(Beim Thema Provisionsverbot kann die Branche inzwischen aufatmen. Denn wie die Finanzkommissarin Mairead McGuinness vom der EU-Kommission in einer Rede auf dem 'Eurofi High Level Seminar' in Stockholm mitteilte, ist das EU-weite Provisionsverbot vorerst vom Tisch, wie Versicherungsbote berichtete).

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Versicherungsbote: In Deutschland herrscht Katerstimmung. Hat sich die Krise auch auf das Versicherungs- und Vorsorgegeschäft ausgewirkt? Wo stehen die Vermittler in Zeiten der Krise?

Norman Wirth: Selbstverständlich gibt es Auswirkungen. Unsere Mitglieder sind ja häufig als Allfinanzdienstleister tätig – viele u. a. auch mit einer Zulassung nach Paragraf 34i Gewerbeordnung; also als Immobiliardarlehensvermittlerin und -vermittler. Dieses Geschäft bricht gerade ein. Andererseits werden durch den Zinsanstieg die Vorsorgeprodukte wieder attraktiver. Je mehr Krise, desto mehr Beratungsbedarf, das ist klar. Und das betrifft auch und insbesondere aktuell das Kapitalanlagegeschäft bzw. die Versicherungsanlageprodukte.

Komplexe Situationen benötigen gute, qualifizierte und unabhängige Beratung. Das können die unabhängigen Finanz- und Versicherungsmaklerinnen und -makler als Sachwalter ihrer Kunden am besten leisten. Und schon sind wir in der Provisionsverbotsdebatte drin. Denn was wäre die Alternative zu einer solchen Beratung gerade in Krisenzeiten? Zumal ja immer deutlicher wird, dass der Gesetzgeber auch in dieser Legislatur das Rentenproblem nicht löst! Apps? Fintechs? Kunden, die sich von selbsternannten Online-Influenzern unqualifiziert Produkte aufschwatzen lassen? Sicherlich nicht.

„Deutschland hat tendenziell zu viele Finanzvermittler und Bankberater. Es ist nicht Aufgabe von Kleinsparern, dieses Überangebot zu subventionieren“, sagte Dorothea Mohn vom Verbraucherzentrale Bundesverband im Januar der ZEIT. Dies war eine Antwort auf die Warnung von Vermittlerverbänden, ein Provisionsverbot in Deutschland würde ein Vermittlersterben bewirken. Was entgegnen Sie Ihr?

Wenn ich das schon höre – noch sinnfreier geht es nicht. Ich würde darauf entgegnen: „Deutschland hat tendenziell zu wenig unabhängige Finanzanlage- und Versicherungsvermittlerinnen und – vermittler, Frau Mohn. Eventuell hat Deutschland aber tendenziell zu viele unqualifizierte, angebliche Verbraucherschützer auf Steuerzahlerkosten, soweit es den Finanz- und Versicherungsbereich betrifft.“

Wir haben eine absolute Unterversorgung an unabhängiger Beratung und Vermittlung. In manchen ländlichen Gegenden haben wir nicht einmal mehr ein Angebot – Stichwort Filialsterben bei den Banken und Sparkassen. Und da zählt für mich: Lieber eine schlechte Unfallversicherung als gar keine. Lieber einen mittelmäßig performenden Aktienfonds, ETF oder Rentenfonds, als weiter Geld auf dem Sparbuch verbrennen.

Wäre eine Marktbereinigung vielleicht sogar im Interesse vieler Versicherungs- und Finanzanlagenvermittler?

Nein. Der Markt ist so groß, dass ich das für fernliegend halte und bisher auch nicht so wahrgenommen habe.

Wo sehen Sie aktuell noch Fehlanreize in der Branche, die dazu beitragen könnten, dass der Ruf der Vermittler leidet?

Ich sehe keine, soweit es die unabhängigen Versicherungs- und Finanzanlagenvermittlerinnen und -vermittler betrifft.

Wir reden oft über Bürokratie und Überregulierung für die Vermittlerbranche. Um das Argument mal umzukehren: Wo sehen Sie aktuell positive Signale oder sogar politische Reformabsichten, die Vermittlern Hoffnung für die Zukunft machen können?

