Wer in den vergangenen Monaten die Debatte um eine Rentenreform verfolgt hat, musste den Eindruck gewinnen, dass eine Maßnahme fast unausweichlich ist: ein höheres Renteneintrittsalter. Die Wirtschaftsweisen Martin Werding und Monika Schnitzer forderten es, der Ökonom Bernd Raffelhüschen, selbst Bundeskanzler Olaf Scholz will Anreize setzen, damit die Deutschen länger arbeiten. Immer verbunden mit der Warnung: Wenn wir nicht handeln, wird die Rentenversicherung kaum überlebensfähig sein.

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Beschwichtigende Worte kommen nun ausgerechnet von der Rentenversicherung selbst. Genauer gesagt von Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund. Sie stellt sich gegen die Vorschläge der Wirtschaft, das Renteneintrittsalter über das 67. Lebensjahr hinaus anzuheben. Seit 2012 wird die sogenannte Regelaltersgrenze schrittweise angehoben, alle Jahrgänge ab 1964 können erst mit 67 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen: sofern sie nicht von Sonderregeln wie der „Rente mit 63“ Gebrauch machen. Grundlage ist das sogenannte RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007.

Einen Bedarf, das Renteneintrittsalter schnell über die geplante Erhöhung von 67 Jahren anzupassen, sieht Roßbach derzeit nicht. „Aus meiner Sicht hat man gegenwärtig noch genügend Zeitpuffer, um sich die Auswirkungen genau anzusehen und dann zu überlegen, wie es nach 2031 weitergehen soll“, sagt sie in einem Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“.

“Steigende Beitragsjahre bei uns in der Rentenversicherung“

Der Grund für Roßbachs Optimismus: Man sehe „steigende Beitragsjahre bei uns in der Rentenversicherung“, sagte Roßbach. Insbesondere bei Frauen sei die Zahl der Versicherungsjahre in den vergangenen 20 Jahren erheblich gestiegen: von durchschnittlich 27 auf 37 Beitragsjahre. Zudem gebe es weiterhin "eine große Gruppe von Menschen, die auf 45 Beitragsjahre kommen“. Im vergangenen Jahr haben demnach 255.000 Neurentnerinnen und -rentner die „Altersrente für besonders langjährig Versicherte“ beantragt: nach 257.000 Anträgen im Jahr zuvor.

Roßbach räumte ein, „dass die besonders langjährig Versicherten privilegiert werden“. Hierfür sind mindestens 45 Versicherungsjahre in der Rentenversicherung vonnöten. Vor allem Beschäftigte mit dualer Ausbildung würden hierfür die Bedingungen erfüllen können, hierzu zählen zum Beispiel viele Handwerks- und technische Berufe.

Doch auch in den Jahren vor dem Rentenalter arbeiten Deutsche länger, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen. Demnach ist die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland binnen zehn Jahren deutlich gestiegen. Waren im Jahr 2012 noch 62 Prozent in dieser Altersklasse erwerbstätig, so erhöhte sich ihre Zahl auf knapp 72 Prozent im Jahr 2021. Und nicht nur das: Mit Blick auf die Europäische Union zählt Deutschland damit zu den Spitzenreitern. Lediglich in Schweden (77 Prozent) und Dänemark (72 Prozent) ist die Erwerbsquote in dieser Altersgruppe noch höher.

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Dem entgegen steht, dass auch mehr Menschen von Vorruhestands-Regelungen Gebrauch machen. Das zeigen Berechnungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB). Jede bzw. jeder Dritte nutzt demnach die sogenannte Rente mit 63, um vorzeitig abschlagsfrei in den Ruhestand zu wechseln. Der vorzeitige Austritt aus dem Erwerbsleben verstärke den Mangel an Fachkräften, warnt das BiB.