Gräfer-Kolumne: Was ist ein Leben wert?
Die finanzielle Absicherung des eigenen Lebens oder der Arbeitskraft steht bei vielen Bundesbürgern nicht ganz oben auf der Beliebtheitsskala. Das kann auch an der Versicherungswirtschaft und ihren oft recht starren Produkten liegen. Versicherer sollten sich vom Modell der passiven Absicherung lösen und diese zu aktiver Existenzermöglichung denken, erklärt Martin Gräfer, Vorstand der Versicherungsgruppe die Bayerische.
- Gräfer-Kolumne: Was ist ein Leben wert?
- Die Aufgabe der Versicherer: Existenz neu denken!
Selten stellen sich Philosophen und Versicherer die gleichen Fragen. Das ist auch gut so, denn Versicherungen sind ein praktisches Geschäft und müssen handeln, wo Philosophen oft nachdenken und abwägen. Doch eine Frage verbindet die Geisteswissenschaft und unser Geschäft: die Frage nach dem Wert des Lebens. Die Suche nach der richtigen Antwort kann komplex sein. Mein Vorschlag: Lassen Sie uns einfacher denken!
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Kompensatorische Lohndifferenziale. Kaum ein Begriff ist deutscher als dieser. Was beschreibt dieses Wortungetüm? Stark vereinfacht ausgedrückt, handelt es sich um einen Richtwert, mit dem bestimmt wird, was ein Menschenleben wert ist. Grundlage ist der Verdienst eines Arbeitnehmers und wie viel dieser Mensch mehr verdienen muss, um ein höheres Risiko im (Arbeits-)Leben einzugehen. Nach Berechnungen des Mainzer Ökonomen Hannes Spengler liegt dieser Wert für einen männlichen Erwerbstätigen in Deutschland bei 1,65 Millionen Euro. Für eine Frau mit gleichem Beschäftigungsgrad sind es knapp 200.000 Euro weniger.
Der Wert eines Lebens – nur eine Zahl?
Aber ist das die Antwort? Würden Sie auf die Frage, was Ihr Leben wert ist, mit 1,65 Millionen Euro antworten? Ich glaube nicht. Ich hoffe nicht.
Ein Menschenleben ist komplexer als die kompensatorische Lohndifferenziale. Es besteht aus wichtigen Verbindungen und damit auch aus Abhängigkeiten. Ein Leben ist geprägt von den Erfahrungen, die wir gemacht haben. Und unser Antrieb sind oft unsere Ziele und Träume, die wir im Laufe unseres Lebens noch verwirklichen wollen. All diese Aspekte spielen meines Erachtens eine wichtige Rolle bei der Berechnung eines Lebens.
Denn wenn wir aus unserem Lebenszusammenhang herausgerissen werden, sei es durch äußere Einflüsse, durch einen Unfall oder gar durch den Tod, gerät ein vielschichtiges Gefüge ins Wanken. Dieses wieder zur Ruhe zu bringen, die entstandenen Lücken zu schließen oder besser zu heilen, ist eine viel kompliziertere und menschlich schwierigere Rechnung als eine Lohndifferenziale.
Dennoch: Berechnung muss sein
Und plötzlich sind wir mitten in einer philosophischen Diskussion. Denn nach Kant hat jeder Mensch eine unveräußerliche Würde, einen unbezahlbaren Wert. Dieser Grundansatz seiner Pflichtenethik ist wichtig, um zum Beispiel Fragen diskutieren zu können, mit denen der Erfolgsautor Ferdinand von Schirach oft spielt: Welches Leben darf ich opfern, um andere Leben zu retten?
Fragen wie diese kann und will ich hier nicht zu Ende diskutieren. Denn für mich als jemand, der sein Leben lang in der Versicherungsbranche gearbeitet hat, ist eines ganz klar: Ja, ein Menschenleben hat für uns irgendwann einen bezifferbaren Wert.
Nehmen wir ein unschönes, aber alltägliches Beispiel aus der Krankenversicherung: Viele Ärzte sehen heute davon ab, einem 85-Jährigen ein neues Hüftgelenk einzusetzen. Die Kosten, die die Solidargemeinschaft zu tragen hat, stehen in keinem Verhältnis mehr zum Mehrwert, den diese Person durch die Verbesserung ihres Alltags hat. Hat das Leben dieses Menschen nicht einen klaren Wert bekommen?
Wer in irgendeiner Form mit Leistungen für Menschen zu tun hat, muss sich früher oder später mit einem quantifizierbaren Lebenswert auseinandersetzen. Sei es, wie in diesem Beispiel, im Gesundheitswesen, bei Sozialleistungen oder beim Bürgergeld oder eben auch bei Lebens- und vor allem Unfallversicherungen. Das ist unser tägliches Geschäft.
