Gothaer BU im Tarifcheck: „Revolution bei den Antragsfragen“
Die Gothaer hat ihre Berufsunfähigkeitsversicherung auf neue Beine gestellt. Doch ist die 'Mission BU' geglückt? Biometrie-Experte Tobias Bierl hat sich die Neuerungen angeschaut. Zu welchem Fazit er kommt.
Wir sind ehrlich. Die Gothaer spielte bisher bei uns in der Beratung in der Berufsunfähigkeitsversicherung eine eher sehr untergeordnete Rolle. Bezeichnen wir die bisherige BU eher mal als graue Maus, also der VFL Bochum im Markt der Berufsunfähigkeitsversicherung. Nun machte sich ein junges Entwicklerteam auf, ließ sich vom Markt inspirieren und gab die “Mission BU” heraus. Sehen wir uns mal die Neuerungen an, darunter zwei Alleinstellungsmerkmale.
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1. Revolution bei den Antragsfragen - verkürzte Abfragezeiträume bei Gesundheit & Hobby
Die signifikanteste Neuerung betrifft gleich die Antragsfragen. Stationäre Behandlungen wurden bisher zehn Jahre abgefragt, nun wurde der Zeitraum auf fünf Jahre gekürzt. Der Markt ist eindeutig noch bei zehn Jahren. Die größere Revolution liegt aber an den ambulanten Gesundheitsfragen, welche flächendeckend nur noch drei statt wie bisher fünf Jahre abgefragt wird. Das ist insbesondere eine große Neuerung, da auch Psychische Erkrankungen nur noch drei Jahre abgefragt werden. Zudem werden rein “Beratungen, Untersuchungen oder Behandlungen” abgefragt, keine Beschwerden, Missempfindungen oder Störungen (bis auf Augen, Ohren, Allergien und Haut). Ebenso gab es bei der Abfrage nach gefährlichen Hobbys eine signifikante Änderung. Alles, was die Gothaer mit einem Risikozuschlag von unter 100 Prozent bewertete, wird nun normal angenommen. Die wichtigste Botschaft lautet zudem: Die Vereinfachung der Antragsfragen gilt nicht bis zu einem gewissen Alter oder nur für eine spezielle Berufsgruppe, sondern für sämtliche Interessenten, welche sich laut den Annahmerichtlinien versichern können.
2. Verbesserung der Arbeitsunfähigkeitsklausel
Eine massive Verbesserung gab es auch bei der Arbeitsunfähigkeitsklausel. Hatte die Gothaer bisher die ungünstige Form, dass beim Ziehen der AU-Klausel auch zeitgleich ein Leistungsantrag auf Berufsunfähigkeit gestellt werden musste, konkretisierte man jetzt diesen Passus. Es muss kein Leistungsantrag erfolgen. Zudem verdoppelte man die Leistungsdauer von 18 auf 36 Monate, was derzeit Marktspitze ist.
3. Bessere medizinische Untersuchungsgrenzen
Bisher konnte sich ein Interessent bei der Gothaer bis 2.500 Euro mit den normalen Gesundheitsfragen absichern, ohne eine ärztliche Untersuchung über sich ergehen zu lassen. Auch diese Grenze wurde auf 3.000 Euro angehoben. Hier merken wir derzeit einen generellen Trend, erst vor kurzem hat auch die LV 1871 in ihrem Update im Mai 2023 diese Grenze angehoben.
4. Verbesserte Nachversicherung & Einführung der Karrieregarantie
Erhöhungsoptionen in der Berufsunfähigkeitsversicherung werden insbesondere für junge Personen immer wichtiger. Es gilt nämlich, den Gesundheitszustand einzuloggen, um später eine bedarfsgerechte Absicherung zu bekommen. Nun können die Erhöhungsoptionen bis zu 3.000 Euro betragen (bisher 2.500 Euro). Bei Berufseinstieg kann diese jetzt auch verdoppelt werden. Der Maschinenbaustudent kann also bei Einstieg ins Berufsleben von 1.500 auf 3.000 Euro gehen, solange die finanzielle Angemessenheit gewahrt wurde.
Einführung der Karrieregarantie
Aber bei 3.000 Euro Absicherung ist nun nicht Schluss bei der Gothaer. Bei steigendem Gehalt kommt man in den Genuss der sogenannten Karrieregarantie. Beträgt für einen Angestellten die Gehaltssteigerung mehr als fünf Prozent, kann die persönliche BU-Rente sich im selben Prozentsatz erhöhen. Bis zu 6.000 Euro. Anders als bei den bisherigen Erfindern LV 1871 sowie der Nürnberger gilt die Karrieregarantie bei der Gothaer nun auch für Selbstständige.
Verzicht auf erneute Risikoprüfung statt nur Gesundheitsprüfung bei der Nachversicherung
Ein weiterer wichtiger Punkt: Es wird beim Ziehen einer Nachversicherung nun auf eine erneute Risikoprüfung und nicht nur Gesundheitsprüfung verzichtet. Das bedeutet, dass die Gothaer nun nicht mehr den aktuellen Beruf, neue vermeintlich gefährliche Hobbys, das Rauchverhalten oder geplante Auslandsaufenthalte nachfragen kann.
