Versicherungsbote: Du hast ein Buch geschrieben, das heißt im Untertitel: „Zwei Medaillen des Unternehmertums – vom Erfolg, den jeder sehen will und Misserfolg, von dem keiner spricht.“ Genau das wollen wir heute ändern. Wir wollen darüber reden, worüber sonst eigentlich keiner redet in der Branche, die ja gerne manchmal mit Rolex, dicken Autos und materiellen Statussymbolen daher kommt. „Im Scheitern das Sein erfahren“, hat Reinhold Schneider gesagt. Was kannst Du denn anfangen mit diesem Satz?

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Tino Scraback: Du sagst ja richtig: Unsere Branche ist schon eine Branche, die sich gerne erfolgreich darstellt. Aber das ist ja nur die eine Seite. Und wir müssen für die andere Seite nur mal anschauen: Was ist denn das Durchschnittsgehalt in der Branche? Wenn ich das Durchschnittsgehalt sehe und das, was die Leute auf Facebook oder Instagram darstellen – beides passt ja schon mal nicht.

Auch ein erfolgreicher Weg ist nicht immer geradlinig, sondern ein stetiges Auf und Ab. Nur: die meisten Leute reden immer nur gerne über den Erfolg und reden nicht gerne über den Misserfolg. Aber Erfolg und Misserfolg – das gehört zusammen.

Gibt es da auch ein paar Stationen, die Du uns verraten würdest?

Ja klar – also: Du kannst mich alles fragen. Ich erzähl alles Spannende. Also: Das menschliche Gehirn ist ja so, das verdrängt negative Sachen. Wenn man sich an eine Ex-Freundin erinnert, überwiegen doch meisten die positiven Erinnerungen. So war das auch bei mir, als ich angefangen hatte, mein Buch zu schreiben. Dann überlegte ich, was eigentlich Negatives passiert ist und habe angefangen, auch darüber zu schreiben – ich bin hier ebenfalls Station um Station durchgegangen. Und erst durch das Schreiben ist mir klar geworden: „Fuck, ist da viel schief gegangen.“ Also ich bin der Meinung, mein Leben teilt sich so auf: 55 Prozent haben funktioniert und 45 Prozent haben nicht funktioniert. Ich würde aber auch sagen – und das ist sehr wichtig – ich habe durch jeden Fehler, den ich gemacht habe, gelernt. Ohne diese Fehler wäre ich nicht da, wo ich heute bin.

Und ich kenne viele Leute, die machen den gleichen Fehler vier, fünf, sechs Mal. Das sollte halt nicht passieren. Aber Du darfst mich alles fragen.

Mich würde zunächst interessieren: Manchmal scheitern man ja an eigenen Erwartungen und manchmal erfüllt man die Erwartungen anderer Leute nicht. Würdest Du auch diese Unterscheidung vornehmen? Oder welche Fehler sind wertvoller, welche machst Du öfter?

Also: Wenn du an dem scheiterst, was andere von dir erwarten, kannst du gar nicht erfolgreich sein. Weil: wirst du nur deswegen erfolgreich, weil es deine Eltern oder deine Freunde von dir erwarten? Kein Mensch wurde nur durch Erwartungen anderer erfolgreich. Scheitern kannst du nur bei deinen Erwartungen. Oder du scheiterst, weil etwas einfach nicht funktioniert, weil du irgendwelche Fehler machst – und dann bekommst du dafür vielleicht auf die Mütze. Dein Scheitern führt vielleicht zu einer Insolvenz oder du musst vor Gericht – darüber kann ich sehr viel erzählen. Oder du machst Dinge, die dann einfach bei uns in der Branche schief gehen.

Eines der ersten einschneidenden Ereignisse bei mir ist jetzt mehr als fünfzehn Jahre her, das war 2006 oder 2007, da war ich in meiner ersten Maklerfirma tätig. Wir sind damals vom Versicherungsbereich immer mehr in den Geldanlage-Bereich gegangen. Mein heutiger Geschäftspartner Daniel Seeger hatte damals auch Geld bei mir angelegt. Und wir hatten eine ganz dolle Geldanlage in Amerika mit vier Prozent Zinsen im Monat – „ganz sicher“, „ganz logisch aufgebaut“, mit Geldanlage, mit Immobilien, mit Trading. Und naja: als klassischer Versicherungsmakler hörst du etwas, das klingt für dich logisch, deswegen vermittelst du das – weil du auch glauben willst, dass es funktioniert. Die Provision ist natürlich auch ordentlich.

