Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gehörte in den vergangenen Jahren zu den lautesten Kritikern der hohen Abschlusskosten in der kapitalbildenden Lebensversicherung. Zwar spricht sich die Behörde nicht für ein Provisionsverbot aus - „Honorarberatung ist nicht zwangsläufig besser“, positionierte sich Chefaufseher Frank Grund. Aber wiederholt mahnte man die Branche, dass speziell die hohen Vertriebskosten nicht im Sinne der Versicherungsaufsicht seien. Nach einem Marktcheck von Produkten kritisierte die Behörde sogar, dass ein Teil der Leben-Policen als Altersvorsorge-Instrument schlicht ungeeignet sei und deshalb von den Anbietern gar nicht hätte zugelassen werden dürfen.

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Nun hat die BaFin ein neues Merkblatt veröffentlicht. Es soll sicherstellen, dass ein ausreichender Kundennutzen bei kapitalbildenden Lebensversicherungen gegeben ist. Adressiert wurde das Merkblatt an in- und ausländische Lebensversicherungsunternehmen, die von der BaFin beaufsichtigt werden. Der sperrige Titel des Dokuments: „Merkblatt zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten“.

Der Kundennutzen steht im Mittelpunkt

Doch wie will die BaFin nun auf die Lebensversicherer wirken, damit diese ihre Kosten senken? Das entscheidende Wort lautet „Kundennutzen“. Hier fordert die Behörde, dass bereits beim Produktfreigabeverfahren ein angemessener Kundennutzen im Hinblick auf die Bedürfnisse des Zielmarktes geprüft und gewährleistet werden soll. Dabei sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:

  • Die Art und Weise der Prämienkalkulation
  • die Art und Weise der Durchführung der Überschussbeteiligung
  • bei fondsgebundenen Policen die Fonds, die der Versicherungsnehmer wählen kann
  • bei fondsgebunden Verträgen ebenso sogenannte Kickbacks: Rückvergütungen, die Fondsgesellschaften an einen Lebensversicherer dafür zahlen, dass bestimmte Fonds vermittelt und gehalten werden

Darüber hinaus sollen die Versicherer weitere Eigenschaften prüfen, um die Bedürfnisse des Zielmarktes zu ermitteln. Dazu gehören das Portfoliomanagement der Fonds während der Vertragslaufzeit (Auswahl und gegebenenfalls Umschichtung), aber auch nicht-geldwerte Eigenschaften wie etwa Nachhaltigkeitsziele, vertragliche Optionen und Serviceleistungen. Auch die Zeit des Rentenbezugs soll hier berücksichtigt werden. Sofern biometrische Absicherungen vereinbart sind: etwa ein Berufsunfähigkeits-Baustein, so sollen diese gesondert auf ihren Kundennutzen hin geprüft werden.

Blick auf Inflation: keine konkreten Vorgaben

Der Kundennutzen eines Produktes richte sich nach dem Zielmarkt des Produktes und sei aus dessen Perspektive zu prüfen, schreibt die BaFin weiter. Der Kundennutzen sei in der Gesamtschau auf das Produkt und seine Eigenschaften zu bestimmen. Hier sind die Lebensversicherer verpflichtet, Renditeziele zu formulieren, „die im Einklang mit den Erwartungen des von ihnen bestimmten Zielmarktes stehen“. Dabei sollen die Versicherer auch prüfen, ob die Angehörigen des Zielmarktes nicht nur eine positive Rendite nach Kosten, sondern auch eine positive Rendite nach Kosten und Inflation anstreben.

Mit Blick auf die Inflation überrascht, dass die BaFin den Lebensversicherern keine konkreten Vorgaben macht, welche Rendite sie langfristig anstreben müssen. Versicherungs-Chefaufseher Frank Grund hatte vor der Veröffentlichung des Merkblattes in Interviews noch eine Rendite von zwei Prozent genannt. Nun heißt es eher weich formuliert: „Bei solchen Produkten würden die zum Zielmarkt gehörenden VN [Versicherungsnehmer] dann regelmäßig mindestens eine Rendite z.B. in Höhe einer begründeten Inflationserwartung anstreben („realer Anlageerfolg“). Bei langfristigen Verträgen kommt dafür beispielsweise das mittelfristige Inflationsziel der Europäischen Zentralbank in Betracht“. Das wären zwar mindestens besagte zwei Prozent Rendite nach Kosten: Die Formulierung ist aber so vage, dass auch ein Unterschreiten denkbar wäre, ohne die Vorgaben zu verletzen.

