Versicherungsbote: Corona-Krise und Ukraine-Krieg störten mehrfach erheblich internationale Lieferketten, was auch zu negativen Folgen wie Betriebsunterbrechungen (BU) bei deutschen Firmen führte. Wie hat sich dies auf die Industrieversicherung ausgewirkt – sind die Prämien deutlich gestiegen?

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Olaf Köpper: Die Prämien im Industrieversicherungsmarkt sind zuletzt aufgrund einer Phase der Marktverhärtung gestiegen. Welchen Anteil hier Lieferkettenproblematiken hatten, ist schwer zu beziffern. Wir waren selten direkt betroffen, denn in den wenigsten Fällen hat sich ein Versicherungsfall ergeben. Fälle, in denen es etwa zu einer Werksschließung aufgrund einer Corona-Verordnung mit anschließendem Betriebsunterbrechungsschaden kam, dürften die absolute Ausnahme gewesen sein.

Doch betrachtet man einen klassischen Sachschaden – z.B. einen Großbrand, bei dem 10.000 m² Industriefläche zerstört wurden –, entsteht daraus fast immer ein versicherter BU-Schaden über die Dauer des Aufbaus oder vielleicht sogar länger. Insgesamt beobachten wir beim Wiederaufbau von zerstörten Anlagen und Gebäuden deutliche Schadenverteuerungen durch verlängerte Lieferzeiten, aber auch durch sogenannte Beschleunigungskosten, welche die für den Aufbau benötigte Zeit verkürzen sollen. Diese verlängerten Lieferzeiten sind eindeutig auf die diversen und weltweiten Lieferkettenstörungen zurückzuführen.

Wie reagieren Versicherer auf die aktuelle Situation? Und welche Rolle spielen dabei Selbstbeteiligungen, Ausschlüsse und Änderungskündigungen?

Lieferketten beinhalten immer Risiken, deswegen wird keinem Kunden gekündigt. Ausschlüsse, die auch auf die Lieferkettenproblematik wirken, gibt es ja schon – etwa Terror und Krieg. Die sind fester Bestandteil in allen Policen weltweit im Markt, denn das sind Kumulereignisse, die nicht in allgemeinen Versicherungspolicen gedeckt werden können oder auch nur zu einem gewissen Teil in Spezialmärkten gedeckt werden können. Zur weiteren Klärung der Deckungssituation sind im vergangenen Jahr teilweise territoriale Ausschlüsse erweitert worden. Das Thema Selbstbeteiligungen ist in jedem Renewal ein Verhandlungspunkt, um die Risikotragung adäquat zu verteilen. Allerdings ist das eine Einzelfallbetrachtung. Probleme in der Lieferkette beim Kunden führen nicht automatisch zu einer höheren Selbstbeteiligung.

Welche Branchen und Gewerbe sind aus Ihrer Sicht von Ausfällen der Lieferketten besonders bedroht?

In der Vergangenheit waren im Wesentlichen die Elektronikbranche, die Automobilindustrie und der Maschinenbau betroffen. Ursächlich für die Lieferkettenproblematiken war hier der Chipmangel. Ein anderes Beispiel ist die Zero-Covid-Strategie der chinesischen Regierung mit erheblichen Schwierigkeiten im Containerfrachtgeschäft im Laufe des vergangenen Jahres mit Auswirkungen auf die unterschiedlichsten Branchen. Als Grundregel aber gilt schon immer: Es kann jede Branche treffen. Für produzierende Unternehmen gilt zudem: Je niedriger die eigene Fertigungstiefe ist bzw. je höher der Zulieferungsanteil eines Unternehmens oder einer Branche ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Auswirkung.

Beobachten Sie eine gestiegene Nachfrage nach Risiko-Absicherungen, etwa auch bei kleinen und mittleren Unternehmen?

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Was wir beobachten ist, dass das Risikobewusstsein immer weiter steigt – auch gerade beim Thema Betriebsunterbrechung. Neben Naturgefahren und dem Cyberrisiko ist das Betriebsunterbrechungsrisiko immer ganz oben mit dabei, wenn Unternehmen nach den Top-Risiken gefragt werden. Natürlich hilft uns das auch, mit potenziellen Kunden ins Gespräch zu kommen, um sie dann bei der Identifizierung von Engpässen, Schadenpotenzialen und Ausweichmöglichkeiten zu unterstützen.

„Das Wissen um das mögliche Schadenpotenzial öffnet vielen Kunden die Augen“

Wie können Unternehmen beim Risiko Störungen in der Lieferkette präventiv vorbeugen?

