Karl Lauterbach drängt auf höheren Steuerzuschuss
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) drängt in einem Interview mit der Rheinischen Post auf einen höheren Steuerzuschuss für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung. Auch im kommenden Jahr rechne er damit, dass die Beiträge zur Krankenkasse weiter steigen müssen. Er drängt auf eine schnellere Digitalisierung: Deutschland sei in dieser Hinsicht ein Entwicklungsland.
In der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung klafft ein Milliardenloch. Wurde für das laufende Jahr ein Fehlbetrag von 17 Milliarden Euro erwartet, so geht der GKV-Spitzenverband für das Jahr 2024 von einer Lücke von 3,5 bis 7 Milliarden Euro aus. In einem aktuellen Interview mit der Rheinischen Post (Mittwoch) drängt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) deshalb auf höhere Steuerzuschüsse für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung.
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“Der Beitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung wird auch im nächsten Jahr wie bereits angekündigt erneut moderat steigen müssen“, sagte Lauterbach dem Blatt. „Aber wir werden an der Beitragsschraube nicht mehr oft drehen können. Mittelfristig muss der Steuerzuschuss für die Kranken- und Pflegeversicherung erhöht werden“.
Derzeit gebe es die Möglichkeit nicht, mehr Steuern in das Kranken- und Pflegesystem zu stecken, weil Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die Schuldenbremse einhalten wolle, positioniert sich Lauterbach weiter. „Dafür habe ich volles Verständnis. Das ist der Rahmen, in dem ich arbeite. Umgekehrt erwarte ich aber auch vom Finanzminister, dass er mich meine Arbeit machen lässt“, so der 60jährige. Bereits im Juni hatte Lauterbach angekündigt, dass der Zusatzbeitrag zur Krankenkasse auch 2024 "erneut leicht steigen müsse".
Auf die steigenden Kosten im Gesundheitssystem will Lauterbach unter anderem mit einer Krankenhausreform reagieren. Statt Fallpauschalen, die sich an der Zahl der Behandlungen orientieren, sollen Kliniken künftig mit Vorhaltepauschalen vergütet werden: also dafür, dass sie bestimmte Behandlungen anbieten. Hiervon verspricht sich der Minister, dass die Zahl unnötiger Operationen reduziert werden kann. Auch sollen kleine Kliniken nicht mehr jede Operation anbieten müssen, um finanziell über die Runden zu kommen, sondern bestimmte Eingriffe spezialisierten Häusern überlassen. Die Planungshoheit haben hierfür aber die Bundesländer: und diese stellen sich aktuell quer. Die Länder fordern zusätzliche finanzielle Mittel des Bundes für den Klinikumbau sowie Soforthilfen für angeschlagene Häuser.
Das Interview macht nun indirekt deutlich, dass Lauterbach auch diese Maßnahmen zunächst nicht für ausreichend hält, um die Kosten im gesetzlichen System zu senken: schließlich drängt er auf eine „mittelfristige“ Erhöhung der Bundeszuschüsse. Leistungen für Kassenpatienten zu streichen, lehnt Lauterbach ab.
Digitalisierung: „Deutschland ist Entwicklungsland“
Ein weiterer Hebel, um an der Kostenschraube zu drehen, ist die Digitalisierung. Im Juni hat Karl Lauterbach einen Referentenentwurf für das Langzeitprojekt elektronische Patientenakte (ePA) vorgelegt. Ab Januar 2025 sollen gesetzlich Versicherte ihre Gesundheitsdaten digital speichern können. Bereits seit 2004 arbeitet die Politik daran, dass den Patientinnen und Patienten wichtige Daten ihrer Krankenakte in digitaler Form zur Verfügung stehen: Die Patientenakte wurde so ein Sinnbild für die schleppende und mangelhafte Digitalisierung in Deutschland. Darüber hinaus sollen auch Rezepte künftig digital ausgestellt und in den Apotheken eingelöst werden.
Im Interview wird Karl Lauterbach nun gefragt, was der Patient vom E-Rezept habe. „Sichere Verordnungen, weniger Zettelwirtschaft, mehr Komfort“, antwortet der Minister. Und weiter: „Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber Deutschland ist bei der Digitalisierung, auch im Gesundheitssektor, ein Entwicklungsland…“. Das sei für die viertstärkste Volkswirtschaft der Welt wirklich keine Visitenkarte. „Wir reden viel und machen wenig. Wenn wir so weitermachen, werden wir abgehängt. 2003 habe ich im Beraterkreis der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt die elektronische Patientenkarte mit entwickelt. Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass 20 Jahre später kaum etwas umgesetzt ist“, so Lauterbach.
Ab 2025 erhalte jeder Patient automatisch die elektronische Patientenakte von seiner Krankenkasse, sofern er nicht explizit widerspreche, kündigt Lauterbach an. Denn wer heute zum Arzt gehe, dem fehlten in seiner Akte oft alte Laborwerte, Informationen zu verordneten Medikamenten oder alte Befunde. Auch Laborbefunde und MRT sollen in der Akte gespeichert werden können. „Späte Befunde per Fax oder Post braucht man dann nicht mehr. Oft muss der Patient heute um Kopien bitten, damit er überhaupt Befunde hat. Dabei gehören die Befunde dem Patienten“, so wirbt Lauterbach für das Projekt.
Dass auch dieses Digitalisierungsprojekt seine Tücken hat, zeigen jedoch die Details. Beispiel alte Patientendaten: Diese werden keineswegs einfach in die elektronische Patientenakte übernommen. Stattdessen sollen über zwei Jahre hinweg maximal bis zu zehn Dokumente digitalisiert werden können. Der Haken: Die Dokumente müssen hierfür mit den Papierdokumenten die Geschäftsstelle ihrer Krankenkasse aufsuchen oder die Dokumente per Post schicken. Und oft müssen die Versicherten erst zum behandelnden Arzt oder in die Klinik gehen, damit sie diese Dokumente in Papierform ausgehändigt bekommen.
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Zudem soll das E-Rezept per Gesundheitskarte ab 2024 zur Pflicht werden. Praxen sollen dann in einer Datenbank hinterlegen, welches Medikament ein Patient benötigt: Diese Daten sollen mithilfe einer Gesundheitskarte von den Apotheken abgerufen werden können. Doch auch hier hakt es. Kassenärztliche Vereinigungen berichten, dass es bei der Software Probleme gebe und es umständlich und zeitaufwendig sei, das Rezept digital zu signieren. Auch gebe es mitunter Verbindungsprobleme beim Anschluss ans Gesundheitsnetz sowie beim Auslesen der aufgedruckten Texte der Medikamente, die mitunter nicht mit den -bei der Gematik hinterlegten- Angaben abgestimmt seien. So dauere es mitunter länger, ein E-Rezept zu nutzen, als wenn das Medikament einfach mit den rosa Rezeptblättern eingelöst werde.