Rentenreform: Wirtschaftsweise fordern Staatsfonds statt Herumdoktern an Riester
Eine Riester-Reform statt eines Staatsfonds: Das schlägt eine Expertenkommission der Bundesregierung vor, um das deutsche Rentensystem zu reformieren. Doch daran regt sich jetzt massive Kritik. Vier Wirtschaftsweise fordern stattdessen einen Staatsfonds nach dem Vorbild von Schweden: Und sie werfen der Expertengruppe der Regierung vor, dass ihre Reformvorschläge den Status Quo eher verschlechtern als verbessern würden.
- Rentenreform: Wirtschaftsweise fordern Staatsfonds statt Herumdoktern an Riester
- Schwedischer Staatsfonds "genießt breite Unterstützung der Bevölkerung"
- Opt-out-Verfahren soll mehr Menschen inkludieren
Es war für viele überraschend, als vor wenigen Tagen die sogenannte Fokusgruppe Private Altersvorsorge ihren Abschlussbericht vorgestellt hat. Vom Bundesfinanzministerium eingesetzt und unter Leitung des FDP-Politikers Florian Toncar, sollte sie Vorschläge für eine Reform der Altersvorsorge in Deutschland ausarbeiten. Doch viele Ideen, die lange Zeit debattiert wurden, fielen komplett unter den Tisch. Weder soll es ein Standardprodukt für die private Altersvorsorge geben noch einen Staatsfonds wie in Schweden - obwohl die FDP ein solches Modell noch im Wahlprogramm präferiert hatte. Stattdessen soll es viele kleine Korrekturen am bestehenden Riester-System geben, um die Produkte renditenstärker zu machen.
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Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die Bundesregierung an den Vorschlägen der Expertenkommission orientieren wird, wenn sie die Altersvorsorge auf neue Füße stellt. Doch sehr schnell regte sich auch Kritik an den Vorschlägen. Zunächst preschten die Verbraucherzentralen vor, die selbst mit am Tisch der Kommission saßen. Sie bemängelten „untragbare Empfehlungen“: und störten sich vor allem daran, dass weiter am kriselnden Riester-System herumgedoktert werden soll, ohne dass es ernsthafte Alternativen in Form eines Standardproduktes gibt. Doch sogar die Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) meldete scharfe Einwände an. Sie stört sich daran, dass die privaten Anbieter künftig keine lebenslange Rente mehr garantieren müssen, und spricht von „staatlich geförderter Altersarmut“. Ursprünglich war die Riester-Rente bewusst als Versicherungslösung konstruiert wurden: Ihr Grundgedanke war, genau diese lebenslange Rente zu garantieren.
Nun gesellen sich weitere prominente Stimmen zum Chor der Kritiker hinzu. In einem Gastbeitrag für die „ZEIT“ fordern die vier Wirtschaftsweisen Veronika Grimm, Ulrike Malmendier, Monika Schnitzer und Martin Werding einen Staatsfonds für Deutschland und ein entsprechendes Standardprodukt. Beides hatte die Kommission abgelehnt. Und sie kritisieren die Vorschläge der Kommission scharf. Diese würden die private Altersvorsorge eher unattraktiver machen als für Verbesserungen sorgen.
Kapitalgedeckte Säule in der Rente unabdingbar
Zunächst skizzieren auch die Wirtschaftsweisen die aktuelle Situation der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie gerate durch einen Alterungsschub finanziell unter Druck, denn die Babyboomer gehen in Rente: Diese Tendenz werde noch bis Anfang der 2030er Jahre andauern. Und weil die Geburtenzahlen gesunken sind, die Lebenserwartung aber steige, bleibe der Druck bis in die 2060er Jahre hoch. Nach geltendem Recht müssten die Beitragssätze in diesem Zeitraum ständig steigen, obwohl das Sicherungsniveau gesetzlicher Renten immer weiter abgesenkt würde. Mit anderen Worten: Die Renten sind niedrig, die Rentenbeiträge hoch.
