Das Institut für Versicherungswirtschaften an der Uni Leipzig hatte am Donnerstag zum 23. Vorlesungstag geladen: aus Dortmund angereist war auch Ulrich Leitermann, Vorsitzender der Vorstände bei der Signal Iduna. Sein Vortrag „Transformation in der Assekuranz - Lessons Learned“ war aufschlussreich, weil er nicht nur den Konzernumbau schilderte, den die Signal Iduna in den letzten fünf Jahren durchlaufen hat. Er gewährte auch Einblicke in persönliche Lernprozesse - die durchaus schmerzhaft sein konnten, wie er am Beispiel des Kundennutzens verdeutlicht hat.

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Kontinuität im Wandel

Zu Beginn wies Leitermann auf ein Paradoxon hin. Früher wurde von Versicherern gefordert, dass sie Veränderungen widerstehen. Gefragt waren Konstanz und Stabilität, damit auch klare Hierarchien und Strukturen. Heute basiere der Erfolg eines Versicherers aber auf seiner Veränderungsgeschwindigkeit, weil Kunden -und auch Mitarbeiter- ganz andere Ansprüche an die Unternehmen haben. Diese neuen Ansprüche seien auch Folge neuer Wettbewerber im Markt wie etwa InsurTechs, die mit schnellen und benutzerfreundlichen Services punkten. Wobei er zugleich hervorhob, dass viele InsurTechs auch wieder vom Markt verschwunden seien - "War das jetzt ein Hype?", so fragte er. Für Versicherer habe sich aber die Zusammenarbeit mit den neuen Anbietern als fruchtbar erwiesen.

„Es geht darum, sich ständig zu verändern und Anpassungsprozesse zu implementieren“, so der Vorstand. Dies gehöre nicht zur DNA eines Versicherers. Und nach wie vor seien in der Branche zugleich Stabilität und Kontinuität gefragt. Auch wenn Leitermann dies nicht explizit ansprach, könnte hier ergänzt werden: eine gewisse Stabilität und Kontinuität fordert bereits die Versicherungsaufsicht von den Anbietern ein.

Dennoch gelte: Die Branche müsse sich wandeln. Das sei eine Binse, gab Leitermann zu bedenken: Es gebe im Moment wohl keine Branche, die nicht transformiere. „Wir stellen fest: Kunden verändern sich, und Kundenerwartungen verändern sich“, führte der Vorstandschef zur Begründung an. Die Signal Iduna hat von 2014 bis 2017 ein erstes Zukunftsprogramm umgesetzt, hierfür wurden 100 Millionen Euro in die Hand genommen. Dies sei auch für einige Mitarbeiter ein frustrierender und harter Weg gewesen, gibt Leitermann Einblick in den Ablauf, der nicht ohne Widerstände und Konflikte ablief. Verbunden war das unter anderem mit einem Stellenabbau.

Doch was will der Kunde?

Doch der Konzernumbau war mit dem Zukunftsprogramm noch nicht abgeschlossen, im Gegenteil: wie viele andere Versicherer auch, entpuppte sich die Signal Iduna als Dauerbaustelle. Und so wurde 2018 das nächste Zukunftsprogramm angestoßen: „Vision2023“, das -wie es der Name schon verrät- zunächst bis zum Ende des aktuellen Geschäftsjahres läuft. Am Anfang der Umbauprozesse habe eine Vision gestanden, verrät Leitermann, und eine einfache Frage: „Was wollen die Kunden wirklich?“ Wenn man Vorstände frage, ob sie wissen, was die meisten Kunden wollen, würden die meisten antworten: „Natürlich weiß ich es“, führte der Vorstandschef aus. Aber die Wahrheit sei gewesen: „Wir wussten es eben nicht!“

Also habe man mit Kunden, Mitarbeitern und dem Außendienst gesprochen, um herauszufinden, was die Kunden eben wollen. Dabei habe man sich auch auf die Wurzeln der Signal Iduna besonnen: gegründet wurde der Versicherer von Handwerkern als Hilfe zur Selbsthilfe, etwa für Krankenschutz. Die Erkenntnis sei zunächst ernüchternd gewesen, denn was die Kunden nicht wollen: „Sie wollen keinen Versicherer“, so Leitermann. Stattdessen kreisten die Wünsche und Ansprüche um Punkte, die sich mit „Lebensqualität“ zusammenfassen lassen. Sie wollen zum Beispiel gesund bleiben, im Alter abgesichert sein - und mehr Freizeit.

