Derivatevertrieb ohne MiFID: die „gute alte Welt“, oder das völlig antiquierte Selbstverständnis einer Industrie, die Regulierung und Anlegerschutz auch weiterhin als Hemmnis versteht, anstatt die Chancen daraus zu erkennen.

Anzeige

Alle Jahre wieder werden Berater von Anlage- und Versicherungsprodukten von ihrer lokalen Regulierungsbehörde freundlich auf Missstände und Versäumnisse im Anlage- und Beratungsprozess mit ihren Privatkunden hingewiesen. So stellt die BaFin in ihrer aktuellen Mystery Shopping-Initiative eine auffällig hohe Fehlerquote bei der Aushändigung von Pflichtinformationen fest. In 40 % der Anlageberatungen erhielten die Testkäuferinnen und Testkäufer keine Geeignetheitserklärung sowie in 67 % der Beratungen keine Ex-ante-Kosteninformation, obwohl beides gesetzlich vorgeschrieben ist. Dabei genießt der Privatkunde spätestens seit der Umsetzung von MiFID II und MiFIR in 2018 als Folge der globalen Finanzmarktkrise das so genannte „höchste Schutzniveau“. Überzogene Bürokratie? Schikane? Die Absicht, eine ganze Industrie in die Knie zu zwingen?

Susan NiederhöferSusan Niederhöfer...ist Head of Sales bei der Lucht Probst Associates GmbH (LPA) und verantwortet die Vertriebsaktivitäten des global tätigen Software- und Beratungsunternehmens mit Sitz in Frankfurt am Main. LPA versorgt Banken und Asset-Manager bereits seit über 20 Jahren mit technologischen Lösungen und Beratungsleistungen zur Automatisierung regulatorischer Prozesse im Vertrieb von strukturierten Derivaten, Wertpapieren und Fonds.LPA

Nein, der einzig folgerichtige Schritt nach einer Aneinanderreihung verheerender Ereignisse in den Jahren 2008-2011. Die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur sowie die damit einhergehende fachliche und technologische Ausstattung von Beratern hat dazu geführt, dass das grundsätzliche Verständnis über mehr Aufklärung, Transparenz und ein angepasstes Selbstverständnis durchaus stattgefunden hat. Dennoch stellt die BaFin bei ihren regelmäßigen Kontrollgängen immer wieder fest, dass der regulatorisch definierte Prozess nicht an allen Stellen lückenlos eingehalten wird. Die Folge sind Mahnungen, Rügen, Strafzahlungen und die teilweise Kastration einer Anlageklasse, die für viele private Investoren eine gute Möglichkeit darstellt, um ihr Vermögen entsprechend der individuellen Risikobereitschaft zu investieren. Sind Kunden mit „höchstem Schutzniveau“ bald nicht mehr in der Lage, autark zu entscheiden, ob sie bewusst ein Risiko in Kauf nehmen wollen, da die Hausbank oder der Anlageberater aus Angst vor Fehlern im Prozess gar keine strukturierten Alternativen mehr anbietet? War die Idee von MiFID nicht vielmehr, dass der Kunde auf Basis der Beratung bewusst und selbstständig entscheiden kann, ob und wie viel Risiko er bereit ist, einzugehen?

Anzeige

Ein unsicherer Berater ist ein schlechter Berater – Regulatorik als Mittel zum Zweck

Um Kunden auch weiterhin eine diversifizierte Produktpalette anbieten zu können und um Berater zu motivieren, strukturierte Produkte aktiv in ihre Anlageberatung einfließen zu lassen, sollten sich die regulatorischen Anforderungen an die Beratung nahtlos in den Vertriebsprozess integrieren – das schafft Sicherheit auf beiden Seiten: bei Beratern und beim Kunden. Die wichtigsten Eckpfeiler eines lückenloses Beratungsprozesses lassen sich dabei wie folgt zusammenfassen:

