaft nicht abgedeckt werden.

Dass die Grünen mal wieder an vorderster Reihe stehen, wenn es um ein Verbot geht, mag uns nicht überraschen. Das passt zu ihrem Image als „Verbotspartei“. Ob ein Provisionsverbot tatsächlich zu günstigeren Produkten und einer unabhängigeren Beratung führen, wie von den Grünen postuliert, darf bezweifelt werden. Der Ampel-Zoff mit der FDP ist jedenfalls vorprogrammiert.

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