Im konkreten Rechtsstreit hatte eine Auszubildende 2007 eine Lebensversicherung inklusive Berufsunfähigkeitsbaustein (BUZ) abgeschlossen und hierbei ihr damaliges Ausbildungsgehalt in Höhe von 750 Euro Monatsrente versichert. Sie ließ sich zum damaligen Zeitpunkt zur Gesundheits- und Krankenpflegerin ausbilden. Im weiteren Verlauf konnte sie sich jedoch beruflich verbessern und ein höheres Einkommen erzielen, unter anderem als Außendienst-Mitarbeiterin in der Medizintechnik.

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Der Versicherungsvertreter stand der Familie nahe und wusste deshalb auch vom beruflichen Aufstieg der Frau. Unter anderem betreute er die Familie bei der Vermittlung einer Wohngebäudeversicherung nach dem Erwerb einer Immobilie. Nachdem die Frau vom Mai 2015 bis einschließlich August 2016 berufsunfähig war und auch Leistungen aus dem Vertrag erhielt, ließ sie die Zusatzversicherung rund ein Jahr später in eine selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung umwandeln. Die Lebensversicherung stellte sie beitragsfrei. Auch hierbei wurde die vereinbarte BU-Rente nicht erhöht: Das wäre wohl auch nur mit einer neuen Gesundheitsprüfung möglich gewesen.

Als die Versicherungsnehmerin an Krebs erkrankte, erhielt sie zwar die Leistung aus ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung zuerkannt - sah sich aber mit der Tatsache konfrontiert, dass die vereinbarte Rente nicht annähernd ausreichte, um ihren Lebensstandard zu sichern. Deshalb klagte sie gegen ihren Versicherungsvertreter und machte eine Falschberatung geltend, wonach ihr ein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei. Demnach argumentierte sie, dass der Vertreter spätestens den Abschluss der Wohngebäude-Police als Beratungsanlass hätte sehen müssen, um ihr zu raten, eine höhere BU-Rente zu vereinbaren. Schließlich sei dieser Vertrag mit dem Erwerb von Grundbesitz verbunden gewesen.

Nun forderte die Frau eine um 1.400 Euro höhere Monatsrente: folglich die Differenz zur tatsächlich vereinbarten Leistung, auch Quasideckung genannt. Diesen Betrag hätte sie vereinbart, wenn das versäumte Beratungsgespräch tatsächlich stattgefunden hätte, so ihr Argument.

Gericht sah keinen zwingenden Beratungsanlass

Aber mit ihrer Klage hatte die erkrankte Frau keinen Erfolg, wie Vertriebsexperte Matthias Beenken im Versicherungsmagazin informiert. Sowohl das Landgericht Cottbus als auch das Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) wiesen die Schadensersatzforderung der Frau zurück. Hierfür führte der 11. Zivilsenat des OLG mehrere Gründe an:

Die Berufung überspanne die Anforderungen, die sich aus den gesetzlichen Regelungen betreffend die Beratung des Versicherungsnehmers ergeben, so hob das Gericht hervor. So bestehe die Pflicht, Kundinnen und Kunden zu ihrem Bedarf zu befragen und zu beraten, zunächst einmalig vor Vertragsabschluss - folglich stark vereinfacht, überhaupt zu ermitteln, ob eine BU gewünscht und erforderlich ist. Dabei sei auch ein angemessenes Verhältnis aus Beratungsaufwand und zu zahlender Prämie zu berücksichtigen. Dies erfordere aber keine eingehenden Ermittlungs- und Nachforschungstätigkeiten von Seiten des Versicherers bzw. Vertreters zur allgemeinen Risikoanalyse des jeweiligen Kunden - speziell, wenn dieser eine ganz andere Police nachfragt wie in diesem Fall eine Wohngebäude-Police. Es könne sogar als lästig empfunden werden, wenn sich ein Kunde mit einer bestimmten Versicherung eindecken will und ihm gleich eine Vielzahl an anderen Versicherungen angeboten werden.

Auch eine Beratungspflicht des Versicherers bzw. dessen Vertreters nach § 6 Absatz 4 VVG sah das Gericht als nicht gegeben an. Stattdessen nahm das Gericht auch die Versicherungsnehmerin in die Pflicht: „Die potentielle Deckungslücke in ihrer bereits laufenden Berufsunfähigkeitszusatzversicherung war für die Klägerin selbst erkennbar; sie hätte sich um deren Schließung kümmern können und müssen, wenn sie daran interessiert gewesen ist. Wenn dies übersehen wurde, so fällt es im Vorliegenden nicht den Beklagten zur Last“, heißt es im Urteilstext. Die Versicherungsnehmerin hätte lediglich aufgeklärt werden müssen, wenn es einen Hinweis gegeben hätte, dass sich die Kundin über wesentliche Vertragspunkte im Irrtum befindet, etwa über die Höhe der vereinbarten Rente. Aber weder der Versicherer noch der Versicherungsvertreter hatten einen Wissensvorsprung oder Informationen, die darauf hindeuteten, dass die Versicherungsnehmerin falsche Vorstellungen über den Umfang ihres Versicherungsschutzes hatte.

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Explizit hob das Oberlandesgericht aber hervor, dass ein Versicherungsvertreter nicht als Sachverwalter des Kunden aktiv wird: und sich somit von einem Versicherungsmakler unterscheidet. „Möglicherweise wäre der Fall anders ausgegangen, wenn es sich bei dem Vermittler um einen Versicherungsmakler gehandelt hätte“, kommentiert Beenken. Für Makler bestehe eher eine Pflicht, regelmäßig die Angemessenheit des Versicherungsschutzes zu überprüfen und entsprechend die Beratung zu dokumentieren.