Digitalisierung: „Ständig deutlich machen, für wen oder was wir etwas tun“
Solveig Schulze ist Leiterin Digitalisierung und Datenmanagement bei der Gothaer und Geschäftsführerin bei der Gothaer Digital GmbH. Beim Versicherungsbote gibt sie Einblick in die Themen und Herausforderungen der digitalen Transformation.
- Digitalisierung: „Ständig deutlich machen, für wen oder was wir etwas tun“
- „Wir können nicht wie Start Ups auf der grünen Wiese Dinge ausprobieren“
Versicherungsbote: Frau Schulze, Sie waren im Lufthansa Transformation Hub tätig und haben Signals mit aufgebaut. Inwieweit helfen Ihnen diese Erfahrungen nun als Head of Digitalisation bei der Gothaer?
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Solveig Schulze: Egal in welcher dieser Rollen, ich verstehe mich als Brückenbauerin zwischen dem Altem und dem Neuen, zwischen der Corporate Welt und der Welt der Start-ups, zwischen funktionierenden Prozessen und digitalen Touchpoints. Daher helfen alle diese Erfahrungen, mehr Expertise zu erlangen, diese Dinge effizient und kundenzentriert auf den Weg zu bringen und greifbar zu machen. Auch wenn es unterschiedliche Branchen sind – die Herausforderungen und Chancen, die wir durch Digitalisierung erleben, sind sehr gut vergleichbar.
Digitalisierung ist ein ständiger Prozess, der laufende Anpassung erfordert. Wie kann es Unternehmen gelingen, eine eigene „Transformations-Kultur“ zu etablieren?
Die Antwort liegt schon in Ihrer Frage: laufende Anpassungen setzen agiles Denken und Handeln voraus. Das nachhaltig in einem Unternehmen zu etablieren, bedeutet ständig deutlich zu machen, für wen oder was wir etwas tun. Meiner Meinung nach ist es von immenser Bedeutung, die Gründe von Veränderungen fortwährend zu erläutern, Erfolge zu zelebrieren und Benefits aufzuzeigen – sowohl für die Kundinnen und Kunden, als auch die eigenen Mitarbeitenden.
Veränderungen und auch Digitalisierung werden nicht immer positiv aufgenommen. Daher liegt es an uns, die positiven Auswirkungen in den Vordergrund zu stellen und somit ein intrinsisches Interesse zu kreieren.
Wie ändert das die Rolle von Führungskräften?
Für mich sollte die Führungskraft den Rahmen setzen, in dem die Teams ihre Fähigkeiten und Ideen umsetzen können. Zudem gilt es immer wieder, die einzelnen Themen ins große Ganze einzusortieren – und somit auch aufzuzeigen, welche Wirkung die einzelnen Puzzleteile auf das große Ganze haben. Das „Why“ immer neu zu beantworten, sollte ein wichtiges Ziel für jede Führungskraft sein.
Was haben Sie zuallererst bei der Gothaer neu angestoßen und warum?
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Sehr unterschiedliche Dinge in den unterschiedlichen Teams. Grundsätzlich verfolge ich aber in allen Bereichen ein transparentes Entwickeln von Zielbildern, das auf die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden abzielt, um dann konkrete Lösungen umzusetzen – wie zum Beispiel Chatbots in der Telefonie, Geo-Daten-Modelle im Bereich Schaden oder auch Kooperationen mit Start-ups, um neue digitale Touchpoints zu kreieren.
„Wir können nicht wie Start Ups auf der grünen Wiese Dinge ausprobieren“
Innovation und Digitalisierung gehen gern mit der hemdsärmeligen Attitüde des „Einfach mal ausprobieren“ einher. Geht das überhaupt in einem Unternehmen wie der Gothaer? Wo stoßen Sie auf Widerstand?
In der Tat können wir nicht wie Start-ups auf der grünen Wiese Dinge ausprobieren. Daher ist es umso wichtiger, sichere Räume zum Experimentieren zu schaffen, um technologisch mitzugehen, aber gleichzeitig unsere Daten und besonders die unserer Kundinnen und Kunden zu schützen.
