Für unsere Branche spielen die Solvency II-Quoten seit ihrer Einführung 2016 eine besondere Rolle. Denn sie vermitteln einen guten Eindruck von der Finanzstärke eines Versicherers und zeigen auf einen Blick, wie solide er aufgestellt ist: Wie gut ist er in der Lage, seine Garantiezusagen zu erfüllen? Wie ist es um das Risiko seiner Kapitalanlage bestellt? Wie robust steht er in Stresssituationen da?

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Dr. Rainer Reitzler, CEO der Münchener Verein Versicherungsgruppe© Alexander von Spreti

Eine wesentliche Kenngröße innerhalb der Solvency II-Welt sind die Kapitalanforderungen. Versicherer müssen über so viel Kapital verfügen, dass sie selbst Negativereignisse verkraften können, die, statistisch betrachtet, nur einmal in 200 Jahren auftreten. Wie hoch die Kapitalanforderung (das sog. SCR, Solvency Capital Requirement) ist, hängt von den Verpflichtungen und Risiken ab, die ein Versicherer mit seinem Geschäftsmodell eingeht. Das SCR wird über komplexe mathematische Modellrechnungen ermittelt, die alle für das Unternehmen relevanten Risikoszenarien berücksichtigen. Die aufsichtsrechtliche Anforderung ist, dass die Eigenmittel mindestens so hoch wie die Kapitalanforderung sein sollen.

Die eigentliche Bedeckungsquote zeigt das Verhältnis der marktwertbasierten Kapitalausstattung (Eigenmittel) des Versicherers zum risikobasierten Kapitalbedarf (SCR). Sind die vorhandenen Eigenmittel höher als das SCR, ist die Bedeckungsquote größer als 100 %. Diese Versicherer verfügen dann über ausreichende Kapitalreserven für Negativszenarien, die statistisch einmal in 200 Jahren eintreten. Liegt die Bedeckungsquote unter 100 %, sind weniger Eigenmittel verfügbar, als die Kapitalanforderung verlangt. In diesen Fällen kann die Aufsichtsbehörde Gegenmaßnahmen verlangen, z. B. mithilfe einer Erhöhung der Eigenmittel oder einer Veränderung des Risikoprofils.

Eine hohe Bedeckungsquote ist ein Indikator für eine starke Kapitalausstattung. Das Sicherheitsniveau eines Versicherers ist jedoch nicht allein von der Bedeckungsquote, sondern auch von anderen Größen abhängig, wie z. B. der Geschäftsstrategie oder Gruppenzugehörigkeit. Bedeckungsquoten können aufgrund von Veränderungen des Zinsniveaus stärkeren Schwankungen ausgesetzt sein. Eine alleinige Betrachtung zu einem Stichtag ist daher nicht ausreichend. Zudem sind Bedeckungsquoten unterschiedlicher Versicherer nicht direkt vergleichbar, da das zugrundeliegende Modell abweichen kann.

Manche Versicherer lassen sich ihre Finanzstärke auch von internationalen Ratingagenturen attestieren. Dazu gehören in erster Linie Standard & Poor’s, Fitch oder Moody’s & Co. Fitch bietet z. B. seit Jahren das Finanzstärkerating für Versicherer an (Insurer Financial Strength). Wer mit dem berühmten „Triple A“ bewertet wird, kann sich glücklich schätzen, die drei Buchstaben zeigen höchste Bonität. Wer ein „D“ erhält, ist „in default“, also zahlungsunfähig.

Unabhängige Gesellschaften wie das Institut für Vorsorge und Finanzplanung erstellen Bewertungsratings auf Basis der öffentlich zugänglichen Quellen. Im Fokus stehen hier die Qualitätsbereiche Stabilität, Sicherheit, Ertragskraft und Markterfolg. Das Institut vergibt die Gesamtnoten „Exzellent“ und „Sehr gut“. Markante Bewertungen, die für Kunden hilfreich sind, zeigt auch das DFSI-Qualitätsrating. Insbesondere die Kategorie „finanzielle Substanzkraft“, die aus der Gewinndeklaration, der Nettorendite und der Substanzkraftquote ermittelt wird, spiegelt die Finanzstärke wider. Die Substanzkraftquote wird dabei aus der freien RfB- und Eigenkapitalquote, Bewertungsreserven sowie der Deckungsrückstellung berechnet.