So, was ist dann passiert? Zwei Jahre später – der verantwortliche Typ ist mit dem Geld abgehauen. Es entstand ein riesen Schaden – bei meinen Kunden, bei meiner Familie, bei mir. Das war das erste. Da hab ich wirklich Hunderttausende an Kundengeldern von Kunden, von Freunden und von der Familie verloren. Das war ein Desaster. Alle waren natürlich sauer. Und: ich habe dann etwas vermittelt, was eine Straftat war, ich durfte das gar nicht vermitteln – das war eine Straftat. Die Staatsanwaltschaft hat ermittelt. Das waren keine schönen Jahre.

Ich hatte danach die meisten Kunden finanziell entschädigt, zumindest teilweise. Aber das war für mich ein Ereignis, nach dem ich gesagt habe: Ich werde keine Geldanlagen mehr vermitteln, wenn es nicht mit Bausparen oder – von mir aus – mit Immobilien zu tun hat. Ich kriege immer wieder mal ein Angebot: „Tino, wir haben da ein dolles Produkt“, es ist die Zeit von Kryptowährungen – ich mache da nichts mehr. Das habe ich gelernt. Wir haben auch keinen 34f-Vermittler in der Firma. Wir vermitteln Bausparen – ich finde Bausparen super. Immobilien sind eine Leidenschaft von mir. Da würde ich behaupten, da kenne ich mich aus. Aber weder links noch rechts werde ich irgendetwas machen im Bereich Geldanlage.

Wie hast Du das denn mit Deiner Familie dann geklärt?

Man muss sagen: Ich war damals – 2006, 2007 – 25 Jahre alt. Das heißt: Die Summen, die ich da jetzt angelegt habe, die waren auch nicht ganz so groß. Bei Daniel Seeger waren es zum Beispiel 10.000 Dollar, die ich für ihn angelegt hatte. Damals waren das so 7.000 Euro. Das war damals schon viel Geld, aber deswegen musste keiner damals Insolvenz anmelden. Wir hatten bei einigen Kunden auch kleinere Summen angelegt.

Viele waren sauer. Kein Kunde hat mich verklagt, aber ich habe schon auch Kunden verloren. Was ich auch verstehe. Und man erlebt es ja bis heute noch, dass Versicherungsvermittler der Meinung sind: oh, da gibt es gerade ein Produkt, das ist nicht 34f-pflichtig, grauer Kapitalmarkt und zum Beispiel Krypto – da wittern die ihr Geschäft. Schau doch nur mal, wie viele Kollegen in den letzten Jahren Krypto vermittelt haben. Und das gibt es immer wieder, dass dann gerade die Versicherungsvermittler der Meinung sind: „Oh, da gibt es ein dolles Produkt, das finde ich super“. Viele Versicherungsvermittler haben in der Vergangenheit geschlossene Fonds verkauft oder Beteiligungen. Das sind immer so diese grauen Sachen, die dann im Desaster enden. Ich habe das einmal gemacht, und es ist mir seitdem nie wieder passiert.

Meine Familie redet noch mit mir. Sie haben auch Geld verloren, aber – wie soll man sagen – ja: sie mögen mich noch.

Aber wie kommt man aus so einer Situation wieder raus, wenn man jetzt – mit 25, 26 – so richtig auf die Nase gefallen ist?

Also: Nachdem ich Kunden entschädigt hatte, habe ich gesagt: Ich brauche eine Auszeit. Ich war nicht total pleite, hatte den Leuten gesagt: Ich zahle euch das Geld nicht heute zurück. Aber die nächsten sechs bis sieben Jahre zahle ich euch zwischen zehn Prozent und fünfzig Prozent zurück. Ja: ich hatte ein paar Leute, die ein bisschen mehr Geld hatten, die auch ein bisschen mehr verloren hatten. Da konnte ich sagen, ich kann zehn Prozent zurückzahlen. Bei Freunden habe ich dann 40 Prozent bis 50 Prozent zurückgezahlt, meist in mehreren Raten.

Das war dann aber auch in Ordnung. Also die meisten Leute, die was verloren haben, haben sich das dann angesehen und gesagt: „Mensch, der bezahlt was, der steht dazu.“ Die meisten Vermittler sind ja in solchen Fällen erst einmal am Jammern: „Oh Gott, was habe ich gemacht, und ich bin ja selber auch betrogen, ich bin auch ein Opfer“. Nein – Fuck! Wir haben das vermittelt. Komm: wir stehen dazu. Für mich war es das aber dann nach eineinhalb Jahren auch.