Am Anfang steht auf jeden Fall die Risikoanalyse. Die Risikoanalyse allein schafft erstmal ein Bewusstsein für die bestehenden Risiken, entschärft aber noch kein Risiko. Aus unserer Sicht sollte im Rahmen jeder Risikoanalyse für jedes Risiko auch das Schadenpotenzial beziffert werden.

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Wenn Sie zum Beispiel als Mittelständler mit 250 Millionen Euro Umsatz sehen, dass ein Lieferant ein Schadenpotenzial von 50 Millionen Euro hat, dann ist das eine ganz andere Aussage als die reine Einstufung des Lieferanten in eine rote Risikokategorie. Sie wissen zwar nicht, wann oder mit welcher Wahrscheinlichkeit das Schadenereignis eintritt. Aber allein das Wissen um das mögliche Schadenpotenzial öffnet vielen Kunden die Augen. Die Reduzierung dieses Schadenpotenzials dauert oft Jahre. Dieser Weg in die nachhaltige Risikominimierung beginnt oft mit unseren Analysen; bei diesem Prozess stehen wir unseren Kunden mit der Expertise von HDI Risk Consulting zur Seite.

Kriegsereignisse sind in Versicherungsbedingungen traditionell ausgeschlossen. Wie gestaltet sich hier die Situation mit Blick auf den Ukraine-Krieg? Müssen Unternehmen und Versicherer sich auf lange Rechtsstreite einstellen, wenn als direkte oder indirekte Folge Lieferketten unterbrochen wurden – und drohen die Firmen, leer auszugehen?

Ich rechne hier nicht mit langen Rechtsstreitigkeiten, denn laut Versicherungsbedingungen ist die Sache klar. Ist ein Zulieferer aus der Ukraine aufgrund des Angriffs der russischen Armee lieferunfähig und unsere Kunden erleiden dadurch einen Ausfall der Belieferung und im Resultat einen BU-Schaden, dann ist das eindeutig auf das Kriegsereignis zurückzuführen. In der Praxis lässt sich die Frage, ob das auslösende Schadenereignis durch Kriegshandlungen oder einfache Betriebsrisiken zustande gekommen ist, jedoch nicht immer so leicht beantworten. Zudem gestaltet sich auch die Regulierung in der Ukraine, einem Kriegsgebiet, für Versicherer schwierig. Um hier Abhilfe zu schaffen, sind im vergangenen Jahr teilweise territoriale Ausschlüsse erweitert worden.

Mit Blick auf eigenständige Elementarschaden- und Cyberpolicen gibt es aktuell Debatten, ob es künftig überhaupt noch möglich sein wird, alle Risiken abzusichern. Stichwort: Kumulschäden. Gibt es derartige Befürchtungen auch mit Blick auf Lieferketten, die auch von solchen Ereignissen betroffen sein können?

Die Absicherung von Lieferketten über die Rückwirkungsversicherung steht generell nicht zur Debatte und wird auch Teil unseres Produktspektrums bleiben. Was aber derzeit Thema ist, ist ihre Ausgestaltung und Präzision. Wir erkennen seit Jahren einen stetigen Trend steigender Schadensummen zu schadenbedingten Lieferantenausfällen. Dies trifft sicherlich auf einige Branchen – wie zum Beispiel die Automobilindustrie oder die chemische Industrie – stärker zu als auf andere Branchen.

Aus unserer Sicht stellt sich hier jedoch nicht die Frage des „Ob“, sondern des „Wie“. Mehr Transparenz, mehr Informationen zu Lieferanten, spezifische Prämiengestaltung und eine feinere Ausgestaltung der Versicherungsstruktur zum Zulieferrisiko werden der voraussichtliche Weg sein.

Blickt man auf die Industrie- und Gewerbeversicherung, haben oft große und international aufgestellte Makler die Marktführerschaft. Wie lässt sich die Bedeutung der Makler erklären – und welche Funktion übernehmen sie für Unternehmen?

Makler erfüllen vielfältige Aufgaben – allen voran die Beratung des Kunden aus einer neutralen Position. Gerade die Industrieversicherung ist besonders für kleinere Unternehmen ein schwieriges Feld. Insofern ist der Bedarf für Makler definitiv da. Ein anderes Thema ist die Abwicklung, also die Frage: wie sollte hier der Vertrag gestaltet sein. Da steckt eine ganze Menge Formalismus und Administration dahinter, was für Kunden einen großen Aufwand bedeutet. Und oft fehlt auch die Expertise. Aber auch für Makler ist das eine große Aufgabe. Insofern erfüllen Makler eine wichtige Rolle. Und mit vielen arbeiten wir bei HDI Global seit Jahrzehnten vertrauensvoll zusammen.

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Hintergrund: Das Interview erschien zuerst im kostenlosen Versicherungsbote-Printmagazin 01/2023.

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