„Wasser predigen und Wein saufen“ – Die Versicherungsbranche am Scheideweg
Klaus Hermann, Versicherungsmakler aus Münster, arbeitet seit 1988 in der Versicherungsbranche, hat hunderte Vorträge auf Veranstaltungen der Assekuranz gehalten und ist leidenschaftlicher Klimaaktivist. Seine Beobachtungen und Erfahrungen der letzten Monate veranlassen ihn nun, diese Kolumne zu verfassen und einen Aufruf an die Branche zu starten.
- „Wasser predigen und Wein saufen“ – Die Versicherungsbranche am Scheideweg
- „Wir brauchen mutige Charaktere“
Nachhaltigkeit ist ein vergewaltigter Begriff. Mit einer Selbstverständlichkeit wie der Sauerstoff in der Atmosphäre, hat die Nachhaltigkeit ihren festen Platz in der Außendarstellung und als Thema auf nahezu jeder Veranstaltung der Versicherungsbranche erobert. Vorstände, Direktoren und ESG- Beauftragte präsentieren stolz ihre Aktivitäten und Pläne, bei der Weltenrettung eine wichtige Rolle zu spielen. Die Nachhaltigkeit findet sich in jeder Veranstaltungsagenda, auf jeder Homepage und in jeder Kundenbroschüre.
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Doch, wie viel Heuchelei und Greenwashing ist hier im Spiel? Wie authentisch ist eine flammende Rede zur Nachhaltigkeit des Konzernchefs des größten Versicherers der Republik, wenn er nach dem Appell zur Veränderung in den firmeneigenen Jet steigt und von Frankfurt nach Köln fliegt? Welche Bemühungen gibt es über die PV-Anlage auf dem Dach, das vegetarische Menü in der Betriebskantine und eine Flotte von Plug-In Hybridfahrzeugen auf dem Parkplatz hinaus? Wie ernst meinen es die Entscheider der Finanzdienstleistungsbranche wirklich, wenn sie über die notwendige ökologische Transformation reden? Wie kann es sein, dass die Wissenschaft zigfach darauf hinweist, dass wir bereits mehr fossile Brennstoffe gefunden haben, als wir uns leisten können zu verbrennen, jüngst jedoch bekannt wird, dass 69 Versicherer von dem Erschießen neuer Öl- und Gasvorkommen vor der Küste Norwegens profitieren und Versicherungen für diese Projekte abschließen? Darunter auch Allianz und weitere deutsche Anbieter. Was denken sich Entscheider unserer Branche, die jährlich ein Incentive nach Afrika veranstalten, das als Kombination aus Reise – und Naturschutz deklariert wird, um sich letztendlich dort mit Jeeps durch die Nationalparks fahren zu lassen, abends damit zu brüsten, die Bar leergetrunken zu haben und als moderne Form des Ablasshandels einen Brunnen in den verarmten Ländern finanzieren?
Die ursprüngliche Definition von Nachhaltigkeit stammt aus der Forstwirtschaft und besagt, dass man der Natur nicht mehr entnehmen sollte, als sie uns zur Verfügung stellt. Von dieser animistischen Lebenseinstellung hat sich unserer Gesellschaft schon lange entfernt. Am 4. Mai 2023 fand in Deutschland der diesjährige Erdüberlastungstag statt. Somit verbrauchen wir Deutschen seit dem 5. Mai mehr Ressourcen als uns der Planet geben kann.
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Und nicht nur das. Wir konsumieren viel mehr als wir zum Überleben brauchen, verzehren Fleisch als käme es aus dem Wasserhahn, sind noch vor den USA der größte Papierverschwender der Welt, fahren immer größere Autos, fühlen uns in unseren Grundrechten beschränkt, wenn es um ein Tempolimit oder notwendigen Innovationen im privaten Wärmesektor geht , nutzen jedes Jahr mehr Wohnfläche je Einwohner und beklagen uns über die unverschämt hohen Preise einer Seezunge auf Sylt, obwohl die doch nur noch halb so groß ist wie vor 10 Jahren. Das, was wir nicht tun, ist unser eigenes Verhalten infrage zu stellen und uns ernsthaft mit den verheerenden Konsequenzen unseres gegenwärtigen Handelns zu beschäftigen. Frei nach dem Motto: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“ lauschen wir den besorgniserregenden Nachrichten und Katastrophenmeldungen, als Vorboten einer sich dramatisch schnell verändernden Welt, als wäre der Klimawandel der Trailer zu einem Katastrophenfilm, den man abschalten kann, wenn er uns zu brutal wird. Wir sind betroffen, aber die Betroffenheit allein hat noch nie eine Situation verändert. Das, was folgen muss, ist das Handeln. Und das muss sehr schnell erfolgen. Da ist sich die Wissenschaft einig.
„Wir brauchen mutige Charaktere“
Das gilt auch für unsere Branche. Selbstverständlich gibt es dort Aktivitäten und Leute, die es wirklich ernst meinen, wenn es um die Rettung unserer Spezies geht. Auffällig zeigt sich jedoch, dass die meisten von den Versicherern und Unternehmen der Assekuranz ins Feld geführten Maßnahmen immer auch einen erheblichen ökonomischen Nutzen mit sich bringen. Die Hybridflotte wird subventioniert, die Photovoltaik-Anlage erreicht den Break-Even-Point schon nach wenigen Jahren, eingespartes Papier kostet schlicht und ergreifend auch weniger Geld und eine vegetarische Mahlzeit als Add-on kostet auch nicht mehr als das Schnitzel mit Pommes.