Aus den Ergebnissen der Umfrage hätten sich vier Handlungsfelder ergeben, berichtet der Vorstand weiter, die den Rahmen für das Programm „Vision2023“ gebildet hätten. Diese Handlungsfelder seien unter dem Motto „Mehr Neues, mehr Fokus, mehr Nutzen, mehr Wir“ zusammengefasst worden. Der damit verbundene Slogan: „Gemeinsam mehr Lebensqualität schaffen!“

Während „mehr Neues“ für die Digitalstrategie des Versicherers steht, bedeutet „mehr Fokus“, dass man sich stärker als bisher auf die Kernzielgruppe des Versicherers konzentrieren wollte: Gewerbe und Handwerk. „Mehr Nutzen“ sollte einen verbesserten Service abbilden: wobei Leitermann hierzu anmerkte, dass das Ideal als Servicedienstleister noch lange nicht erreicht sei und es -wie bei anderen Versicherern auch- nach wie vor Verbesserungsbedarf im Kontakt mit dem Kunden gebe. „Mehr Wir“ steht hingegen für eine Änderung der Unternehmenskultur: und dies sei das Handlungsfeld, was er am meisten unterschätzt habe, gab Leitermann zu bedenken. Doch die Veränderung der Unternehmenskultur sei zentraler Baustein für die Transformation.

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Mit der Vision2023 verbunden waren zugleich sehr ehrgeizige Unternehmensziele. Die Bruttobeitragseinnahmen sollten binnen fünf Jahren um ein Viertel gesteigert werden: von 5,63 Milliarden Euro Bruttobeitrag auf 7 Milliarden Euro. 50 Prozent des Neukundengeschäfts sollten aus der Kernzielgruppen kommen, beim Net Promoter Score (NPS), der im Netz die Weiterempfehlungs-Bereitschaft der Kunden gegenüber dem Versicherer misst, wollte man unter die Top5 vorrücken. Zudem sollte dauerhaft ein rechnungsmäßiger Überschuss von 760 Millionen Euro pro Jahr erzielt werden.

Beim Bäcker im Betrieb

Doch damit nicht genug. Um genauer herauszufinden, was die Kunden wollen, ging die Signal Iduna zu Beginn des Transformationsprozesses eben dorthin: zu ihren Kunden. Und das sind traditionell mittelständische Handwerksbetriebe. Man habe mit Analysten Bäckereien aufgesucht, sich dort die Arbeitsprozesse angeschaut und mit den Bäckern geredet: „teils nachts zwei, drei Uhr“, berichtete der Vorstandschef.

In Tiefen-Interviews habe man so die Zielgruppe besser kennen gelernt. „Daraus sind Produkte entstanden, die wir -trotz vermeintlicher Kenntnis des Kunden- so nicht entwickelt hätten“, erklärte Leitermann. Eine Erkenntnis sei zum Beispiel gewesen, dass sich auch Bäckereien mit Themen wie Mitarbeiter-Akquise und Bürokratie beschäftigen müssten, Versicherungs-Policen diese Bereiche entsprechend abdecken müssen. Daraus habe sich dann die Kampagne „Wir sind Bäcker“ entwickelt, auch mit Unterstützung der entsprechenden Gewerbeverbände.

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Ähnlich wie mit den Bäckereibetrieben verfuhr der Versicherer auch mit anderen Gewerben, um entsprechende Kampagnen und Produkte zu entwickeln: etwa dem Elektrohandwerk, den Fleischereien oder dem Einzelhandel. Journeys seien entsprechend Startpunkt der Kampagnen gewesen, so der Vorstand: also konkrete Besuche und Analysen bei den Kunden, die letztendlich die Versicherungen zeichnen. Kundenzentrierung sei der Schlüssel für eine erfolgreiche Transformation. Als ein Ergebnis entstanden spezielle Web-Plattformen, die konkret auf die einzelnen Berufszweige zugeschnitten sind.

