Freie Handelsvertreter sind in Deutschland typischerweise nach Paragraf 84 des Handelsgesetzbuchs selbstständig tätig. Das heißt, der Handelsvertreter ist ein selbständig agierender Unternehmer, er erhält kein festes Gehalt, und für ihn werden keine Sozialabgaben fällig. Das bedeutet bekanntlich, dass der freie Handelsvertreter nicht der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung unterliegt. Vielmehr arbeitet er auf Rechnung und ist für seine Absicherung selbst verantwortlich. Das ist für viele freie Handelsvertreter ein wichtiger Punkt: Sie sind privat krankenversichert und können ihre Altersvorsorge nach eigenen Vorstellungen gestalten.

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Das Problem: Es besteht das Risiko, dass freie Mitarbeiter beziehungsweise Handelsvertreter als Scheinselbständige gewertet werden. Das belegt aktuell ein Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Urteil vom 8. März 2021, Aktenzeichen: S 18 BA 93/18). Scheinselbständigkeit ist ein Begriff, der sich auf eine bestimmte Form der Beschäftigung bezieht, bei der eine Person formal als selbständig eingestuft wird, obwohl sie in Wirklichkeit eher wie ein Arbeitnehmer tätig ist.

Persönliche Abhängigkeit von einem Auftraggeber als Merkmal der Scheinselbständigkeit

In Deutschland gibt es klare Kriterien, um festzustellen, ob eine Person tatsächlich selbständig ist oder ob es sich um Scheinselbständigkeit handelt. Dazu gehören Merkmale wie die persönliche Abhängigkeit von einem Auftraggeber, das Fehlen eigener unternehmerischer Initiative, das Tragen eines unternehmerischen Risikos und die Integration in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers. Wenn diese Kriterien erfüllt sind, kann eine Beschäftigung als Scheinselbständigkeit eingestuft werden.

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Die Unterscheidung zwischen Scheinselbständigkeit und abhängiger Beschäftigung hat rechtliche und soziale Konsequenzen. Bei einer abhängigen Beschäftigung haben Arbeitnehmer Anspruch auf verschiedene Sozialleistungen und Arbeitsrechte, wie zum Beispiel den gesetzlichen Mindestlohn, bezahlten Urlaub, Krankenversicherung und Rentenversicherung. Wenn jedoch eine Scheinselbständigkeit vorliegt, werden diese Rechte möglicherweise nicht gewährleistet, da die Person formal als selbständig gilt.

Handelsvertreter im Finanzvertrieb zum Arbeitnehmer qualifiziert

Gegenstand des Verfahrens vor dem Sozialgericht Frankfurt war die Klage einer Bank gegen einen Bescheid der Sozialversicherung. In diesem wurde ein Handelsvertreter im Finanzvertrieb zum Arbeitnehmer qualifiziert. Die Sozialversicherung sah daher eine Versicherungspflicht des Handelsvertreters in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung. Das Sozialgericht Frankfurt hat die Ansprüche der Sozialversicherung bestätigt. Das Argument: Der Handelsvertreter habe seine Tätigkeit lediglich scheinbar selbstständig ausgeübt. Tatsächlich habe er aber in Abhängigkeit zu der Klägerin gearbeitet. Somit sei er ein versicherungspflichtiger Beschäftigter gewesen.

Unter anderem war der frühere Handelsvertreter laut Urteil des Sozialgerichts verpflichtet, der Bank über seine Vertriebsaktivitäten Bericht zu erstatten. Er leitete Kundenanträge an die für die Bearbeitung zuständige Stelle der Bank weiter und verpflichtete sich, im Rahmen seiner Tätigkeit gegenüber Interessenten und Kunden ausschließlich solche Briefbögen, Visitenkarten oder Begleitzettel zu verwenden, die ihm die Bank oder die Vertriebsgesellschaft zur Verfügung stellten. Es war dem Handelsvertreter ebenso untersagt, für seine nach diesem Vertrag ausgeübte Tätigkeit eine Vergütung und/oder Sachleistung vom Kunden zu verlangen oder anzunehmen beziehungsweise eine solche zu gewähren. Das Problem: Das sind arbeitnehmerähnliche Eigenschaften und Bedingungen, die die Begründung der selbstständigen Stellung des Handelsvertreters nach dem Handelsgesetzbuch in der Tat schwierig machen.

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In arbeitnehmerähnlichen Konstellationen lauern große Risiken

Als Indiz gegen eine Selbständigkeit des Handelsvertreters hat das Gericht ein von der Bank eingerichtetes und gefördertes System herangezogen, welches es dieser ermöglichte, durch hierarchische Strukturen mittelbar Weisungen an die Vermittler zu erteilen, die die Geschäftsentwicklung bis hin zu einzelnen Produkten betrafen. Die Vermittler seien in die von der Bank geschaffene Struktur aus Bezirksleitern, Regionalleitern und Agenturleitern „eingegliedert“ gewesen.

In solchen und anderen arbeitnehmerähnlichen Konstellationen lauern große Risiken. Der Handelsvertreter kann in der Folge seine rechtliche Selbstständigkeit verlieren und als herkömmlicher Arbeitnehmer im Vertrieb der Sozialversicherungspflicht etc. unterliegen. Unternehmen wiederum haben das Risiko der Nachzahlung der Beiträge für die Sozialversicherung. Handelsvertreter und deren Gesellschaften sind also dringend aufgerufen, saubere Vereinbarungen zu treffen, sodass alle Zweifel an der selbstständigen Tätigkeit des freien Handelsvertreters beseitigt werden. Handelsvertreter sollten sich insgesamt als Unternehmer verstehen und ihre Strukturen dementsprechend auch so unabhängig wie möglich einrichten. Das gilt auch für alle Verbindungen zur Gesellschaft.

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