In dieser Situation seien mehrere Stellschrauben denkbar, um der ungünstigen Perspektive entgegenzuwirken. Als Beispiele genannt werden eine höhere Erwerbsbeteiligung, zum Beispiel durch mehr Frauen in Vollzeitarbeit, eine längere Lebensarbeitszeit und Erwerbsmigration. All das reiche aber nicht aus, „um die demografisch bedingte Anspannung der Rentenfinanzen vollständig zu adressieren“, wie es im Text heißt. Das gesetzliche Umlageverfahren, bei dem das eingezahlte Geld sofort an die Rentnerinnen und Rentner ausgezahlt werde, müsse um eine kapitalgedeckte Säule ergänzt werden.
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Im Folgenden lassen die Wirtschaftsweisen keinen Zweifel, dass sie die Riester-Rente, 2001 eingeführt, eher für nicht geeignet halten, diesen Kapitalstock aufzubauen. Der Reformpfad sei „viel zu halbherzig und mit vielen Schwächen bei der Ausgestaltung“ eingeschlagen worden, bemängeln sie. Und weiter: „Wegen verfehlter Regulierungen sind die Renditen viel zu gering, zugleich verlangen die Anbieter teilweise enorm hohe Gebühren“. Es sei daher wenig verwunderlich, dass der Vertragsbestand seit 2016 kaum noch zunehme und sogar rückläufig sei.
Schwedischer Staatsfonds "genießt breite Unterstützung der Bevölkerung"
Wie aber soll das Rentensystem aus Sicht der Wirtschaftsweisen reformiert werden? Sie fordern einen anderen Weg, um den Kapitalstock aufzubauen: einen Staatsfonds nach Schwedischem Vorbild. In dem Staat sei ebenfalls 2001 die sogenannte Prämienrente eingeführt worden, und zwar erfolgreich, wie die Verfasserinnen und Verfasser hervorheben. „Sie genießt heute breite Unterstützung in der Bevölkerung und weltweite Anerkennung“, heißt es in dem ZEIT-Beitrag.
Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung werde zwar die Notwendigkeit umfassender Reformen anerkannt, argumentieren die Wirtschaftsweisen weiter. Unter anderem wurde dort eine Teilkapitaldeckung gesetzlicher Renten angekündigt, die mittlerweile als "Generationenkapital" firmiert. Auch seien Prüfaufträge erteilt worden, wie die private und betriebliche Altersvorsorge gestärkt werden könne. „Aber es fehlt eine strategische Gesamtschau, in der die Vor- und Nachteile jedes dieser Wege abgewogen werden und am Ende eine bevorzugte Option entwickelt wird“, kritisieren die Ökonomen.
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So sei auch die jetzige Ausgestaltung des Generationenkapitals unbefriedigend: also jenes Kapitalstocks, mit dem die Rente gestärkt werden soll. Werden jährlich, wie geplant, 10 Milliarden Euro auf Kreditbasis zur Verfügung gestellt, so würden sich selbst bei guter Anlagerendite aus den Erträgen nur die Rentenausgaben für sieben Tage decken lassen. Zudem bemängeln die Ökonomen, dass die Erträge nicht auf individuellen Rentenkonten gutgeschrieben werden, „was die Transparenz verringert und eine zweckgerichtete Verwendung nicht garantiert“.
Reformvorschläge ohne klare Perspektive?
Auch mit den Reformvorschlägen der „Fokusgruppe Private Altersvorsorge“ sind die Wirtschaftsweisen nicht einverstanden, wie sie anschließend deutlich machen. Der Abschlussbericht entwickle „keine klare Perspektive, welche Rolle die ergänzende Kapitaldeckung in Zukunft bei der Alterssicherung in Deutschland spielen kann“, heißt es. Stattdessen würden in erster Linie „sehr detailliert unterschiedliche Interessen“ dokumentiert, „die die in die Beratungen eingebundenen Akteure verfolgen“.
Hier wird indirekt der Vorwurf des Lobbyismus laut. Tatsächlich verwundert es, dass bei der Expertenkommission zum Beispiel die Versicherungswirtschaft, Arbeitgeber und Banken mit am Tisch saßen - aber weder Vertreter der Deutschen Rentenversicherung noch der Finanzaufsichtsbehörde Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Beide hatten nur Gastrecht, obwohl sie wesentliche Akteure im deutschen Altersvorsorge-System sind. Vor allem die BaFin hatte in den letzten Jahren wiederholt Reformen gefordert, um die Kosten bei kapitalbildenden Altersvorsorge-Produkten zu senken.