Unfallversicherungen: Wie versichern wir Träume?
Wir in der Versicherungswirtschaft haben mit Menschen zu tun. Oft stehen wir in einem persönlichen Konflikt zwischen den Grenzen des Leistbaren und den schweren Schicksalen, mit denen wir konfrontiert werden. Wir sind da, um Menschen zu trösten, wenn sie einen materiellen Schaden erlitten haben. Um in besonderen Fällen unkompliziert zu helfen, Existenzen wieder aufzubauen. Um einen kleinen Teil des materiellen und vor allem seelischen Verlustes aufzufangen.
Gerade im Unfallbereich sind wir aber oft mit viel gravierenderen Schäden konfrontiert. Menschen, die einen schweren Unfall erleiden, verlieren nicht nur ein Auto, einen Teil ihres Hausrates oder im schlimmsten Fall ein sicheres Dach über dem Kopf. Allzu oft geht auch ein Traum verloren. Das, was sie antreibt.
Ich erzähle oft die Geschichte eines Schreibens, das uns vor einiger Zeit erreichte: Eine junge Frau, gerade 19 Jahre alt, schilderte uns darin von ihrem Schicksal. Sie hatte bei einem schweren Unfall einen Genickbruch erlitten. Die Folgekosten einer teuren Behandlung konnte sie nicht selbst tragen. Durch den Unfall war sie auf Sozialhilfe angewiesen. Das Besondere an diesem Fall: Im selben Brief beschrieb sie uns ihre Träume, die sie noch hatte. Noch einmal ihre Katze streicheln. Zu Hause ein Bad nehmen. Im eigenen Bett einschlafen. All diese Träume sind normalerweise mit keinen oder nur geringen Kosten verbunden. Nicht so für sie.
Wer in der Versicherungsbranche arbeitet, kennt viele solcher Schicksalsschläge. Von Leben, die auf einmal ganz anders sind. Von Menschen, die ihre Existenz von einem Moment auf den anderen neu überdenken müssen.
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Die Aufgabe der Versicherer: Existenz neu denken!
Genau das ist die Aufgabe einer modernen Versicherung. Denn das Leben der Menschen endet nicht mit der Übernahme der Kosten für die medizinische Grundversorgung oder dem Ausgleich eines Lebensunterhalts, der weit unter dem Existenzminimum liegt.
Bleiben wir beim Beispiel des obigen Briefes: Kuscheln mit der Katze, Freiheit im eigenen Bad und der unersetzliche Komfort des eigenen Kopfkissens. Um sich diese einfachen Wünsche zu erfüllen, muss diese Person in Zukunft viel leisten. Sie braucht dafür eine neue Lebensgrundlage, nennen wir es eine neue Existenz. Eine private Reha, um sich besser entwickeln zu können, eine moderne medizinische Behandlung, Umzugsunternehmen und andere Umzugskosten, Umbaukosten in der neuen Wohnung, mehrfacher Autoumbau (ein Auto reicht meist nicht ein Leben lang) und so weiter. Hinzu kommen Verdienstausfall und Rentenminderung. All diese Kosten – und noch mehr – sind notwendig, um dieser jungen Frau eine neue Existenz zu ermöglichen. Eine Existenz, die es ihr ermöglicht, ihre einfachen Lebensträume zu verwirklichen.
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Passive Absicherung wird zu aktiver Existenzermöglichung
Deshalb haben wir beschlossen, die Unfallversicherung neu zu denken. Wir gehen weg von der eher passiven Einstellung, bestimmte Kosten zu versichern. Und wenden uns einer neuen Idee zu: aktiv eine neue Existenz zu ermöglichen.
Unsere Antwort heißt deshalb ExistenzBudget. Es umfasst die Kosten einer klassischen Unfallversicherung und sichert den Betroffenen zusätzlich ein Budget, mit dem sie zukünftige Kosten, die durch den Unfall entstehen, abdecken können. Insgesamt bei einer Versicherungssumme von bis zu zehn Millionen Euro und damit ein Vielfaches einer klassischen Unfallversicherung.
Mit diesem Budget ermutigen wir Menschen, ihre Träume nach einem Unfall neu zu denken. Wir machen Mut, zum Beispiel trotz eines schweren Unfalls weiter ein Instrument zu spielen. Oder weiter Sport zu treiben. Also nicht auf das zu verzichten, was für viele Menschen einen hohen Lebenswert hat.
Fazit: Leben lohnt sich – und das in jeder Dimension!
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- Gräfer-Kolumne: Was ist ein Leben wert?
- Die Aufgabe der Versicherer: Existenz neu denken!