Mir ging es damals nicht schlecht, ich hatte eine Eigentumswohnung. Die musste ich nicht verkaufen. Niemand hat mich verklagt. Mein Leben war O.K. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen dann nach einem Jahr auch eingestellt. Da ist aber auch ein bisschen Glück dabei gewesen. Ich meine: Es hätte ja auch auf einen Zulassungsentzug hinaus laufen können wegen schlechtem Leumunds.

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Aber diese Zeit war schon eine harte Zeit. Und für mich war klar: So geht es nicht weiter, ich brauche eine Auszeit. Ich bin dann erst einmal für drei Monate nach Costa Rica gegangen. Und ich habe die damalige Firma, bei der ich Mitinhaber war, verlassen – die wollten weiterhin im Geldanlage-Bereich bleiben. Und für mich war klar: Das will ich nicht. Ich will eins machen, worüber immer die Leute gelacht haben – ich will Versicherungsmakler werden. Ich sagte mir: „Ich mache ab sofort gerne Versicherungen; und wer eine Geldanlage wählt, der kann bei mir einen Bausparvertrag abschließen.“ Das war zwar erst einmal so ein Spruch. Aber das ziehe ich schon auch bis heute durch. Mir wurden immer wieder auch Geldanlagen zum Verkauf angeboten, die sich erst einmal gut angehört haben. Aber ich war jedes Mal froh, da nichts mehr zu machen.

„Wir Versicherungsmakler sind eine Branche aus Feiglingen“

Costa Rica gehört ja fast schon in die Abteilung: „schöner Scheitern“. Wie ging es dann weiter? Du bist jetzt wieder zurück in Karlsruhe – und bist jetzt Versicherungsmakler pur, sag ich mal. Welche Fehler kann man da denn noch machen?

Naja: Also dann, als ich zurückgekommen bin, hatte ich hier in Karlsruhe das Angebot, meine erste Makler-Firma zu kaufen. Und das hatte ich dann auch gemacht. Also ich habe in Karlsruhe eine klein Maklerfirma gekauft. Das hat gut funktioniert. Und danach hatte ich jedes Jahr ein Angebot hier in der Gegend, eine neue Firma zu kaufen. Und das hat dann erst einmal auch gut funktioniert. Also habe ich so 2007, 2008, 2009 mit den ganzen Firmenkäufen begonnen. Und das ist schon eine andere Art des Wachstums, wenn du Firmen kaufst anstelle dass du Kunden gewinnst. Da haben dann aber schon auch Ärgernisse angefangen. Du hast mal Ärger mit einem Verkäufer. Da gehen schon die Ärgernisse los.

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Scheitern ist hier aber vielleicht nicht der richtige Begriff, ich würde schon eher von „Ärger“ reden. Ich hatte dann eine Firma aufgebaut, hatte so von 2007 bis 2016 mehrere Unternehmen zusammen gebaut und eine Aktiengesellschaft draus gemacht – und die dann wieder verkauft. Und dann gab es halt Ärger mit den damaligen Käufern.

Aber da bin nicht ich gescheitert, sondern die anderen, die gekauft haben. Mit denen könntest du dich gut übers Scheitern unterhalten, ich kann dir da ein paar Namen nennen. Die haben bei mir Unternehmen gekauft und dann alles falsch gemacht, was man falsch machen könnte. Nie haben sie aber die Fehler bei sich selbst gesehen, stattdessen hieß es immer nur: „Der Tino hat mir Scheiß verkauft“.

Darüber habe ich übrigens sehr viel in meinem Buch geschrieben, um zu zeigen, welche Fehler man als Unternehmer machen kann. „Tino Skrupellos“ – der Name ist nicht meine Erfindung. Sondern viele Leute, die geschäftlich mit mir zu tun hatten und auch Bestände und GmbHs von mir übernommen haben, haben mir ihre Fehler vorgeworfen und haben sogar eine WhatsApp-Gruppe gegründet, um sich abzusprechen und über mich auszutauschen – wie böse ich doch bin. Und da wurde ich „Tino Skrupellos“ genannt.