Ein wichtiger Hebel, um den Kundennutzen zu bewerten, ist nach Vorgabe der BaFin das Zusammenwirken der Größe „Kosten“ und „Rendite“ (vor Kosten). Aus Sicht des Versicherungsnehmers sei das Risiko einer unzureichenden oder gar negativen Rendite „umso höher, je höher die Kosten sind“. Zudem seien die Kosten eine Größe, die die Unternehmen weitergehender beeinflussen könnten als die Rendite, die im Wesentlichen von äußeren Faktoren abhängig sei. Hier sollen die anfallenden Kosten anhand der sogenannten Effektivkosten gemessen werden: eine Messgröße, die widerspiegelt, wie stark die Kosten die Rendite eines Vertrages schmälern. Erwähnenswert ist, dass die BaFin auch sogenannte Nettoprodukte nicht davon ausnehmen, den Kundennutzen anhand der Kosten nachzuweisen: Verträge also, bei denen keine Provision fließt, sondern ein Honorar gesondert gezahlt wird. Auch hier sei die Kostenbelastung angemessen bei der Produktprüfung zu berücksichtigen.

Bei fondsgebundenen Lebensversicherungen hängt der Kundennutzen stark vom Erfolg der Fonds ab: auch das sollen die Anbieter berücksichtigen. Konkret sollen die Versicherer anhand sogenannter Renditeszenarien sicherstellen, dass das formulierte Renditeziel nicht nur in optimistischen Szenarien erreicht wird, sondern auch bei einer weniger günstigen Entwicklung. Zudem soll anhand der Szenarioanalysen eine ausreichende Anzahl an typischen Vertragskonstellationen eingerechnet werden. „Kann ein angemessener Kundennutzen für bestimmte Vertragskonstellationen nicht festgestellt werden, so ist dies bei der Produktgestaltung und/oder gegebenenfalls bei der Zielmarktdefinition zu berücksichtigen“, heißt es im Merkblatt.

Auch vorzeitige Vertragskündigung bei Kundennutzen zu berücksichtigen

Ein weiterer Aspekt: Bei der Bewertung des Kundennutzens sollen die Versicherer auch berücksichtigen, dass nicht alle Kundinnen und Kunden die Verträge bis zum Ende der Ansparphase durchhalten. Insbesondere bei langfristigen Produkten kündigt oftmals ein großer Teil seine Verträge vor Ablauf der Ansparphase, gibt die BaFin zu bedenken. Diesbezüglich schiebt die Behörde keineswegs den Schwarzen Peter den Versicherern zu, sondern hebt auf die sich ändernden Interessen der Versicherungsnehmer ab. In vorzeitigen Vertragskündigungen „spiegelt sich wider, dass es bei langen Laufzeiten dazu kommen kann, dass sich Lebensumstände oder Interessen der Versicherungsnehmer während der Vertragslaufzeit in einer bei Vertragsabschluss noch nicht vorhergesehenen Weise ändern“, schreibt die BaFin.

Wenn für den Zielmarkt eines Produktes anhand vorliegender Daten damit zu rechnen ist, dass ein wesentlicher Anteil die Verträge vorzeitig kündigt, so sei dies bei der Prüfung des Kundennutzens zu berücksichtigen. Auch hierfür sind sogenannte Szenarioanalysen vorgesehen: Es werden also verschiedene Vertragskonstellationen mit Blick auf die Stornoerwartung errechnet. „Das Produkt muss für alle Angehörigen des Zielmarkts, die ihren Vertrag ab diesem Zeitpunkt kündigen, einen angemessenen Kundennutzen bieten. Andernfalls ist das Produkt für den Zielmarkt nicht geeignet“, fordert die BaFin.

Vertrieb im Visier

Explizit hebt die BaFin auf die hohen Vertriebskosten der Lebensversicherer ab. „Bei der Prüfung der Angemessenheit der Kosten durch das LVU sind Aufwendungen für die Versicherungsvermittler (wie allgemein auch sonstige Aufwendungen des LVU), die sich nicht dem individuellen Produkt zuordnen lassen, zu einem angemessenen Anteil zu berücksichtigen“, heißt es. Hierbei sollen Abschlussprovisionen, Bestandsprovisionen und weitergehende Vergütungen (etwa Boni) eingerechnet werden.

Bei der Prüfung, ob Provisionen angemessen sind, sollen die Lebensversicherer darauf achten, ob unterschiedlich hohe Provisionen durch einen abweichenden Kundennutzen bedingt sind. Das ist etwa der Fall, wenn der Beratungsaufwand bei manchen Zielmärkten höher ist und deshalb auch höhere Vergütungen fließen. Auch soll zur Vermeidung von Interessenkonflikten zwischen Kunden untereinander darauf geachtet werden, dass es nicht zu einer unangemessenen Spreizung der Aufwendungen bzw. „Quersubventionierung“ verschiedener Vertriebswege kommt.