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Positiv ist, dass sich im aktuellen Koalitionsvertrag nichts findet, was direkt die Arbeit der Vermittlerschaft betrifft. Einfach mal in Ruhe arbeiten lassen. Das wäre schon was nach diesen großen Regulierungswellen, in denen wir teilweise auch noch mitten drin sind – IDD und MiFID2 und nebenbei noch DSGVO, GWG-Verschärfung, ESG-Beratungspflichten etc. pp. Und mal schauen, wie es letztlich läuft – aber die digitale Rentenübersicht, also das Online-Portal, das erstmals alle Informationen über die Ansprüche aus der gesetzlichen, der betrieblichen und der privaten Alterssicherung bündeln und sie zentral abbilden soll, ist sicherlich etwas, das der Vermittlerschaft in Zukunft sehr helfen könnte.

„Die Maklerschaft ist ein scheues Reh“

Die Investoren haben eine klare Absicht: Sie wollen den Wert des Maklerpools steigern und damit Gewinne erzielen. Sehen Sie hier einen Interessenkonflikt mit Blick auf die Unabhängigkeit der Pools?

Zum Thema Pools und Verbünde haben wir uns ja auch gerade im Zusammenhang mit dem Urteil des Sozialgerichts Lüneburg zur Rentenversicherungspflicht eines Maklers, der mit einem Pool zusammengearbeitet hat, geäußert. Wer seine Kunden unabhängig beraten will, braucht heute unabhängige Partner, mit denen er unabhängig zusammenarbeiten kann. Und die Eigentümerstruktur sagt ja erst einmal gar nichts über „gut“ oder „schlecht“ aus.

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Manche sind breit gestreute AGs, manche inhabergeführt, andere im mehrheitlichen Eigentum von Versicherern. Und manche haben jetzt eben neue Investoren. Nein, ich sehe keinen Interessenkonflikt. Den Wert des Unternehmens steigere ich mit Erfolg. Erfolg habe ich bei guter Leistung. Die gute Leistung eines Pools bemisst sich an der Zufriedenheit der kooperierenden Vermittlerinnen und Vermittler, die dann darüber Geschäft abwickeln. Die Maklerschaft ist ein scheues Reh. Die Maklerinnen und Makler haben in der Regel sehr bewusst den Schritt in die Unabhängigkeit und Selbständigkeit gewählt. Versuche von Unternehmen, diese Unabhängigkeit zu beschneiden, würden fraglos sehr schnell abgestraft werden.

Müssen Makler vielleicht sogar umdenken und autarker von Anbindungen werden? Bitte begründen Sie Ihre Antwort.

Nein. Voraussetzungen für eine hochwertige Beratung sind ein möglichst uneingeschränkter Marktzugang und der Zugang zu professionellen, neutralen Analyse- und Vergleichsprogrammen. Genau das bieten Maklerpools und -verbünde den mit ihnen kooperierenden Finanzberatern an, ohne dabei deren Unabhängigkeit anzutasten. Sie schränken weder das Angebot ein, noch machen sie Vorgaben bei der Höhe oder der Verteilung des Umsatzes.

Unabhängige Finanzberater können mit einem oder mit mehreren Pools zusammenarbeiten und selbst Direktanbindungen im Rahmen ihrer Pool-Anbindung und/oder außerhalb der Pool-Anbindung weiterführen. Rechtssichere Systeme zur schnellen Übertragung der Bestände auf andere Pools oder auf eine Direktanbindung sichern den unabhängigen Finanzberatern jederzeit die Möglichkeit, die Zusammenarbeit mit einem Pool zu beenden. Maklerpools unterstützen unabhängige Finanzberater beim Umgang mit den steigenden Regulierungsanforderungen, damit diese ihre Tätigkeit fortführen bzw. sich stärker auf das Kerngeschäft der Beratung und Vermittlung konzentrieren können. Autark sind die genannten Anforderungen und notwendigen Leistungen schwerlich bis gar nicht zu bewältigen.

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Hintergrund: Das Interview erschien zuerst im kostenlosen Fachmagazin des Versicherungsboten.

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