Die Fokusgruppe hat mehrere Reformvorschläge unterbreitet, wie die Renditen von Riester-Produkten erhöht werden können: am Riester-System will sie jedoch festhalten. So sollen die Anbieter keine 100-Prozent-Beitragsgarantie in der Ansparphase mehr garantieren müssen, auch soll ihnen erlaubt sein, den Sparenden keine lebenslange Rente mehr zusagen zu müssen. Beides würde dazu beitragen, dass die eingezahlten Beiträge renditenstärker angelegt werden können. Zugleich soll ein kostenfreies Online-Portal eingerichtet werden, auf denen die Verbraucherinnen und Verbraucher die Kosten von Riester-Produkten vergleichen können. Und ein neuer Name soll her, weil der Ruf von Riester, so deutet es die Kommission zumindest an, verbrannt ist.
Bei den Wirtschaftsweisen finden diese Vorschläge keinen Wohlgefallen. „Eine Umsetzung aller Einzelvorschläge, die im Bericht der Fokusgruppe aufgelistet werden, würde die Transparenz jedoch verringern, statt sie zu erhöhen“, so das vernichtende Urteil. Sie werten die angedachten Reformen folglich als Verschlimmbesserung.
Opt-out-Verfahren soll mehr Menschen inkludieren
Stattdessen schlagen die Wirtschaftsweisen einen Mechanismus vor, den die Expertengruppe der Bundesregierung explizit abgelehnt hatte. Alle Erwerbstätigen sollen automatisch an der privaten Altersvorsorge teilnehmen, wenn sie nicht widersprechen: das sogenannte Opt-out-Prinzip. Eine Opt-out-Lösung sei für die Verbreitung ergänzender Vorsorge „klar vorteilhaft“, argumentieren die Ökonomen und verweisen auf nicht genannte Studien der Verhaltensökonomie. „Die Möglichkeit des Opt-out sollte vor allem dafür sorgen, Freiräume für andere Formen der Altersvorsorge zu erhalten, etwa für eine gute betriebliche Absicherung oder den Erwerb selbst genutzten Wohneigentums“, heißt es.
Doch dafür brauche es ein einfach verständliches Standardprodukt, argumentieren die Wirtschaftsweisen weiter. Auch dies hatte die Expertenkommission der Bundesregierung abgelehnt. Dieses Standardprodukt solle ein Angebot schaffen für alle, die an der Altersvorsorge teilnehmen, „aber keine eigene Anlageentscheidung treffen“. Diese Rolle sollte nicht ohne Weiteres an einen privaten Anbieter delegiert werden. Um eine angemessen hohe Rendite zu erzielen, empfehlen die Experten ein breit aufgestelltes Portfolio mit hohem Aktienanteil, das zum Renteneintritt hin seinen Aktienbestand reduzieren kann, damit der Ertrag beim Übergang in die Altersrente nicht starken Marktschwankungen ausgesetzt ist.
Die Expertenkommission hatte aus Sicht der Arbeitgeber und der Versicherer argumentiert, dass ein Staatsfonds einen Eingriff in den privaten Wettbewerb bedeute, unter Umständen sogar gegen EU-Recht verstoße, wenn diesem Fonds Vorteile gewehrt würden: etwa in Form staatlicher Garantien, auf die private Wettbewerber nicht zurückgreifen können. Dieses Argument kehren die Wirtschaftsweisen nun um. Gerade ein staatlich verwalteter Fonds wie der schwedische AP7 Såfa oder der britische National Employment Savings Trust führe zu höherem Kostensenkungsdruck auch bei privaten Anbietern, da sie sich im Wettbewerb mit dem Staatsfonds behaupten müssen. Auch würden die Privatunternehmen gezwungen, transparentere Produkte anzubieten, um sich im Wettbewerb zu behaupten.
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Denn private Anbieter sollen vom Wettbewerb keineswegs ausgeschlossen werden. In Schweden können die Sparenden nicht nur den Staatsfonds wählen, wenn sie privat vorsorgen: sondern ebenfalls aus 800 weiteren Produkten privater Altersvorsorge-Anbieter. Wichtig sei es, die staatliche Förderung aufrecht zu erhalten, um vor allem auch Geringverdiener beim Aufbau einer Altersvorsorge zu unterstützen.
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