Im verhandelten Rechtsstreit hatte ein Kläger gegen seinen Lebensversicherer Ansprüche aus einer fondsgebundenen Lebensversicherung geltend gemacht. Hierfür wählte er den Weg der Stufenklage: Stark vereinfacht erlaubt diese, zunächst weitere Informationen von der Gegenseite einzuholen, ohne das die Ansprüche verjähren. Die Versicherung wurde zum 1. April 2002 nach dem so genannten Policenmodell abgeschlossen.

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Policenmodell: Verstoß gegen Verbraucherrecht

Beim Policenmodell erhielten Kundinnen und Kunden die Vertragsbedingungen erst, nachdem sie den Vertrag bereits unterschrieben hatten - das verstößt gegen EU-Recht. Deshalb kann nach mehreren Urteilen des Bundesgerichtshofs eine so abgeschlossene Lebensversicherung widerrufen werden. Das lohnt gegenüber einer Kündigung, weil die eingezahlten Beiträge angemessen verzinst werden müssen und der Lebensversicherer die Kosten für Vertrieb und Verwaltung nicht abziehen darf. Die Bedingung: Der Kunde oder die Kundin muss nachweisen, dass die Widerrufsbelehrung fehlerhaft erfolgt ist.

Um die Rechtmäßigkeit der Widerrufsbelehrung wurde folglich auch in diesem Rechtsstreit gestritten. Der Versicherungsschein enthielt eine durch Fettdruck hervorgehobene Widerspruchsbelehrung, die lautete:

"Dem Abschluß dieses Vertrags können Sie innerhalb von 14 Tagen ab Zugang dieser Unterlagen widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.

Mit einem Schreiben vom 22. Februar 2017 erklärte der Kläger den Widerspruch. Zuvor hatte er für mehrere Jahre seine Forderungen aus dem Versicherungsvertrag abgetreten, um damit ein Darlehen abzusichern. Mit der Klage verlangte der Kläger zudem Auskunft vom Versicherer, welcher Betrag als Sparbeitrag oder als Überschussbeteiligung in Fondsanteile investiert wurde. Daran sollte sich auch orientieren, welche Summe er ausgezahlt bekommt.

Vorinstanz: Belehrungsfehler nur geringfügig

Die beiden Vorinstanzen hatten das Urteil noch abgewiesen. So hob das zuvor urteilende Landgericht hervor, dass die Widerspruchsbelehrung zwar nicht vollständig den Anforderungen des Versicherungsvertragsgesetzes (§ 5a VVG a.F.) entsprochen habe. Es verwies aber gleichzeitig auf die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Demnach ist eine Belehrung auch dann wirksam, wenn dem Versicherungsnehmer durch die fehlerhaften Informationen nicht die Möglichkeit genommen werde, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. In diesem Fall liege ein nur geringfügiger Belehrungsfehler vor.

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Einen solchen geringfügigen Belehrungsfehler sah die Vorinstanz auch hier gegeben. Denn aus dem in der Belehrung enthaltenen Hinweis, dass die fristgemäße Absendung des Widerspruchs genüge, werde hinreichend deutlich, dass die Erklärung in einer versendungsfähigen Form, mithin textlich oder schriftlich und nicht nur mündlich abzugeben sei. Mit der Schriftform sei allenfalls ein nur geringfügiger Mehraufwand verglichen mit der Textform verbunden, hob das Landgericht Berlin hervor. Kein Versicherungsnehmer werde sich im Hinblick auf die weitreichende wirtschaftliche Bedeutung eines langjährigen Versicherungsvertrages wegen eines nicht präzise angegebenen oder leicht erhöhten Formerfordernisses von der Ausübung seines Widerspruchrechts abhalten lassen.

BGH kippt Urteil der Vorinstanz

Dieses Urteil kassierte aber der Bundesgerichtshof mit dem aktuellen Urteil. Das Urteil der Vorinstanz halte der rechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. So habe die Widerspruchsbelehrung „keinen Hinweis auf die […] erforderliche, aber auch ausreichende Textform des Widerspruchs“ enthalten, wie der 4. Senat des BGH nun hervorhob. Und weiter: „Dieses Formerfordernis konnte der Kläger nicht aus der Formulierung entnehmen, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genüge“. Der Belehrung habe sich ebenfalls nicht entnehmen lassen, „dass die Textform abbedungen und dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit eines Widerspruchs auch in mündlicher Form eingeräumt werden sollte“.

Zu Unrecht habe das Berufungsgericht angenommen, dass nur ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliege und dem (fortbestehenden) Widerspruchsrecht des Klägers entgegen stehe, führte der BGH weiter aus. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wurde dem Kläger durch den fehlenden Hinweis auf die erforderliche Textform des Widerspruchs die Möglichkeit genommen, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben.

