Wie Daten und Analytics die Rolle der Krankenversicherer verändern können
Die gezielte Nutzung von Kunden- und Gesundheitsdaten schreitet rasant voran. Welche Modelle es bereits gibt und welche Trends sich daraus ablesen lassen, haben Martina Scheuler und Klaus Thummert im Gastbeitrag zusammengetragen. Beide arbeiten für das weltweit aktive IT-Unternehmen Infosys.
- Wie Daten und Analytics die Rolle der Krankenversicherer verändern können
- Die Gesundheitsversorgung von morgen basiert auf Daten
Die Chancen durch eine umfangreichere und gezieltere Datennutzung werden seit einigen Jahren in nahezu allen Branchen intensiv diskutiert. Es wurden Metaphern wie „data is the new oil“ geprägt, denn die Sammlung, Zusammenführung und professionelle Aufbereitung von immer mehr Daten verspricht für viele Unternehmen wertvolle Erkenntnisse.
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In unserer täglichen Arbeit sehen wir, dass das Potential auch von Versicherern nicht nur erkannt, sondern zunehmend aktiv erschlossen wird. Entlang der Wertschöpfungskette gibt es verschiedene Beispiele für erfolgreiche Use Cases:
- Marketing / Vertrieb: Sales Steuerung und Upgrade Marketing
- Tarifierung, Angebot und Antrag: Automatisierte Underwriting-Entscheidungen
- Operations: Entscheidungsunterstützung durch Hinweise im System sowie automatisierte Arbeitsgutsteuerung
- Leistung: Frühzeitige Erkennung von Gesundheitsrisiken; Betrugserkennung
- Gesundheit: Selbst-Management chronischer Erkrankungen
Digitalisierungsstrategie des BGM adressiert die „Nutzung von Gesundheitsdaten“ als eins von drei zentralen Handlungsfeldern. Dabei sollen auch die Möglichkeiten der Kostenträger gestärkt werden, die vorhandenen Gesundheitsdaten im Interesse der Versicherten zu nutzen. Aktuelle Beispiele wie der Streit zwischen dem Datenschutzbeauftragten des Landes Rheinland-Pfalz und der Debeka zeigen jedoch, dass es hier noch große Herausforderungen sowie unterschiedliche Ansichten gibt und eine Rechtsgrundlage geschaffen werden muss.
Insbesondere in den Wertschöpfungsbereichen Leistung und Gesundheit lassen sich aktuell eine Reihe externer Entwicklungen beobachten, die darauf schließen lassen, dass die Nutzung von Daten im Kontext Gesundheit für Krankenversicherer zukünftig an Relevanz gewinnen wird. Auf der einen Seite sehen wir politische / regulatorische Änderungen: So ist die ePA für gesetzliche Versicherte nicht nur eingeführt, sondern es ist auch ein Opt-out vorgesehen, um die Nutzung dieser weiter zu stärken. DieAuf der anderen Seite sehen wir marktseitige Treiber: Große Technologiekonzerne investieren stark in das Feld Gesundheit und sammeln teilweise seit Jahren gesundheitsbezogenen Daten vieler Nutzer. Aber auch neue Player wie bspw. Biolytica treten mit revolutionären, datenbasierten Geschäftsmodellen in den Gesundheitsmarkt ein.
Biolytica ist ein Schweizer Unternehmen welches auf einer Plattform Gesundheitsdaten (von Genom bis Wearable) zusammenführt, unter Anwendung von Deep Learning Technologien Auswertungen durchführt und die gewonnen Insights in einem Dashboard für Kunden und betreuende Experten zur Verfügung stellt. Übergeordnetes Ziel ist die Förderung von Langlebigkeit. Hierfür werden personalisierte Health Plans für eine präventive Gesundheitsoptimierung erstellt und ein Concierge-Service, d.h. eine individuelle Betreuung durch Langlebigkeitsexperten angeboten.
Hinzu kommt, dass die Kundenakzeptanz für die Nutzung von Daten steigt. Laut Umfragen sind zwischen ca. 50 % bis 80 % der Versicherten bereit, ihre Daten mit dem Versicherer für Diagnosen, Prävention, bessere Behandlungen oder günstigere Tarife zu teilen.
Das Potential einer gezielten Nutzung von Kunden- und Gesundheitsdaten ist dabei vielfältig und reicht von Verbesserungen in der Versorgungsqualität über Kosteneinsparungen bis zu neuen Geschäftsmodellen. In anderen Ländern wird dies teilweise schon deutlich weitergehend genutzt. Interessante Ansätze verfolgen beispielsweise:
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- Der US-Krankenversicherer Aetna nutzt Gesundheitsdaten, um personalisierte und präventiv orientierte Versorgungsmodelle zu entwickeln bzw. Versicherten Empfehlungen zu geben.
- Der chinesische Versicherer PingAn hat ein umfassendes Health-Ökosystem aufgebaut. Technologie und Data Analytics sind dabei bisher und auch zukünftig zentrale Enabler. Hierbei gibt PingAn an über die weltweit größte medizinische Datenbasis zu verfügen und diese für die Entwicklung neuer Technologien zu nutzen.