  • Produktstrategie: Definieren Sie vorab, welche Produkttypen für welche Anlageklassen Sie grundsätzlich an welche Kundengruppe vertreiben möchten, und schaffen Sie eine technische Infrastruktur, innerhalb derer die jeweiligen Produktmerkmale mit den Ergebnissen der MiFID-Beratung (z.B. Klassifizierung, Zielmarkt) in Einklang gebracht werden können.
  • Verfügbarkeit stets aktueller Produktinformationen: Stellen Sie sicher, dass Ihre Vertriebsspezialisten stets Zugang zu aktuellen Produktinformationen haben (sowohl Eigen- als auch Fremdprodukte). Beispiele hierfür sind (Auszug, variiert teilweise je nach Produkt und Jurisdiktion):
    • Aktuelles PRIIP KID
    • Informationen über Zielmarkt
    • Zusätzliche Produktinformationen wie z.B. Prospekte, Broschüren, Produktpräsentationen
  • Automatisierter Beratungsprozess: Setzen Sie einen Vertriebsprozess auf, der alle Anforderungen des MFID-Beratungsprozesses ganz natürlich integriert:
    • MiFID-Onboarding
    • Abfrage der Kenntnisse und Erfahrungen
    • Klassifizierung des Kunden
    • Abfrage der aktuellen Situation und Vermögensverhältnisse
    • Produktvorschläge unter Berücksichtigung der gewonnen Erkenntnisse und Erstellung einer Geeignetheitserklärung
    • Erstellung und Aushändigung eines Beratungsprotokolls
  • Dokumentation und Archivierung: Dokumentieren Sie die verschiedenen Beratungsschritte, lückenlos in Ihren Systemen und archivieren Sie die an Ihren Kunden ausgehändigten Dokumente entsprechend der regulatorischen Vorgaben.

Ex-ante und ex-post Kostentransparenz (KoTra) – eine zentrale Information im Rahmen des Beratungsprozesses für Kunden mit höchstem Schutzniveau gemäß MiFID

Die proaktive Information über die im Rahmen des Abschlusses anfallenden Kosten stellt ein zentrales Element einer ordnungsgemäßen MiFID-Beratung dar. Die Informationen sowie die Dokumente müssen dem Kunden erläutert und ausgehändigt werden. Der Aufbau des Dokuments ist an sich simpel, sodass die Vervollständigung dieses Beratungsschritts bei korrekter Eingabe der Produktparameter, selbstverständlich sein sollte.

Vor dem Investment in Anlage- und Versicherungsprodukte erhalten Privatanleger Ex-Ante Kosteninformationen, die alle anfallenden Kosten detailliert auflisten. Dazu gehören Einstiegs- und Ausstiegskosten, jährliche Gebühren sowie Dienstleistungskosten, Ausgabeaufschläge und Transaktionskosten. Die voraussichtlichen Produktkosten sind ebenfalls enthalten. Diese Informationen sollen Anlegern eine transparente Basis für ihre Finanzentscheidungen bieten.

Anzeige

Im Unterschied zu den Ex-Ante Kosteninformationen bieten die Ex-Post Kosteninformationen einen maßgeschneiderten Überblick über die tatsächlich im Anlagezeitraum angefallenen Kosten. Sie sind spezifisch auf den einzelnen Kunden und den entsprechenden Berichtszeitraum zugeschnitten, um die nach Geschäftsabschluss entstandenen Kosten klar und übersichtlich darzustellen. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf der Auflistung der Kosten, sondern auch auf der Darstellung, wie sich diese Gesamtkosten auf die erzielte Rendite ausgewirkt haben.

Selbst wenn ein Kunde nur eine einzige Kapitalanlage getätigt hat, können Unterschiede zwischen den beiden Dokumenten auftreten. Dies resultiert aus der Tatsache, dass die Ex-Ante Kosteninformationen einen Zeitraum von einem Jahr ab Abschlussdatum betrachtet, während die Ex-Post Kosteninformationen auf den Kalenderjahreszeitraum bezogen sind. Dadurch ergibt sich eine unterschiedliche zeitliche Referenz für die Kostenberechnung.

Lückenlose Beratung ohne Angst vor BaFin-Moniten

Eine Einhaltung des MiFID-Beratungsprozesses ist grundsätzlich möglich, ohne bei jedem Abschluss der Gefahr ausgeliefert zu sein, den Kunden nicht vollständig aufgeklärt zu haben. Institute sollten ihre Vertriebsspezialisten und Kundenbetreuer dabei unterstützen, regulatorische Anforderungen lückenlos in ihre Prozesse zu integrieren, indem sie eine sichere Umgebung und eine fachliche wie technologische Infrastruktur schaffen.

Anzeige

Insofern gilt: Lassen Sie sich auf einen Paradigmenwechsel ein und verstehen Sie die regulierten Prozesse vielmehr als Chance für Ihre Berater, sich in der Interaktion mit ihren Kunden aufs Wesentliche zu konzentrieren – eine inhaltlich wertvolle Beratung, innerhalb derer aktiv auf Wünsche und Fragen der Kunden eingegangen werden kann.

Seite 1/2/