5. Verbesserung der BU-Invest der Gothaer
Als einer der wenigen Anbieter am Markt bietet die Gothaer auch eine Berufsunfähigkeitsversicherung außerhalb der klassischen Kalkulation mit der bekannten Überschussverrechnung an (“Netto- vs. Bruttobeitrag”). Bisher rechnet man für stabile Beiträge mit einer durchschnittlichen Wertentwicklung von sieben Prozent bei den hinterlegten Investmentfonds. Diese wurde nun auf maximal fünf Prozent gesenkt.
Ein kleines Manko bleibt: Kostengünstige ETFs können weiterhin nicht ausgewählt werden, sondern es können weiterhin nur aktive Investmentfonds und wenige Strategien eingebaut werden.
6. Alleinstellungsmerkmale der neuen Gothaer Berufsunfähigkeit
Neben der Karrieregarantie für Selbstständige gibt es zwei weitere Alleinstellungsmerkmale.
Die Gothaer führt die Work-Life-Balance-Option ein
Eine Senkung bzw. Erhöhung der aktuellen Berufsunfähigkeitsrente ist an die Reduzierung bzw. Aufstockung der Arbeitszeit geknüpft. Werden vorher also 40h in der Woche gearbeitet und ab dem nächsten Monat werden 20h gearbeitet, kann die BU-Rente um diese 50 Prozent gesenkt werden. Wird in drei Jahren wieder auf eine Vollzeitstelle umgestellt, kann ohne erneute Risikoprüfung innerhalb von zwölf Monaten die Absicherung wieder erhöht werden.
Marketingtechnisch halten wir dies für einen guten Schachzug, da es dem Zeitgeist entspricht. In der Praxis halten wir diese Regelung aber gefährlich, da man eine Berufsunfähigkeit nicht planen kann und im schlimmsten Fall mit einer zu geringen Absicherung dasteht.
Überbrückungsgeld von fünf Monaten wird gewährt
Anders sieht es hingegen beim Überbrückungsgeld aus. Dieses wird für maximal fünf Monate gewährt, falls die Gothaer einen Gutachter einschalten möchte, um über den Leistungsfall zu entscheiden. Das ist ein kluger Schachzug, da die größte Angst der Kunden immer noch darin liegt, dass die Versicherung “nicht zahlt”.
7. Prämiensenkung
Wie nicht anders erwartet, geht auch die “Preisschlacht” bei der Gothaer weiter. Aus acht Berufsgruppen werden 14 gemacht, wovon insbesondere Akademiker und gut ausgebildete Personen profitieren dürften.
8. Was gibt es sonst noch für Neuerungen?
- Es gibt eine Option für eine spätere Risikolebensversicherung für maximal 200.000 Euro ohne erneute Gesundheitsfragen bei der Geburt / Adoption eines Kindes oder einer Immobilienfinanzierung.
- Teilzeitbeschäftigte profitieren von einer Klarstellung
- Insbesondere medizinisches Personal profitiert von einer Verbesserung der Infektionsklausel.
- Die Möglichkeiten der Beitragsstundung wurden verbessert.
- Wiedereingliederungshilfe bis 15.000 Euro
- Sämtliche Berufe sind nun bis 67 Jahre absicherbar (außer Beamte)
- Verbesserte finanzielle Angemessenheit
9. Was gefällt uns nicht so sehr bei der neuen Gothaer BU?
Ein großer Knackpunkt ist sicherlich für viele unserer jungen Interessenten, dass die Beitragsdynamik beim 2,5-fachen der zu Beginn abgesicherten BU-Rente endet. Nimmt man zu Beginn eine Beitragsdynamik von fünf Prozent, endet nach ca. 20 Jahren die Beitragsdynamik. Nachversicherungen werden zwar nicht angerechnet, aber trotzdem ist das kein guter Wert. Im Marktvergleich auch sehr unüblich.
Zudem gibt es auch keine Erhöhungsmöglichkeiten über 6.000 Euro. Für langlaufende Verträge kann dies zu wenig sein - trotz der Karrieregarantie. Insbesondere für junge Personen dürfte eine saubere berufliche Besserstellungsgarantie ohne erneute Risikoprüfung sehr wichtig sein. Diese finden wir leider nicht (außer einmalig für Schüler). Es müssen immer wieder erneute Gesundheitsfragen beantwortet werden.
Fazit:
Insgesamt fällt das Fazit aber sehr positiv aus. Man ließ sich inspirieren und wollte größtenteils das Rad nicht neu erfinden. Viele Neuerungen dürften in der Praxis relevant sein und somit haben wir in unseren Augen einen weiteren Versicherer, welchen man sich in der Berufsunfähigkeitsversicherung näher ansehen kann.
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Autor:
Tobias Bierl ist Finanzberater, Versicherungsmakler und Geschäftsführer der Finanzberatung Bierl aus dem bayerischen Kirchenrohrbach, welche sich auf die Biometrische Absicherung (insbesondere Berufsunfähigkeitsversicherung) spezialisiert hat.