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Die Gothaer bietet immer noch Fax-Nummern zur Schadenmeldung und Kontaktaufnahme. Warum? Wann ändert sich das?
Wir arbeiten kontinuierlich daran, unsere Prozesse und Kundenanliegen zu digitalisieren und automatisieren. Hierbei gehen wir nach Relevanz für unsere Kundinnen und Kunden vor. Das Thema Fax spielt hier keine sehr große Rolle, daher steht es auf der Liste etwas weiter hinten. Zudem erhalten wir noch immer einige Faxe, obwohl andere Kommunikationswege zur Verfügung stehen. Auch aus diesem Grunde bieten wir diesen Kanal noch an.
Wie setzt die Gothaer derzeit Künstliche Intelligenz ein?
Die Gothaer setzt auf Künstliche Intelligenz als zentralen Bestandteil ihrer Geschäftstätigkeit. Dabei kommt KI entlang der gesamten Value Chain zum Einsatz: Beispielsweise werden in der Produktentwicklung regionale Informationen KI-gestützt gewonnen oder im Bereich Marketing und Vertrieb Abwanderungsprognosen erstellt. Auch in der Bestandsverwaltung wird KI eingesetzt, um eingehende Schriftstücke und die Anliegen unserer Kundinnen und Kunden zu klassifizieren und zu verarbeiten. Zusätzlich gibt es eine Plattform mit intelligenten Voice Bots, die telefonische Anliegen von Kundinnen und Kunden bearbeiten.
Welche digitalen Trends dürfen Versicherer und Vermittler aus Ihrer Sicht auf keinen Fall verschlafen?
Auch wenn der mediale Hype um große Sprachmodelle wie ChatGPT etwas abzuebben scheint, müssen sowohl Versicherer als auch Vermittler weiter am Ball bleiben. Wir sind überzeugt, dass generative KI erst am Anfang steht und großes Transformationspotenzial birgt. Als neuer digitaler Megatrend wird generative KI einen großen Teil des Versicherungsgeschäfts erfassen.
Momentan beobachten wir beispielsweise ein großes Interesse an GPT-basierten Informationssystemen, mit denen Chatbots Dokumente durchsuchen, Antworten aus den gefundenen Informationen erstellen und an die Nutzer*innen zurückgeben können. Ein solcher Bot wäre beispielsweise sinnvoll einsetzbar in der Bearbeitung von Kund*innenanfragen oder im internen Wissensmanagement. Da den genauen zukünftigen Anwendungsfällen und den entsprechenden Auswirkungen eine gewisse Unschärfe innewohnt, ist ein kritisch-reflektierter, aber dennoch proaktiver und mutiger Umgang mit diesem Trend nötig.
Hier ist es aus meiner Sicht wichtig, zu überlegen, wofür die Erreichbarkeit hilfreich ist und wo sie zu Stresssituationen für die Kolleginnen und Kollegen führt. Stetige Kommunikation und Ausprobieren von unterschiedlichen Modellen sind aus meiner Erfahrung hilfreich. Auch New Work ist immer im Wandel; und jedes Team muss seinen Umgang damit definieren.
Gönnen Sie sich ab und zu „digital detox“?
Bislang nicht, aber vielleicht wird das ja im nächsten Jahr mein Neujahrsvorsatz ;).
Sollten Unternehmen auch diesbezüglich Angebote für ihre Mitarbeitenden machen?
Um beim täglichen Arbeiten verbunden zu sein, müssen wir digital „on“ sein. Als Unternehmen ist es aber wichtig zu vermitteln, dass außerhalb der Arbeitszeit „on sein“ für jeden etwas Unterschiedliches bedeuten kann und digitale Erreichbarkeit nicht dazu gehören muss.
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Hintergrund: Der Text erschien zuerst im neuen kostenfreien Versicherungsbote Fachmagazin 02-2023. Das Magazin kann auf der Webseite beim Versicherungsbote bestellt werden.
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- „Wir können nicht wie Start Ups auf der grünen Wiese Dinge ausprobieren“