- Das israelische Gesundheitsministerium hat mit Kineret Data Lake eine neue Plattform auf den Markt gebracht, die umfassende Gesundheitsdaten aus dem israelischen Gesundheitssystem beinhaltet und diese für Forschung und Unternehmen als Bezahlservice zugänglich macht.
Die Gesundheitsversorgung von morgen basiert auf Daten
Auf Basis der aufgezeigten Entwicklungen und Potentiale sind wir überzeugt, dass die Relevanz von Daten in der Gesundheitsversorgung stark steigen wird und sich Anbieter mit datenbasierten Geschäftsmodellen im Gesundheitsmarkt etablieren werden.
Wir haben uns mit verschiedenen Szenarien für die Zukunft befasst und möchten ein mögliches Szenario, welches wir als „Data-driven connected Health“ bezeichnen, kurz skizzieren:
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Es etablieren sich Anbieter, die auf einer Plattform umfassende Gesundheitsdaten der Kunden zusammenführen und auswerten können. Sie bringen auf Wunsch des Kunden über geeignete Schnittstellen verschiedene Gesundheitsinformationen (z.B. Behandlungsdaten, Laborwerte, Genom, Lifestyle) in einer Art persönlichen Health Cloud zusammen. Die Gesamtheit aller Daten sowie die individuellen Daten der einzelnen Kunden nutzen sie, um mittels Data Analytics und KI persönliche Gesundheits-Insights zu generieren. Kunden erhalten dann gezielte Hinweise zur Erhaltung / Verbesserung ihrer Gesundheit, die sie eigenständig umsetzen können – von Lifestyle bis zu Therapie. Zusätzlich können die Kunden auch ihren behandelnden Ärzten Zugriff auf die Daten und medizinischen Auswertungen gewähren – für präzisiere Diagnosen bis zu personalisierten Therapien. Aufgrund des klaren Mehrwerts für die eigene Gesundheit und einer hohen Convenience wird das Angebot von der Mehrheit der Bevölkerung genutzt. Die Anbieter werden entsprechend zum ersten Ansprechpartner der Kunden für Gesundheitsfragen und damit zum zentralen Player im Gesundheitswesen.
Wenn man dieses Szenario betrachtet, stellen sich eine Vielzahl von Fragen – eine ganz essenzielle Frage ist: Wer wird dieser zentrale Player?
Aus unserer Sicht gibt es verschiedene Akteure, die diese Rolle einnehmen könnten:
Krankenversicherer verfügen bereits heute über eine Vielzahl an Gesundheitsdaten ihrer Kunden und gehen mit dem Angebot der ePA gerade den nächsten Schritt. Trotzdem sind die Krankenversicherer keinesfalls für die Rolle als zentraler Daten-Hub und Ansprechpartner gesetzt. Zum einen werden Krankenversicherungsunternehmen Voraussetzungen sowie Kosten und Nutzen für die Entwicklung einer solchen Infrastruktur individuell abwägen müssen. Zum anderen werden Player wie Leistungserbringer oder Technologiekonzerne ebenfalls Interesse an dieser Rolle haben. Daher wäre es auch denkbar, dass neue Kooperations- oder Beteiligungsstrukturen entstehen, beispielsweise zwischen Krankenversicherern und Technologiedienstleistern. In jedem Fall gilt es die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, insbesondere die Schaffung von Kundeninteresse und-vertrauen, regulatorische Grundlagen sowie der Aufbau der notwendigen Kompetenzen.
Wesentliche Handlungsfelder und Erfolgsfaktoren für Krankenversicherer
Für Krankenversicherer wird es daher wichtig sein, bewusst zu Entscheiden welche Rollen sie zukünftig einnehmen wollen und dann gezielt die erforderlichen neue Fähigkeiten insbesondere zum Management von Daten aufzubauen. Auf Basis unserer Erfahrungen sehen wir vier zentrale Handlungsfelder für Krankenversicherer, um sich erfolgreich im Gesundheitsmarkt der Zukunft zu positionieren:
- Strategie
An welche Szenarien für die Zukunft glauben wir? Und welche Rolle gegenüber unseren Kunden nehmen wir ein und welche Services bieten wir an? - Prozesse
Wie müssen Customer Journeys gestaltet sein, um überzeugende Services anzubieten? Welche Anforderungen und Änderungen ergeben sich hieraus? - Daten
Welche Auswertungen und Fähigkeiten benötigen wir? Wie müssen wir Datenmodell und -governance hierfür gestalten? - Organisation
Welche Strukturen und Kompetenzen benötigen wir, um im neuen Modell erfolgreich zu sein?
Datenhandling, -struktur und -potential sind jetzt aufzubauen und kontinuierlich weiterzuentwickeln
Die aktuellen Entwicklungen im Bereich Gesundheitsdatennutzung sowie ein Blick in andere Länder spricht dafür, dass Krankenversicherer jetzt ihre zukünftige Rolle und (Daten-)Strategie entwickeln sollten. So können Krankenversicherer von Beginn an mit eigenen Angeboten und Mehrwerten überzeugen. Ansonsten besteht das Risiko, dass Angebote anderer Anbieter bereits so gut sind, dass die Kunden diese nutzen und nicht mehr wechseln.
- Wie Daten und Analytics die Rolle der Krankenversicherer verändern können
- Die Gesundheitsversorgung von morgen basiert auf Daten