Gerne werden die Nachhaltigkeitsabsichten ins Feld geführt und auf den Wandel bei den Kapitalanlagen bis 2050 hingewiesen. Bei genauerer Betrachtung fehlen dem kritischen Betrachter allerdings häufig die Worte. Ein Versicherer bekennt sich auf seiner Homepage zur nachhaltigen Kapitalanlage und stellt diese in den Fokus der Weiterentwicklung. Wenn man weiterliest, findet man die wenig konkrete Aussage: „[…] Darüber hinaus reduzieren wir Investitionen in Unternehmen, die einen Umsatzanteil von mehr als 20 Prozent in Kernkraft oder fossilen Brennstoffe haben sowie Bohrungen in der Arktis oder Erforschungen dafür betreiben.“ Das ist alles? Wo ist hier der Fokus? Diese Ankündigung ist schon erfüllt, wenn das Unternehmen auch nur eine einzige Aktie von BP verkauft.
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Beim Investmentfonds „UniNachhaltig Aktien Deutschland“ dürfte man nicht überraschend vermuten, dass es sich hier um einen Fonds handelt, der nachhaltig investiert. In den Fondsbeschreibungen findet sich folgende Passage: „Werden mit diesem Finanzprodukt nachhaltige Investitionen angestrebt?“ Die Antwort: „NEIN. Es werden damit ökologische/soziale Merkmale beworben, obwohl keine nachhaltigen Investitionen angestrebt werden…“. Wie bitte?! Das kann doch nicht deren Ernst sein.
Im „Allianz Global Sustainability Fonds“, der ebenfalls Nachhaltigkeit und Interesse am Fortbestand unserer Art suggeriert, finde ich unter den Top-Ten-Aktien des Fondsbestandes unter anderem Shell. Ein Unternehmen der Mineralölindustrie, die seit Jahrzehnten durch eigene Studien von den Folgen des Verbrennens fossiler Energieträger weiß und bis heute versucht, diese Konsequenzen zu verniedlichen, Politiker bestochen hat, um den Klimawandel zu leugnen und ganz sicher bis zum letzten Tropfen Öl alles aus der Erde fördern wird, was sich irgendwie zu Geld machen lässt.
Da können die Fondsmanager noch so viel davon reden, dass man die großen Industrien bei der ökologischen Transformation begleiten muss. Es bleibt schlicht und ergreifend eine massive Irreführung der Anleger und moralisch höchst bedenklich.
Vorstände und Entscheider unserer Branche müssen in Sachen Klimawandel etwas tun, das nicht dem üblichen Handeln ihrer Gattung entspricht. Sie müssen Entscheidungen treffen, die eine Zeitspanne über ihre Verantwortungsperiode hinaus betreffen. Leider hat das keinen Einfluss auf die Boni Zahlungen des Vorjahres. Hier geht es um mehr. Es reicht nicht aus, einen ESG-Beauftragten zu beschäftigen, der mit blumigen Worten die halbseidenen Absichten der Unternehmen im ökologischen Glanz erstrahlen lässt. Wir brauchen mutige Charaktere, die voran gehen und endlich die Lenkungswirkung des Kapitals der deutschen Versicherer verantwortungsvoll im Sinne der kommenden Generationen in die Hände nehmen. Wer in Coca Cola, den größten Plastikmüll-Produzenten der Erde, investiert, darf sich nicht über die Verunreinigung von Meeren und Stränden beklagen. Wem Absichtserklärungen von Weltkonzernen wie Microsoft ausreichen, die demnächst eventuell die historisch getätigten Kohlenstoff-Emissionen des Unternehmens kompensieren wollen und mit einer Pole Position im Portfolio belohnt, hat die Chance auf eine durchgreifende Change Mentalität verpasst. Unternehmen wie Die Bayerische mit der Tochtergesellschaft Pangaea Life zeigen, dass es geht. Anlegerinteressen, Rendite und Verantwortung passen zusammen. Dazu Vorstände, die nicht nur vorlesen, sondern auch vorleben.
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Im letzten Jahr war ich Gast auf einer Veranstaltung, auf der ein Vorstandsmitglied eines Branchenriesen mitteilte: „Eine 3-4 Grad wärmere Erde ist nicht versicherbar“. Wenn uns der Aufruf zehntausender Wissenschaftler und Klimaforscher, die Ende 2019 vor den dramatischen Folgen zögerlichen Handelns in Sachen Klimaschutz gewarnt und zu sofortigem Handeln aufgefordert haben, noch nicht ausreicht, um konsequent und ernsthaft zu agieren, dann sollte es zumindest der egoistische Überlebenswille der Versicherungsbranche sein. Nehmt die Krise als solche an und handelt konsequent. Wenn der Mensch im Mittelpunkt des Handelns steht, wie es beinahe jedes Unternehmen der Assekuranz von sich behauptet, dann gehört dazu auch, diese mit allen der Branche zur Verfügung stehenden Maßnahmen und Mitteln vor den Auswirkungen jahrzehntelanger Ignoranz und wachstumsgetriebenen Investitionen auf Kosten der Umwelt und des Klimas zu schützen. Unsere Branche, die hundert Jahre an der Ausbeutung des Planeten verdient und die Folgen verdrängt hat, muss sich entscheiden, ob sie sich auf Nachhaltigkeitskongressen der Branche gegenseitig für das grüne Marketing feiern oder endlich konsequent handeln möchte. Dazu gehört dann am Ende auch, dass Vorstände den Jet stehen lassen, sich über das schlechte W-Lan in der Bahn beklagen und trotzdem einsteigen.
- „Wasser predigen und Wein saufen“ – Die Versicherungsbranche am Scheideweg
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