Also diese Leute wären sicher auch für Dich interessant. Als Ihr Euch bei mir gemeldet habt, ging es ja auch darum, über das Scheitern zu reden. Dass Leute nicht gern über das Scheitern reden, ist ein Problem der deutschen Mentalität. Da unterscheiden wir uns stark von den Amerikanern, die zum Scheitern stehen. Hier fällt es den meisten Menschen – den meisten Unternehmern, den meisten in der Versicherungsbranche, die eh nicht so ein starkes Rückgrat haben – schwer. Die meisten Leute, die ich kenne, auch Gescheiterte in meinem Umfeld, ziehen sich zurück in ein Loch, jammern, die Welt sei böse, geben allen anderen die Schuld. Ich kenne nur ganz wenige, die sagen: „Fuck, das war blöd, draus gelernt und weiter gehts.“ Oder die sich fragen, „was habe ich selber falsch gemacht“.

Wer aus seinen Fehlern lernt, kann dies für Erfolg nutzen. Wer aber immer anderen die Schuld gibt, der bleibt auch dauerhaft erfolglos. Ich hatte mit mehreren Leuten in den letzten Jahren Rechtsstreitigkeiten, die einfach etwas gekauft haben, ohne eine Strategie für ihr Unternehmen zu entwickeln – auch eine Aktiengesellschaft, die nicht klein war, die dazu sehr profitabel war. Die Käufer haben auch viel viel Geld für die Firma bezahlt. Und innerhalb eines Jahres oder innerhalb von eineinhalb Jahren war diese Firma quasi insolvent. Und da waren auch alle anderen schuld – in erster Linie ich. Erfolgreiche Leute aber machen nicht immer andere für ihr Scheitern verantwortlich, sondern fragen sich: „Was habe ich falsch gemacht“. Und: „Wie kann ich für die Zukunft daraus lernen.“

Ist es nicht auch ein bisschen gefährlich, als Versicherungsmakler Fehler zu machen – weil man dann mit einem halben Bein im Gefängnis steht? Ich denke da an Stichworte wie Falschberatung usw. In der Außenwahrnehmung kommt es einem ein bisschen so vor.

Hach: Ich liebe es! Wir Versicherungsmakler sind eine Branche aus Feiglingen. Ich muss ja nur mal auf Facebook schauen wegen der Aufregung beim Thema „Haftung“. Ich frage mal Dich – Du kennst ja viele Versicherungsmakler. Wie viele Leute kennst Du denn wirklich, die auch mal einen Haftungsfall hatten?

Und wenn es dann weiter geht – wenn Du sagst, Du kennst welche: wie viele Fälle waren denn über 10.000 Euro? Und bei welchen hatte die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung nicht gezahlt? Kennst Du Ingenieure, Architekten? Weißt Du, wie oft die vor Gericht stehen? Bauträger? Also wie viele Versicherungsmakler haben denn wirklich Probleme?

Beratungsfehler – Gott! Mach deinen Job ordentlich. Dokumentiere , wie du arbeitest. Du stehst mal vor Gericht oder du hast mal ein Anwaltsschreiben. Wir als ZVO haben um die 50.000 Kunden. Wir kaufen Kundenbestände – da übernehmen wir auch Sachen aus der Vergangenheit. Wir bekommen regelmäßig Anwaltsschreiben – dafür bin ich zuständig. Letztes Jahr waren es bei 50.000 Kunden drei. Drei Anwaltsschreiben haben wir bekommen insgesamt, das erste ging um 50.000 Euro. Ein Selbstständiger wollte seine Rürup Rente kündigen und hat gemerkt: er kann sie nicht kündigen. Wir haben ein Schreiben an den Anwalt geschickt – Thema erledigt. Nochmal kam ein Schreiben zur Hausratversicherung – wir haben vergessen, eine Hausratversicherung einzudecken. Schaden: 1.000 Euro. Wir schauen in den Unterlagen, informieren den Kunden, fragen: braucht er eine neue Hausrat? Der Kunde antwortet nicht – Thema erledigt. Und dann haben wir was mit einem Handwerker, da geht es um 10.000 Euro, da sind wir gerade im Austausch mit der Vermögensschaden-Haftpflicht vom übernommenen Bestand. Also drei Fälle bei 50.000 Kunden, von denen zwei sofort erledigt waren.

Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Wenn du einen ordentlichen Job machst, auch als Geschäftsführer eine ordentliche D&O-Versicherung hast, dann stehst du nicht mit einem Bein im Knast. Das ist doch Blödsinn. Ich bin der Meinung: Es gibt nur wenige derart sichere Branchen wie die Versicherungsbranche, in denen man wirklich erfolgreich sein kann, ohne große Risiken einzugehen.

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