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„Enthält die Widerspruchsbelehrung - wie hier - keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 1. August 2001 gültigen Fassung erforderliche, aber auch ausreichende Textform des Widerspruchs, bleibt der Versicherungsnehmer im Unklaren darüber, in welcher Form er die Widerspruchserklärung abzugeben hat […]. Dies stellt eine nicht unerhebliche Erschwernis der Ausübung des Widerspruchsrechts gegenüber einem ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer dar, der insbesondere auch über die zur Wirksamkeit des Widerspruchs erforderliche Form zu belehren ist“, heißt es im Urteilstext.

Belehrung nicht entnehmbar, dass Widerspruch Textform erfordert

Der Versicherungsnehmer könne der vorliegenden Widerspruchsbelehrung insbesondere nicht entnehmen, dass ein Widerspruch in Textform erforderlich, aber auch ausreichend sei, so die urteilenden Richter. „Vielmehr wird er - anders als das Berufungsgericht meint - annehmen, dass ein formloser Widerspruch ebenfalls genügt“. So erwecke der erste Satz der Belehrung den Eindruck, dass der Widerspruch keiner besonderen Form bedürfe. Eine Einschränkung dahingehend, dass der Widerspruch zumindest der Textform bedürfe, sei der Belehrung hingegen nicht zu entnehmen. Auch der zweite Satz der Widerspruchsbelehrung lasse nicht den Schluss zu, dass der Versicherungsnehmer mit dem Text auf die erforderliche Form des Widerspruchs hingewiesen werden solle. Diese Regelung betreffe nur die Rechtzeitigkeit der Erklärung, nicht aber deren Form.

Warum aber beharrt der BGH so sehr darauf, dass der Versicherungsnehmer über die notwendige Textform des Widerspruchs aufgeklärt werden muss? Explizit weist das Gericht darauf hin, dass durchschnittliche Versicherungsnehmer auch auf die Idee kommen könnten, dass ein Widerspruch per Video-, oder Tonaufnahmen wirksam sei. Doch das gilt eben nicht. „Übermittlungsmedien, bei denen die Erklärung als gesprochene Mitteilung beim Empfänger ankommt, erfüllen nicht die Voraussetzungen der Textform, da die gespeicherten Daten nicht in Schriftzeichen lesbar sind“, heißt es. Dabei komme es hier nicht darauf an, ob es sich um eine von Versicherungsnehmern regelmäßig gewählte Übermittlungsform handle. „Entscheidend ist, dass die Widerspruchsbelehrung den Versicherungsnehmer über die erforderliche Form des Widerspruchs im Unklaren lässt“.

Auch eine rechtsmissbräuchliche Absicht des Versicherungsnehmers, der die Lebensversicherung bereits zur Absicherung eines Darlehens verwendet hatte, konnte der BGH nicht erkennen. Hierfür müssten nach der Rechtsprechung besonders gravierende Umstände des Einzelfalls vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen seien. Ein Bereicherungsanspruch oder ein Verstoß gegen Treu und Glauben ergebe sich aus der Verwendung zur Absicherung des Darlehens jedoch nicht. So fehle es an einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Vertragsschluss und der Verwendung zur Kreditsicherung, der einen solchen Missbrauch nahe lege.

Das Urteil der Vorinstanz hob der BGH auf. Allerdings wurde der Fall zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückgewiesen. So hatte der Versicherer argumentiert, dass dem Kläger 2015 eine ordnungsgemäße Nachbelehrung zugesendet worden sei und er trotzdem längere Zeit am Vertrag festgehalten habe. Das Landgericht Berlin soll nun klären, ob die Nachbelehrung die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung erfüllt hat und und einen hinreichend deutlichen Bezug zu dem Vertrag enthält.

Zwei BGH-Urteile: zwei Ergebnisse

Dem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofes ging ein weiteres voran, das zu Ungunsten der klagenden Versicherungsnehmerin ausging. Demnach ist ein Belehrungsfehler nur geringfügig, wenn der Lebensversicherer zwar ausreichend über die Textform aufgeklärt hat, aber versehentlich die falsche Adresse der zuständigen Versicherungsaufsicht angegeben hatte. Die klagende Frau erlitt eine Niederlage vor Gericht und der BGH machte einen Verstoß gegen Treu und Glauben geltend (Urteil vom 15. Februar 2023, IV ZR 353/21).

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"Wirtschaftlich ist die zweite Entscheidung vom 15.3. von größerer Bedeutung für die Versicherungskunden, sind doch circa 35 Prozent der Verträge alleine von dem hier beurteilten Fehler betroffen, vom vorherigen Urteil jedoch nur sieben Prozent", erklärt Lutz Hartmann von der Kanzlei hwlegal, Kooperationskanzlei des LegalTechs helpcheck, anhand eigener Auswertungen. Er begrüßt das jüngste Urteil. "Der BGH hat nochmals festgestellt, dass nur in sehr bestimmten Ausnahmefällen von einem geringfügigen Fehler ausgegangen werden kann und dass auch bei der Frage der Verwirkung eine enge Auslegung anzuwenden ist", so Hartmann.

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