“Mehr Wir“: Veränderungen innerhalb der Signal Iduna

Als letzten Punkt ging Leitermann auf die Transformations-Prozesse innerhalb des eigenen Unternehmens ein: eben jener Punkt, der bei der „Vision2023“ mit „Mehr Wir!“ gekennzeichnet ist. Dabei gehe es darum, das Wissen im eigenen Unternehmen zu nutzen: im Sinne von „Schwarmintelligenz“. Dies erfordere die Zusammenarbeit in anderen Arbeitsumgebungen. Er verwies unter anderem darauf, dass Mitarbeiter und Vertrieb oft unmittelbaren Kontakt zum Kunden haben: und folglich auch dessen Wünsche und Nöte kennen.

“Transformation funktioniert in Unternehmen nur, wenn auch der Vorstand bereit ist, sich zu ändern“, positionierte sich der Signal-Iduna-Chef. Über ein Jahr hinweg hätten sich die Vorstände zum Beispiel agile Coaches genommen, um eine sich ändernde Ansprache, aber auch neue Rollen und Aufgaben einzuüben. Ein Stichwort war hierfür „Agilisierung“: stark vereinfacht wird hierbei eine Unternehmenskultur eingeübt, bei der sich auch der Vorstand als Teil des Teams versteht, Aufgaben delegiert, gemeinsame Ziele mit den Mitarbeitenden definiert werden. Hierfür brauche es auch ein Narrativ, um die Mitarbeiter für Veränderungen zu gewinnen: wobei die Signal Iduna das etwas abgenutzte „Aufbruch zu neuen Ufern“ wählte.

In Corona-Zeiten -viele Mitarbeiter mussten ins Home-Office geschickt werden- habe sich dann die Frage gestellt, ob man den Transformations-Prozess fortsetze oder abbreche. Die Dortmunder haben sich für ersteres entschieden. Über 1.000 Mitarbeiter habe man in agile Arbeitsformen entlassen, an denen man teilweise auch heute noch festhalte. Letztendlich habe sich die Pandemie sogar als Beschleuniger der Transformation erwiesen. Wichtig sei es gewesen, neue Informationsformate innerhalb des Unternehmens zu etablieren: aus Sicht des Vorstandschefs sei es zudem wichtig, die Mitarbeiter auch wieder ins Unternehmen -zumindest zeitweise- zurückzuholen, statt sie nur im Homeoffice zu lassen. Dies sei bedeutsam für den gegenseitigen Austausch, das Sich-Kennenlernen und das Miteinander: um eine gemeinsame Unternehmenskultur zu entwickeln.

"Agilisierung ist kein Selbstzweck, sondern notwendiges Betriebssystem"

Der Transformations-Prozess sei weitestgehend erfolgreich verlaufen und konkrete Ergebnisse sichtbar, so berichtete Leitermann zusammenfassend. Die mit dem Programm „Vision2023“ verbundenen Ziele habe man weitestgehend erreicht, die Beitragseinnahmen konnten entsprechend gesteigert werden und tatsächlich wird die Signal Iduna bei der Weiterempfehlungs-Bereitschaft vom Analysehaus Sirius Campus zu den Top-5-Versicherern gezählt. Zudem habe sich die Entwicklung neuer Produkte von 18 Monaten auf sechs Monate beschleunigt.

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„Agilisierung ist kein Selbstzweck, sondern notwendiges Betriebssystem, um die immer schnelleren Veränderungen zu meistern“, so sei eine Erkenntnis aus den Neuerungen gewesen. Zudem habe er gelernt: „Transformation ist anstrengend! Transformation macht Spaß! Transformation ist nie fertig!“ Auch wenn ähnliche Veränderungen in anderen Unternehmen und Branchen schon zeitiger stattfanden - das Konzept der Agilisierung wird seit den 80er Jahren diskutiert- bestand die Stärke des Vortrages darin, den Transformationsprozess mit konkreten Beispielen und persönlichen Erfahrungen zu veranschaulichen.

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