In den ersten Jahren der Solvency II-Ära wurde insbesondere einigen Lebensversicherern unverblümt die Pleite prognostiziert und weitere Run-offs prophezeit. Wer eine Bedeckungsquote von unter 100 % ohne Übergangsmaßnahmen hatte, wurde zur Zielscheibe. Dabei war bekannt, dass viele Lebensversicherer zahlreiche Verträge mit hohen Garantiezinsen im Bestand hatten. Gerade für die Verträge mit hohen Garantiezinsen mussten in Zeiten des Niedrigzinsumfeldes hohe Rückstellungen unter Solvency II gebildet werden, was die Eigenmittel belastete. Alle europäischen Versicherer konnten Übergangsmaßnahmen nutzen. Etwa 70 % der deutschen Lebensversicherer haben den Ansatz einer Übergangsmaßnahme beantragt und von der BaFin eine Genehmigung hierfür erhalten. So auch der Münchener Verein.

Mit Übergangsmaßnahmen (16 Jahre) kam die Münchener Verein Lebensversicherung AG mit Stand 31.12.2016 auf eine SII-Quote von 321 %. Mit Stand 31.12.2022 haben wir eine Bedeckungsquote von 1.184 % erreicht. Wie kam es zu dieser deutlichen Steigerung?

Wir haben eine Reihe von Maßnahmen ergriffen: In der Lebensversicherung haben wir die Eigenkapitalbasis gestärkt, dafür mit einer Änderung der rechtlichen Struktur der Gruppe die Voraussetzungen geschaffen, die Rückversicherungsstruktur optimiert, die Steuerung der Kapitalanlagen angepasst und im Neugeschäft den Schwerpunkt auf kapitalmarktorientierte und biometrische Produkte gelegt. Zugute kommt uns auch die Rechtsform unserer Unternehmensgruppe: Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit haben keine fremden Eigentümer, die Ansprüche auf den erzielten Gewinn haben. So verbleiben erwirtschaftete Überschüsse im Unternehmen oder kommen den Versicherungsnehmern als Vereinsmitgliedern zugute. Dadurch können systematisch ausreichende Sicherheitsmittel aufgebaut werden. Zudem haben alle Sparten in unserer Gruppe eine hohe Wertigkeit, die finanzielle Stabilität aller unserer Gesellschaften steht im Fokus unserer Geschäftspolitik.

Der deutliche Anstieg der S II-Quoten auch anderer Lebensversicherer ist insbesondere auf den Anstieg der Kapitalmarktzinsen der letzten zwölf Monate zurückzuführen. Der Ratingagentur Assekurata zufolge lag die aufsichtliche SII-Quote im Durchschnitt bei 536 %. Nur noch drei Lebensversicherer seien mit ihrer SII-Quote ohne Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassung nicht über die Marke von 100 % hinausgekommen. Sollte die EZB ihre Zinswende beibehalten, werden sich auch die SII-Quoten der Lebensversicherer weiterhin auf hohem Niveau bewegen.

Die Gesellschaften des Münchener Verein weisen seit Jahren SII-Quoten auf, die im Marktvergleich weit vorne liegen.

Die SII-Quote ist ein wichtiger Gradmesser für die finanzielle Stabilität. Ein weiterer ist die regelmäßige Stärkung der Gewinnrücklagen und damit eine gute Eigenkapitalquote. Hohe SII-Quoten können unterschiedliche Gründe haben, nicht nur alleine der Zinsanstieg ist ausschlaggebend. In erster Linie weisen sie auf eine hohe Risikoresistenz hin.

Im Fazit sind wir jetzt stärker als je zuvor. Ein profitables Wachstum in unseren Sparten sorgt dafür, dass unsere aktuelle Finanzstärke auch in der Zukunft erhalten bleibt.

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